Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


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gespenstisches Schwimmen und Schweben, als habe sich die Luft verdichtet und trage mühelos den kleinen, biegsamen Feenleib – Lucile war in der Tat eine Tänzerin ersten Ranges.

      Sie hatte eine seltsame musikalische Tanzbegleitung. Die Kammerjungfer Minna stand, den Rücken der Türe zugekehrt, inmitten des Zimmers und summte eine Melodie, so scharf akzentuiert im Rhythmus, so gewohnheitssicher, als sei sie seit Jahren das begleitende Orchester bei den Übungen ihrer Herrin. Sie schlug dabei leise klatschend in die Hände, machte jede Wendung und Schwenkung mit wiegendem Oberkörper unwillkürlich mit und war in ihre Aufgabe ganz ebenso vertieft, wie die Tänzerin selbst. – Sie hatten beide keine Augen für die kleine Paula, die auf dem Teppich saß und in verschiedenen Kartons kramte. Die Kleine hatte sich, jedenfalls »genau wie Mama«, geschmückt, hatte einen weißen Kranz verkehrt aufgesetzt, Schuhe und Strümpfchen ausgezogen und wickelte eben einen gelben Seidenschal um die kleine, nackte Büste, von der sie das lose, weiße Kleidchen nach den Hüften hinabgeschoben hatte.

      »Lucile!« rief Donna Mercedes mit dem schrillen Klang zorniger Überraschung.

      Die Tänzerin vor dem Spiegel fuhr erschrocken herum. »Minna, dummes Ding, du hast vergessen, die Türe zu verriegeln!« platzte sie erbost heraus; aber im nächsten Augenblick schon brach sie in ein gezwungenes, schallendes Gelächter aus. Baron Schilling strich sich mit einem charakteristisch heiteren Lächeln den Bart – diese Sylphide sah nicht aus, als werde sie noch nachträglich über das Erlebnis ihres kleinen Sohnes in Ohnmacht fallen. Während er, José an der Hand, der Schwelle nahe stehen blieb, schritt Mercedes, ohne ein Wort zu sagen, durch das Zimmer; sie nahm der kleinen Paula, die sich unter gellendem Geschrei lebhaft widersetzte, den Kranz vom Köpfchen, zog ihr das Kleid über die Schultern, Schuhe und Strümpfe an die Füße, und redete ihr dabei mit sanfter Stimme begütigend zu.

      »Du solltest das Kind nicht Zeuge deiner Amüsements sein lassen,« sagte sie zu Lucile, nachdem sich die Kleine beruhigt hatte.

      »Ah bah, warum denn nicht?« versetzte die kleine Frau trotzig und herausfordernd. »Wenn du glaubst, ich gebe es jemals zu, daß Paula auch so philisterhaft erzogen wird, wie du mit José bereits den Anfang gemacht hast, da irrst du dich gründlich! – Das arme Ding hat ohnehin eine jammervolle Kindheit. Was bin ich dagegen für ein glückliches Kind gewesen – oh, wie glücklich! – Gehätschelt, bewundert, in Saus und Braus, in Glanz und Herrlichkeit bin ich groß geworden – oh, mein schönes, geopfertes Paradies!« – Sie streckte sehnsuchtsvoll die Arme gen Himmel, diese zarten Arme, die in der Tat überschlank geworden waren – die Ärzte hatten doch wohl recht mit ihrem furchtbaren Ausspruch, nach dem dieses in Lebenslust glühende Wesen den Todeskeim in der Brust tragen sollte, die eben unter beängstigend heftigen, zitternden Atemzügen flog.

      Sie griff nach den Blumen über ihrer Stirne, riß sie halb ergrimmt, halb im Übermut aus den Locken und schleuderte sie nach den Kartons. »Meine Amüsements, sagst du?« fuhr sie impertinent lächelnd fort. »Mein Gott, ja, armselig genug sind sie – aber was will man machen? – Ein jedes eben nach seinem Geschmack und Bedürfnis, Donna Mercedes! – Du spielst Bach auf deinem Flügel und stellst dich ganz entzückt über den alten Zopf – und ich, nun ich tanze, ich krieche dann und wann wehmutsvoll in die alten, lieben Theatersachen –«

      »Der Anzug ist neu – ei ist noch nie in einem Koffer verpackt gewesen,« unterbrach sie Mercedes kalt und unerbittlich und zeigte nach dem Kostüm.

      Lucile lachte verlegen auf und drehte sich wie ein Kreisel in gemachter Lustigkeit auf der feinen Fußspitze, und Minna, die wie verscheucht in den Hintergrund des Zimmers zurückgetreten war, bückte sich schleunigst, um die verstreuten Blumen zusammenzulesen.

      »Nun, und wenn?« fragte die kleine Frau – sie hielt plötzlich inne mit ihren Fußschwingungen und trat erbittert auf ihre Schwägerin zu. »Und wenn, Donna Valmaseda? Was geht es schließlich dich an, wenn ich mir ein paar Ellen Samt und Atlas kaufe? Geht es etwa aus deinem Beutel – wie? ... Ich bitte Sie, Baron Schilling, sehen Sie sich meine gestrenge Schwägerin an! Der Spitzenbesatz, den sie da zerrissen auf dem Teppich nachschleift, ist so kostbar, daß ihn eine deutsche Herzogin auf ihrer Staatsschleppe tragen könnte – diese Baumwollenprinzessinnen leisten das Menschenmögliche in der Verschwendung, sag' ich Ihnen! Ich armer Tropf aber soll mir nicht einmal den Spaß machen, mich auch einmal in einem neuen Kostüm bei meinen einsamen Amüsements zu sehen! – Es ist unverantwortlich von dieser Vormundschaft, daß sie die Auszahlung meiner Nadelgelder in Mercedes' Hände gelegt hat –« Sie trat zornig mit dem atlasbekleideten Füßchen den Teppich. – »Aber ich bin auch immer so dumm und leichtgläubig, ich lasse mir alles bieten! – Weiß ich denn, ob dieses behauptete Recht nicht ein angemaßtes ist?? – Nun wird mir jede Stecknadel, jeder Seidenfaden nachgerechnet –«

      »Du weißt sehr gut, daß ich das nie tue,« fiel Mercedes ruhig ein – auf ihrer Stirne lag ein Schimmer wahrer Seelenhoheit. – Die zwei Frauengestalten verhielten sich zu einander wie eine hohe, stolze Lilie, die von einer kleinen Stechmücke mit glitzernden Flügeln umkreist wird. – »Ich finde es nur sehr unrecht und geradezu widersinnig, daß du zu diesen Übungen, die dir von seiten der Ärzte streng verboten worden sind, sogar auf neue Kostüme sinnst ... Felix ängstigte sich stets und hielt dich zurück, wenn du im Übermut in irgend eine Tanzweise verfallen wolltest.« –

      »Ja – aus Eifersucht. Er konnte es nicht ertragen, der gute Felix, wenn auch andere Augen als die seinen mein Talent bewunderten; gewisse Leute machen es ebenso, sie verzehren sich vor Neid. – Und das haben die Speichellecker, die zwei weisen Salomos, unsere Ärzte, recht gut gemerkt; sie haben sich sofort auf die Seite der Großmacht im Hause gestellt – natürlich! – und sich alles Ernstes eingebildet, ich ließe mich ins Bockshorn jagen, wenn sie mir mit geheimnisvollem Achselzucken verkündigten, meine Gesundheit sei angegriffen – die Schlauköpfe!« Mit unbeschreiblicher Komik und Grazie machte sie die Geste der langen Nase und drehte sich abermals wie ein Wirbelwind auf der äußersten Fußspitze, und ihr Töchterchen haschte aufjauchzend nach dem gelben Atlasröckchen, das sich wie eine goldglänzende Sonnenscheibe über dem leichten Gewölk der Gazekleider mit der Tänzerin drehte.

      In Mercedes' Wangen stieg ein helles Rot. Sie ergriff schweigend Paulas Hand, um das Kind aus dem Zimmer zu führen; allein Lucile vertrat ihr den Weg. »Oh nein – Paula bleibt bei mir, bei ihrer Mama, wohin sie gehört!« sagte sie bestimmt. »José magst du meinetwegen mit Beschlag belegen. Ich habe ihn auch lieb, sehr lieb; aber ich habe keine Macht über den großen Bengel. Das Schicksal ist doch manchmal wie mit Blindheit geschlagen bei seinen Fügungen – solch einem jungen, unerfahrenen Ding wie mir die Erziehung eines wilden Jungen zuzuweisen – Unsinn! ... Mein süßes Mädchen dagegen, meine kleine Paula, behalte ich für mich, so wie einst Mama und ich zusammenstanden – daß du es weißt –«

      »Felix hat die endgültige Verfügung über beide Kinder vorläufig in Frau von Valmasedas Hand gelegt,« unterbrach sie Baron Schilling mit ernstem Nachdruck.

      Lucile wandte ihm rasch das Gesicht zu und maß ihn mit einem spöttischen Blick. »Auch du, Brutus?« rief sie pathetisch. »Nun ja, ich konnte das wissen! – Drüben unterwarfen sich ja auch alle ihren Orakelsprüchen, alle unsere Herren, ihr Vater, Felix, der arme Valmaseda ... Diese dämonischen Frauen mit den finsteren Mienen sind leidenschaftlich im Herrschen und Gebieten und zurückhaltend im Gewähren – das ist die ganze Kunst! – Sie war eine sehr kühle Braut, diese Donna de Valmaseda –«

      »Schweige!« unterbrach Mercedes mit flammenden Augen die boshafte Verräterei.

      »Mein Gott, ich bin ja schon still!« wich die kleine Frau mit einer drolligen Furchtgebärde zurück. »Aber Baron Schilling ist mein Freund, mein guter, alter Freund noch aus der himmlischen Berliner Zeit – ich darf nicht leiden, daß er auch hineintappt, ich leide es durchaus nicht! Er hat ohnehin schwer zu tragen am Leben, der unglückliche Mann –«

      »Unglücklich?« fuhr er mit zorniger Überraschung auf. »Wer sagt Ihnen denn, daß ich mich unglücklich fühle? –«

      »Mein Gott, ich denke – oder wäre sie hübscher geworden, Ihre Frau? Und liebenswürdig?« rief sie, jetzt wirklich überrascht, mit großen Augen; aber sie senkte sie doch einen Augenblick erschrocken über