zu ihm unmöglich zu machen ... Mercedes war ein Mädchen, obwohl sie den Frauentitel führte – sie hatte einen Geist, furchtlos, energisch und tatkräftig wie ein Mann; allein daneben behauptete sich das echte Weib in ihr, keuschempfindlich wie eine Mimose. Ein undefinierbares Gemisch von Scham und Abscheu überkam sie. – Sie antwortete nicht – nur ihre kaltfunkelnden Augen unter finstergefalteten Brauen streiften ihn ausdrucksvoll.
»Ich bin zwar nicht gerichtlich bestellter Vormund für die beiden Kinder,« sagte er gelassen, – das Beleidigende ihres Wesens schien ihm nicht aufzufallen; »aber Felix' Briefe und mein Versprechen geben mir die feste Stellung, von der ich nicht um eine Linie weichen werde. Ich habe demnach nicht zu erörtern, ob mich die Roheit und Gemeinheit der Leute, mit denen ich rechnen muß, zurückstößt und entmutigt, ob überhaupt mein persönliches Gefühl dabei beleidigt wird« – er sprach mit erhöhter Stimme – »das muß völlig aus dem Spiele bleiben ... Felix ist verarmt gestorben –«
Sie zuckte zusammen, als schneide dieser unumwundene Ausspruch wie ein Schwert durch ihre Seele. »Nun ja – er hat keinen Dollar klingenden Vermögens hinterlassen,« bestätigte sie in grollenden Tönen, »alles, was mein Vater für ihn zurückgelegt hatte, steckte in seiner schönen Plantage... Jetzt wächst das Unkraut lustig auf den verwüsteten Ländereien,« setzte sie bitter lächelnd hinzu; – »sie haben allen Wert verloren, seit die Hände, die sie bebauten, falsche Ringe an den Fingern tragen und freien Herren gehören... Felix ist ein Bettler geworden, wie der ganze Süden finanziell vollständig ruiniert ist... Bah, was rede ich davon! Für den deutschen Rechtsbegriff ist ja das nur die notwendige Sühne alten Unrechtes!«
In ausbrechender Erbitterung wandte sie ihm den Rücken; und jetzt hob sie die Arme, um die Haarmassen, die ihr bei der jähen Bewegung über den Busen geglitten, selbst unter das Netz zu stecken. In dieser Stellung waren die Linien des schlanken Körpers entzückend für ein Malerauge. Und die weitfaltigen Ärmel fielen zurück, und auf dem gelblichen Marmor des rechten Oberarmes schlüpfte es feurig rot hervor wie eine dünne, purpurne Schlange...
Über dieses junge Weib war das Unglück in zermalmender Wucht hingeschritten – Vater, Bruder, Bräutigam hatte der Krieg von ihrer Seite gerissen, und sie hatte den eigenen zarten Körper ergrimmt hineingeworfen in die Greuel des Kampfes, wohl auch, um mit unterzugehen; aber er hatte ihr nur sein glühendes Mal aufgezeichnet – und nun ging sie ihren Weg einsam weiter, verbissenen Schmerzes, verbittert, in kalter Menschenverachtung.
»Sie stützen Ihre Machtvollkommenheit hauptsächlich auf diese Verarmung, wie ich annehme?« sagte sie plötzlich aufblickend, nachdem sie die letzte widerspenstige Haarsträhne unter den Seidenschlingen geborgen hatte.
»Allerdings,« versetzte er.«Meine Aufgabe ist es, den Kindern um jeden Preis zu ihrem Erbe zu verhelfen –«
»Das leidige Geld!« – Sie zuckte mit den Schultern, und in ihrem Ton lag dieselbe kalte Verachtung, mit der sie vor wenigen Stunden im Atelier gesagt hatte: »Ja, mit dem Gelde seiner Frau!«
Er verfärbte sich leicht; aber jetzt stand er nicht vor ihr als der Künstler mit dem meist träumerisch gesenkten Kopf und dem tiefsinnenden, wie nach innen gekehrten Blick – er erschien genau als einer von denen, die droben im Mittelsaale die alten gewundenen Holzrahmen füllten, fest, kraftvoll, wie ein Mann, der sich in seinem braven Wollen nicht beirren läßt. – »Ja, das leidige Geld!« wiederholte er fest betonend. »Ich leugne seine Macht nicht, so wenig wie es Felix getan, der das Erbe für seine Kinder gerettet wünschte – und er hatte recht, sie brauchen es! – Ich weiß, daß ich mit diesem Ausspruch ein böses Vorurteil nähre; aber ich muß mir das gefallen lassen.«
Sie sah auf den Kies zu ihren Füßen – dann flog ein geringschätzender Zug um ihre Lippen. »So fürchten Sie, die Kinder müßten Hungers sterben ohne das Geld der alten Frau?« fragte sie, seine letzte Bemerkung übergehend.
Er lächelte. »Die Kleinen haben eine sehr energische Tante, die wohl schlimmsten Falles zur harten Arbeit greifen würde, um ihre Lieblinge nicht Mangel leiden zu lassen. Mehr weiß ich nicht; aber ich brauche und wünsche auch keinen tieferen Einblick in die Verhältnisse, weil ich trotz alledem bei meiner Ansicht beharren muß. Ich rechne mit den Mächten, die unseren Lebensweg kreuzen –« er zögerte und jetzt suchte sein Blick den Boden – »Sie sind sehr jung –«
»Aber fest genug, um einem Toten die Treue zu halten,« – unterbrach sie ihn verständnisvoll, mit düsterem Ernst.
Ein augenblickliches Schweigen trat ein – man hörte Josés Stimme, der sich, unfern auf einer Gartenbank stehend, unter Deborahs ordnenden Händen befand und dabei unausgesetzt von seinem Erlebnis auf dem Klostergute sprach.
»Nur eines möchte ich wissen,« begann Baron Schilling wieder – man hörte an seinem veränderten Ton, daß er von dem verfänglichen Thema ablenkte. – »Warum belassen Sie die kleine Frau in dem Wahn, daß sie reich, ›ungeheuer reich‹ sei? – Einmal muß sie ja doch die Wahrheit erfahren.«
»Ich halte das nicht für nötig, solange sie nicht ihr Geschick von dem meinigen trennt,« versetzte Donna Mercedes gelassen. »Lucile würde sterben an dem Gedanken, daß sie nicht mehr über Reichtümer zu verfügen habe... Felix hat sie geliebt bis in den Tod. Die Angst um die Zukunft dieses kindischen, genußsüchtigen Wesens hat ihn noch mehr gequält, als die Sorge um José und Paula. Ich habe ihm heilig gelobt, über sie zu wachen, und so betrachte ich sie wie eine ältere Schwester ihrer Kinder, als welche sie sich ja auch am liebsten gibt.« – Ein leises, verächtliches Lächeln stahl sich flüchtig um ihren Mund. – »Lucile ist brustschwach – die Ärzte behaupten, sie befinde sich bereits in den ersten Stadien der Lungenschwindsucht,« fuhr sie ernst fort. »Es ist mithin meine Aufgabe, ihr jede wirkliche Aufregung fern zu halten. Aus dem Grunde habe ich auch vorhin streng verboten, daß sie von Josés Verschwinden benachrichtigt werde, ehe wir eine Gewißheit hatten.«
Sie rief den Knaben herbei und ergriff seine Hand... Welche Kraft wohnte in dieser jungen Seele, die, leidenschaftlich, herrisch, ja despotisch angelegt, einen steten Kampf mit sich selbst bestand, weil der Egoismus eines geliebten Sterbenden ihr Wort in das Grab mitgenommen hatte!
»Vielleicht begleiten Sie mich zu Lucile,« sagte sie zu Baron Schilling. »Es ist möglich, daß sie nunmehr von dem Vorfall erfahren hat – sie regt sich oft nachträglich noch unnötig auf, und das wird Ihr Besuch verhindern.«
Sie gingen nach dem Säulenhause.
19.
Donna Mercedes betrat sonst nie Luciles Gemächer – sie hatte keine Veranlassung dazu. Die Mahlzeiten nahm man im großen Salon mit den holzgeschnitzten Wänden ein – auch der Tee wurde abends da getrunken, trotz Luciles täglich sich erneuernden Protestes – und die Kinderstube war nur durch Mercedes' Schlafzimmer von diesem Salon getrennt.
Draußen lag noch heller Sonnenglanz; von Westen her zu rötlicher Glut entfacht, machte er die Welt in einem doppelt grellen Lichte schwimmen; er fiel breit und lästig durch die Fenster und kroch als feuriges Schlänglein in alle Türspalten und Ritzen. Mercedes drückte geräuschlos die Türe zu Luciles Wohnzimmer auf und wich erstaunt zurück.
Da drin war, mittels fest vorgelegter Läden und zugezogener Gardinen, intensive, von Kerzen- und Lampenlicht durchstrahlte Nacht hergestellt. An der Decke brannte der kleine Kronleuchter, zu beiden Seiten des deckenhohen Pfeilerspiegels flammten Kerzen auf den Bronzearmen, und das Licht hoch auf Wandbretter gestellter Kugellampen floß weiß hernieder – man suchte unwillkürlich nach dem schwarzbehangenen Katafalk, auf den dieses Glanzmeer zu strömen habe; aber es war etwas ganz anderes – es war Bühnenlicht.
Vor dem Spiegel gaukelte ein Schmetterlingswesen. Die zierlichsten Beinchen, die je ein Menschenkind getragen, steckten in fleischfarbenen Trikots, und darüber bauschte sich ein ganz kurzes Röckchen von gleißendem, goldgelbem Atlas; dann kam ein silberbesetztes rotlila Samtmieder, das eine zerbrechlich dünne Mädchentaille umschloß, und bei jeder Bewegung der schlanken,