Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


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noch in mir nach, wie er mich neulich in tiefster Seele empörte; –« fuhr er unbeirrt fort – »und doch ließ sich mein Urteil einlullen, weil ich Sie bewunderungswürdige Großmut und Selbstverleugnung gegen die Frau Ihres Bruders üben sah, weil Sie die tiefste Zärtlichkeit, einen rückhaltslosen Opfermut für seine Kinder an den Tag legen ... In Ihrer Seele ringen zwei Mächte – die Gottesgabe einer edlen, großangelegten Natur, und die Folgen der Erziehung. Unter den letzteren, der Wandelbarkeit der Laune, lassen Sie augenblicklich auch mich leiden; aber ein zweites Mal wird es nicht geschehen – ich habe wenig Neigung zur sklavischen Unterwürfigkeit in mir.«

      Er verbeugte sich und ging in das Krankenzimmer. Dort trat er an das Bett – Deborah war bei Erscheinen des Arztes hinausgegangen – und die Dame im Fensterbogen sah mit verstohlenem Seitenblick durch die Tür, wie er sich in tiefer Bewegung über das schlafende Kind beugte. Einen Augenblick legte er seine schöne, schlanke Rechte auf die Stirne des Knaben, dann verließ er durch die Kinderstube die Erdgeschoßwohnung.

      Donna Mercedes horchte auf seine verhallenden Schritte, als wolle sie den Klang in sich aufnehmen, weil – sie ihn in diesen Räumen nicht wieder hören sollte. – Sie hatte eben eine Sprache hören müssen, wie sie das verwöhnte, umschmeichelte Ohr der überall siegenden spanischen Schönheit noch nicht berührt ... Und doch war sie nur insofern im Unrecht, als sie ihre wohlbegründete Erbitterung und Gereiztheit nicht besser gezügelt – aber hatte sie es der Männerwelt gegenüber je der Mühe wert gehalten, sich liebenswürdiger zu zeigen, als sie augenblicklich empfand? ... Der da im Bronzerahmen, der Nabob von Südkarolina, der hochmütigste, anmaßendste unter den Pflanzerbaronen, er war in der Tat ihr Sklave gewesen – ihr Lächeln hatte Sonnenschein über ihn ausgebreitet, ihr kaltes Zürnen ihn in finstere Nacht gestoßen – jetzt glitt ihr Blick achtlos über ihn weg ...

      Sie verließ in stürmischer Bewegung den Fensterbogen, und vor Josés Bett niedersinkend, vergrub sie die glühende Stirn in das kühle Linnen der Decke. –

      22.

       Inhaltsverzeichnis

      Mehrere Tage waren verstrichen. Die Genesung des kleinen José schritt sehr langsam, kaum merklich vorwärts. Er lag matt und kraftlos in den Kissen, und nach wie vor mußte jedes laute Geräusch, jeder starke Lichtschein streng vermieden werden, denn die zurückgebliebene Schwäche des Kindes war groß. Man ging infolgedessen in der Nähe des Krankenzimmers immer noch auf den Zehen, im Vorgarten durften die Gasflammen noch nicht angezündet werden, und das Stroh auf dem Kiesweg vor der Säulenhalle war erneuert worden.

      Donna Mercedes hatte den Herrn des Schillingshofes nicht wieder gesehen. Gleich nach seinem Weggang an dem Abend war Hannchen in seinem Auftrag erschienen, um die Dame in der Pflege zu unterstützen, und die Abgesandte war ohne Widerrede angenommen worden.

      Das Mädchen mit dem schweigsamen, geräuschlosen Wesen paßte vortrefflich zu der Mission ... War es doch, als habe sich ihr junges, seltsam verdüstertes Gesicht förmlich aufgehellt, seit sie über die Schwelle des großen Salons gegangen war, um Tag und Nacht dazubleiben. José gewann sie lieb, und auch Donna Mercedes gewöhnte sich an das Mädchen, das nie sprach, ohne gefragt zu werden, und nie mit einem zudringlichen Blick die Dame auch nur streifte. Ganz ihrer Aufgabe hingegeben, bedurfte sie anscheinend zu keiner Zeit des Ausruhens, und nie zeigte sie das Bedürfnis, sich zu erquicken, oder auch einmal in anderer Luft aufzuatmen ... Sie schien nur außergewöhnlich empfindlich für jedes auch noch so leise Geräusch, das sich in der tiefen, behüteten Stille der Erdgeschoßwohnung bemerklich machte. Dann war es, als konzentriere sich die ganze Seele des Mädchens im Ohr, so gespannt regungslos und aufhorchend verharrte sie für Augenblicke ... Sie hemmte manchmal plötzlich wie festgewurzelt inmitten des großen Salons ihre Schritte – mit zurückgehaltenem Atem, den Oberkörper vorgebogen, und die unheimlich glimmenden Augen auf die Wand geheftet, an der sich die Ruhebank mit den grünseidenen Polstern hinzog, stand das sonst so beherrschte, herb verschlossene Mädchen da, wie eine gierig lauernde Katze, die das verborgene Nagen einer Maus hört und sich anschickt, auf das ahnungslose Opfer loszustürzen, sobald die trennende Schranke durchwühlt ist ...

      Lucile, die das Mädchen einmal in dieser Stellung überrascht hatte, behauptete, das sei offenkundige Verrücktheit, und ging ihr aus dem Wege, wo sie konnte ... Die kleine Frau kam überhaupt jetzt seltener in die Erdgeschoßwohnung – es ärgerte sie, daß man immer noch so »viel Wesens« mache; dem Jungen täte kein Finger mehr weh, und doch würde immer noch so unausstehlich geschlichen und geflüstert; und wenn sie »dem armen halbverhungerten Kerl« ein paar unschuldige Näschereien zustecke, da zanke man auf sie hinein, als habe sie ihn vergiften wollen.

      Von dem, was zwischen Donna Mercedes und dem Hausherrn vorgefallen, ahnte sie nichts. Sie fand es ganz begreiflich, daß er sich nunmehr wieder in das Atelier zurückgezogen und in sein Werk vertieft habe, um die Versäumnis der letzten Wochen auszugleichen, und es verdroß sie nur, daß er für nichts anderes mehr Augen und Ohren hatte. Er stehe wie festgenagelt vor seiner Staffelei, sagte sie, und der Blick, den er ihr seitwärts zuwerfe, wenn sie sich einmal einfallen lasse, durch die Glaswand des Wintergartens zu schielen, sei nichts weniger als einladend.

      Allem Anschein nach suchte sie sich »der aus allen Ecken gähnenden Langeweile« durch Unterhaltung in ihren Räumen zu entziehen – sie setzte offenbar ihre Tanzübungen fort. Die kleine Paula erzählte, die Mama habe Flügel wie die Englein in Josés Bilderbuch, sie habe »immer keine Strümpfe an« und lauter Gold und Silber auf ihren Kleidern ... Dabei wurden drüben große Kisten gepackt und fortgeschickt – »lauter altmodische Toiletten«, welche die Modistin in Berlin auffrischen und verändern sollte ... Lucile ging jetzt auch öfter in Begleitung ihrer Kammerjungfer aus, und nie kehrte sie zurück, ohne daß Träger mit umfangreichen Paketen ihr folgten. Sie kaufte an Stoffen und modernen Schmucksachen, was ihr gefiel, und verhielt sich den Preisen gegenüber mit der Gleichgültigkeit einer überseeischen Grundherrin, die Tausenden und aber Tausenden zu befehlen hat.

      Nun kam sie eines Nachmittags, zum Ausgehen gerüstet, in den großen Salon. Sie sah ein wenig erhitzt aus, und die Augen glänzten aufgeregt durch den Gazeschleier, den sie gegen Staub und Sonnenbrand bereits vor dem Gesicht kokett aufgesteckt hatte.

      »Meine Kasse ist leer, Mercedes,« sagte sie obenhin. »Ich habe verschiedenes zu bezahlen und brauche mindestens fünfhundert Taler.« Mit nachlässiger Gebärde hielt sie die kleine behandschuhte Rechte hin, um das Verlangte in Empfang zu nehmen.

      »Du hast vor kurzem erst eine gleich große Summe geholt–« versetzte Donna Mercedes erstaunt – sie wollte offenbar noch etwas hinzufügen, allem die kleine Frau unterbrach sie sofort.

      »Oh bitte, rege dich doch ja nicht auf um einer solchen Kleinigkeit willen,« sagte sie boshaft und winkte beschwichtigend mit der Hand. »Aber auch fünfhundert Taler!« wiederholte sie mit Pathos. »Ein Heidengeld! Meiner Mama freilich fielen fünfhundert Taler nur so durch die Finger, wenn es galt, auf den Gastreisen Trinkgelder zu geben – das könnten wir arme Schlucker natürlich nicht... Bah, möchtest du mir nicht auch die paar Bissen, die ich esse, in den Mund zählen, Donna Mercedes?« – Sie streckte bitter auflachend die Hände gen Himmel. – »Das ist die glänzende Versorgung, die man mir vorgespiegelt hat, als ich mich entschloß, mit nach Amerika zu gehen!... Übrigens« – sie fuhr mit einer sprechenden Gebärde mit der Hand über den Kais – »ich will gleich meinen Kopf verwetten, daß dir nicht das Recht zusteht, meinen Geldverbrauch in der engherzigen Weise zu kontrollieren; und deshalb werde ich mich endlich einmal beschweren –«

      Sie verstummte – dort auf dem Schreibtisch, an welchem ihre Schwägerin saß, lag bereits das Geld hingezählt. Donna Mercedes zeigte schweigend mit dem Finger auf die Banknoten – kein Muskel ihres Gesichts bewegte sich.

      Lucile strich das Geld zusammen und ließ es in ihre Tasche gleiten. »Ich werde Paula mitnehmen,-« – sagte sie – »das Kind braucht notwendig einen neuen Hut –«

      »Paula hat sich im Garten müde gelaufen – sie schläft drüben in der Kinderstube.«

      »So werden wir sie