»Ist der Brief von Frau Lucian?«
»Ja – aus Berlin.«
»Dann kenne ich den Inhalt.« – Er hob leicht und zurückweisend die Hand nach dem Brief. – »Frau Lucian hat auch an mich geschrieben – sie ist mit großem Erfolg aufgetreten.«
Sie lächelte sarkastisch. »Ja, unser Name kommt zu hohen Ehren! Und ich bin schuld, daß er über die Bühne geschleift wird.«
»Wenn ihm sonst kein Schaden geschieht – durch die Kunst wird er nicht entwürdigt,« sagte er gelassen. »Ich bin für viele meiner Standesgenossen auch so ein Verfemter, der seinem Namen keine Ehre macht, weil ich hier« – er umschrieb mit ausgestrecktem Arm den Raum des Ateliers – »›Allotria‹ treibe und mein eigenes Brot esse, statt in Wasserstiefeln auf die Jagd zu gehen und den Güterverwalter meiner Frau zu spielen.«
Sie empfand den Hieb, als habe er sie direkt ins Gesicht getroffen – ihr gehässiges »Ja, mit dem Gelde seiner Frau!« war für immer gebührend zurückgewiesen.
»Übrigens kann ich nicht einsehen,« fügte er hinzu, »inwiefern Sie die Schuld an dem überraschenden Schritt Ihrer Schwägerin tragen sollen –« »Ich bin lächerlich vertrauensselig gewesen.«
»Das wäre die letzte Bezeichnung, die ich Ihnen geben möchte, gnädige Frau.«
Es lag so viel Ironie in diesen anscheinend verbindlich gesprochenen Worten, daß sie mit einem raschen, flammenden Blick aufsah.
»Ein vertrauensseliges Frauengemüt spricht nicht aus solchen Augen,« setzte er zur Bekräftigung seines Ausspruches flüchtig lächelnd hinzu. – Diesen Mann hatte sie schwer beleidigt, er vergab ihr nicht, das hörte sie aus der verletzenden Schärfe, die seinen ganzen Stimmklang veränderte. Ihr leidenschaftliches Blut wallte heiß auf.
»Ach ja,« – sagte sie rasch einfallend – »meine Augen haben das Unglück, nicht mit dem sanftmütigen deutschen Grau oder Blau in die Welt zu blicken. Aber – das läßt mich ruhig! Ich bin fern von dem Ehrgeiz, mich mit diesen Holbeinschen Madonnen messen zu wollen. Ich kenne ja den deutschen Patriotismus – was sich jenem Frauentypus nicht anpaßt, das läßt der deutsche Maler einfach – verschwinden, wie Figura zeigt.« – Sie deutete unter einem bösen Lächeln nach dem Madonnenbild mit dem entstellenden dunklen Querstreifen über den Augen.
Das Bild lehnte an einer Schrankecke und war jedenfalls, vielleicht beim Reinigen des Ateliers, von unberufener Hand aus seinem Versteck gezogen worden, denn Baron Schilling sah überrascht hinüber und seine Stirn verfinsterte sich.
Donna Mercedes aber lachte ganz leise auf. Er erschrak fast darüber – er hatte diesen ernsten Mund noch nie lachen sehen; jetzt entschleierte sich ihm für einen flüchtigen Moment der wundervolle, feuchte Perlenglanz der Zähne, die Mundwinkel vertieften sich in hinreißender Anmut, aber auch in dämonisch ausdrucksvollen Linien, und die feinen Lachtöne klangen verletzend spöttisch – eine tiefe, unbezwingliche Gereiztheit gipfelte in ihnen.
»Möglich, daß dem Maler die Augen dort gegen seinen Willen aus dem Pinsel geschlüpft sind.« – sagte sie mit leichtem Achselzucken – »indes ein solcher Irrtum läßt sich ja verbessern – den vandalischen Strich da drüben aber hat der Jähzorn gemacht, oder vielleicht auch – die Laune.«
Er wandte sich schweigend ab, nahm ein auf dem Tische liegendes Messer und ging hinüber. Rasch, mit wenigen scharfen Strichen schnitt er die Leinwand aus dem Rahmen, rollte sie zusammen und verschloß sie in dem Schranke – das hieß jedem weiteren Kommentar den Weg verlegen.
Das schwarze Seidenkleid rauschte – er vermutete, die Dame wolle das Atelier verlassen, und sah nach ihr zurück. Sie war in der Tat nach der Glastür gegangen und vor dem Vorhang stehen geblieben. Sie lachte nicht mehr; das blaßgelb angehauchte Profil hob sich wie aus Stein geschnitten von den dunklen Samtfalten, die ihre Hand eben ergriffen um sie zurückzuschlagen.
»Ich bin im Begriff, abzureisen,« – sprach sie kühl und beherrscht wie immer, als er auf sie zuschritt – »und sehe mich gezwungen, um Ihren Schutz für die Kinder während meiner Abwesenheit zu bitten.«
»Sie wollen nach Berlin gehen?«
»Ja – Lucile muß sofort mit mir zurückkehren.«
»Der Meinung bin ich auch. Aber fangen Sie eine Lerche ein, die bereits hoch in den Lüften jubiliert!«
»Das Jubilieren wird ihr vergehen, wenn sie die Überzeugung gewinnt, daß sie sich aus diesen Lüften herab zu Tode stürzen muß – ich werde die ersten ärztlichen Autoritäten zu Hilfe nehmen.«
»Sie hoffen, mit der Todesfurcht zu wirken? – Das sagen Sie, die diese Regung verachtet wie ein Mann? Und wenn nun die kleine Frau auch –«
»O bitte – keinen Vergleich!« unterbrach sie ihn – sie zog die Stirn finster zusammen. »Ich möchte nie mit Lucile verglichen sein ... Ich war ein dreizehnjähriges Kind, als ich sie zum erstenmal sah, und weinte damals in einem Gefühl von widerfahrener Schmach und Erniedrigung – ich sah, daß der Leichtsinn, die niedere Denkweise in unser Haus eingezogen, dem mein stolzer Großvater, meine Mutter den Nimbus eines Fürstenhofes zu geben verstanden hatten.«
Sie preßte die Hände auf der Brust zusammen, als wolle sie das, was sie vielleicht noch nie ausgesprochen, auch jetzt zurückdrängen, und doch sagte sie mit erbitterten Augen und tonlos verschleierter Stimme: »Mein Gott, wie tief geht mir das Haßgefühl für dieses frivole Wesen, das so schnell vergessen kann! Felix hätte sein Blut für sie hingegeben, und sie – tanzt aus dem Trauerjahr hinaus!«
Sein Blick hatte am Boden gehangen; jetzt hob er langsam die Lider und sah die junge Dame voll an. »Und diese unselige Bürde wollen Sie sich zurückholen, um Ihr ganzes junges Dasein in Verbitterung hinzuschleppen?«
»Muß ich nicht?« fragte sie wie erstaunt zurück. »Ich kann doch mein Wort nicht brechen? Felix ist tot, und was ich ihm versprochen habe, hat für mich die bindende Kraft, wie man zum Beispiel ein festes Verlöbnis zwischen Mann und Weib nicht einseitig lösen darf, auch wenn es als schwere Kette drückt, selbst wenn es uns mit geistigem Tod drohen sollte –«
Sie unterbrach sich hastig, als sei ihr ein Geheimnis tief aus der Seele geschlüpft, und griff verwirrt nach dem Vorhang, der vorhin ihrer Hand entglitten war, während Baron Schilling an den Tisch trat, um das gebrauchte Messer au seinen Platz zu legen.
»Das hört sich an wie spartanische Charakterkraft, wie die strenge Moral selbst, und wäre in seinen Folgerungen doch ebenso unmoralisch, als wenn man Leib und Seele um Hab und Gut ›verkauft‹,« sagte er von dorther scharf. »Man hat sich sehr zu hüten, daß man mit allzu starr durchgeführten Prinzipien nicht in das geschmähte feindliche Lager gerät, wie das meist mit dem Extrem geschieht.«
Sie klemmte die Unterlippe hart zwischen die Zähne, und ihr stolzes Haupt neigte sich gegen die Brust, und er trat ihr wieder näher mit dem edlen Gang, der ihm eigen war und seine hoch gewachsene Gestalt schon von weitem auffallen machte. »Sie werden in Berlin nichts ausrichten,« kam er mit gewaltsamer Wendung auf den Zweck ihres Kommens zurück. »Was wollen Sie tun, wenn Ihre Schwägerin Ihnen einfach den Zutritt verweigert?«
»Ich werde mich an ihre Fersen heften, ich werde ihr auf Tritt und Schritt folgen –«
»Auch bis hinter die Kulissen? –«
Donna Mercedes wich unwillkürlich zurück.
»Das können Sie nicht – ich weiß es. Sie werden bei all Ihrem Mut, Ihrer Energie auf dem fremden Gebiet umherflattern wie sturmverschlagen und vor neugierigen und dreisten Blicken fliehen, ohne Ihren Zweck erreicht zu haben ... Lassen Sie mich gehen! – Ich hatte bereits den Entschluß gefaßt, nachdem ich Frau Lucians Brief gelesen, und bin reisefertig.« – Er zeigte auf das am Boden liegende Gepäck. »Ich weiß zwar genau, daß auch ich unverrichteter Dinge heimkommen werde – Lucile Fournier stirbt eher auf der Bühne, angesichts des Publikums, als daß sie zu Ihnen zurückkehrt – so ungefähr hat sie mir geschrieben. José will sie Ihnen lassen; aber die kleine Paula verlangt