Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


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und ruhelos den Salon. Dann und wann hemmte sie in gespanntem Aufhorchen ihre Schritte, oder sie trat zu dem kleinen Kranken, der sich im unruhigen Schlummer hin und her warf ... Inzwischen war auch Jack wieder heimgekommen. Ei hatte Lucile in den letzten Tagen einigemal in die Stadt begleiten müssen, und nun war er auf Befehl seiner Herrin durch die Hauptstraßen gewandert; er hatte die gashellen Verkaufslokale durchforscht, in welchen die kleine Frau zu kaufen pflegte, und war in allen Konditoreien gewesen, aber niemand wollte die schöne amerikanische Dame aus dem Schillingshofe gesehen haben.

      So war Viertelstunde um Viertelstunde in sinnvoller Langsamkeit vorübergeschlichen; nun aber schlug es zehn Uhr auf dem nahen Benediktinerturm – diese hallenden Schläge fielen wie mit niederschmetternder Wucht auf das Herz der angstvoll Wartenden – sie ergriff die Lampe und ging in Luciles Räume. Es war ihr, als müsse sie das kleine, launenhafte Wesen, das ihr ebenso anvertraut worden war, wie die beiden Waisen, in der Sofaecke zusammengeschmiegt finden; allein die tiefe Finsternis, die ihr beim Offnen der Tür entgegengähnte, belehrte sie eines anderen.

      Im Wohnzimmer sah es unordentlich aus, wie es stets bei Lucile auszusehen pflegte. Man sah, die kleine Frau hatte hier, vor dem großen Pfeilerspiegel, Toilette gemacht. Auf dem Boden lagen noch die winzigen Pantöffelchen, wie sie im Übermut von den Füßen geschleudert worden waren; nicht weit davon breitete sich der weiße Frisiermantel über das Parkett, verschiedene Schleier, Bandschleifen und neue Handschuhe lagen durcheinander gezerrt und sichtlich die Spuren der Anprobe tragend, auf Tischen und Stühlen, und beim Umherleuchten trat Donna Mercedes auf die Puderquaste, die nach ihrem verschönernden Dienst den Pantoffeln und dem Frisiermantel gefolgt war.

      Und jetzt schrak die Suchende zusammen, als weiche der Boden plötzlich unter ihren Füßen; mit bebender Hand stellte sie die Lampe auf den Sofatisch, ihre Knie wankten, sie sank in den nächsten Lehnstuhl und starrte auf das weiße Kuvert, das, an sie selbst adressiert, mit offenbarer Absicht auf die kirschrote Tischdecke hingelegt worden war ... Nun wußte sie, was geschehen war ... War sie denn blind gewesen heute nachmittag? – Lucile war heimlich abgereist!

      Sie zog das Briefblatt aus dem Kuvert, das nicht einmal verschlossen war. »José ist wieder gesund« – schrieb die kleine Frau in ihrer nachlässigen Art und Weise – »und nun trete ich meinen Urlaub an – das heißt, meinen mir selbst genommenen Urlaub – denn von Dir erhielte ich doch bis in alle Ewigkeit keinen!... Gott sei Dank, daß mein Junge endlich Ernst machte mit dem Gesundwerden – noch einen Tag länger, und ich wäre verrückt geworden! ... Hast Du denn wirklich gemeint, ich könnte es so und so viele Wochen auf deutschem Boden aushalten, ohne den Ort wiederzusehen, wo man mich einst als neu aufgehenden Stern bewundert und bis in den Himmel gehoben hat, wo man mich auch heute wieder mit Jubel, mit offenen Armen empfangen wird? – Verzeihe, aber bei all ihrem gepriesenen scharfen Geist kann Dame Mercedes doch auch recht naiv und harmlos sein. – Endlich, endlich! Jeder Tag, den ich in dem tödlich langweiligen Nest, dem Schillingshof, verleben mußte, war ein unersetzlicher Verlust für mich, ein Raub an meiner goldenen Jugendzeit, von der ich leider schon allzuviel geopfert – ich habe oft im stillen in den Zaum geknirscht wie ein wildes Füllen ... Ich gehe also nach Berlin – auf mehrere Tage. Paula nehme ich mit; das Kind soll auch einmal in die Wunderwelt blicken, aus der ihr Mütterchen stammt, und in der man wirklich lebt und genießt – alles, was außerhalb des Bühnenlebens liegt, ist fade und nüchtern, ein abgeblaßtes Einerlei –«

      Donna Mercedes warf den Brief hin, ohne die letzten Zeilen zu lesen. Aber bei allem Schrecken, bei aller Entrüstung, die ihr die Tränen in die Augen trieb, war ihr Herz doch voll Frohlocken – die Entführung des Kindes war nicht geglückt, Paula war ihr geblieben ... Nun begriff sie Luciles Zorn über »die kleine Schlafmütze« und das ganze rätselhafte Gebaren der kleinen Frau ... Welch ein bodenlos leichtsinniger, heimtückischer Streich! Welch häßlicher Egoismus! ... Noch trug die junge Witwe Trauer um den Gatten, noch lag ihr kaum dem Tod entrissenes Kind schwach und erschöpft im Bette – sie hatte bei Josés Erkranken gezeigt, daß sie ein warmes Muttergefühl für den Knaben hege, sie hatte ihren Mann geliebt und ihm in den letzten Lebensstunden heilig versprochen, daß sie sich nicht von Mercedes und den beiden Waisen trennen wolle – und doch warf sie das alles als Fessel ab, von der wahnsinnigen Sucht, zu glänzen, zu genießen, fortgerissen, wie der Vogel dem unbezähmbaren Wandertrieb in seiner Brust blindlings folgt.

      Donna Mercedes erhob sich und steckte den Brief in die Tasche. Eine tiefe Glut bedeckte plötzlich ihr Gesicht – nun war sie während Luciles Abwesenheit allein Baron Schillings Gast – wie peinvoll!

      Sie ergriff die Lampe und kehrte in ihre Gemächer zurück.

      »Meine Schwägerin ist nach Berlin gereist und wird in einigen Tagen zurückkehren,« sagte sie kalt zu Hannchen, Jack und Deborah, die im Krankenzimmer standen.

      Deborah riß ihre runden Augen weit auf vor Verblüfftheit, und ein erschrockener Seitenblick fuhr durch die offene Tür hinüber nach Paulas Bettchen – um ein Haar hätte ihr die schlaue Mama das Goldkindchen mit fortgenommen. Sie wagte dann und wann eher eine Frage als Jack; aber diesmal verschluckte sie jeden Laut, denn ihre Dame winkte stolz und gebieterisch mit der Hand ... Jack sagte unterwürfig »gute Nacht«, und Deborah machte sich in der Kinderstube zu schaffen – sie wußten beide, daß sie die Stunden der Angst und Besorgnis vollkommen vergessen und nichts anderes wissen mußten, als daß »die kleine gnädige Frau« auf einige Tage verreist sei. was sich ja ganz von selbst verstand.

      23.

       Inhaltsverzeichnis

      Donna Mercedes hatte gehofft, Luciles mehrtägige Abwesenheit werde nicht auffallen; zu ihrer Bestürzung aber liefen schon am zweiten Tage verschiedene Rechnungen an sie selbst ein, deren Ausgleichung, wie eine Randbemerkung bei einigen spitz besagte, die abgereiste amerikanische Dame vergessen zu haben scheine ... Jedenfalls hatte die Dienerschaft des Schillingshofes den Geschäftsleuten gegenüber geplaudert und den Verdacht hervorgerufen, daß die kleine Frau heimlich durchgebrannt sei.

      Der Bediente Robert, der viel an der offenen Haustür oder im Säulengang herumlungerte, war stets der Überbringer dieser Mahnungen. Er klopfte mit schüchternem Finger an die Salontür, überreichte, pflichtschuldigst auf silbernem Teller, mit niedergeschlagenen Augen das ominöse Papier, und verschwand dann auf Donna Mercedes' kurzes »Es ist gut« mit krummem Rücken und einem halbverbissenen maliziösen Lächeln wieder jenseits der Tür ... Draußen streckte er regelmäßig den Wartenden die leeren Hände hin und sagte achselzuckend: »Geld gibt's nicht – seht, wie ihr zu eurem Guthaben kommt! Warum habt ihr der ersten besten Schwindelmadame leichtsinnig eure Ware verborgt! Wir können doch nicht für die Leute einstehen, die sich zudringlich im Schillingshofe einnisten!« – Darauf spuckte er verächtlich aus.

      Lucile hatte von dem Kredit, den man ihr, als dem vornehmen Gast des Schillingshofes, gewährte, ausgiebigen Gebrauch gemacht – sie hatte nichts von alledem bezahlt, was sie in den letzten Tagen nach Hause geschleppt; ihre Schwägerin aber brauchte nicht mehr darüber zu sinnen, wie wohl die bedeutenden Summen verwendet worden seien, die ihr Lucile nach und nach abverlangt – es war alles für den Berliner Aufenthalt eingeheimst worden. – Selbstverständlich mußte Jack stets noch in derselben Stunde gehen und die Forderungen der Geschäftsleute ausgleichen. Die beiden Schwarzen sahen in diesen Tagen ihre Dame oft bedenklich von der Seite an. Sie kannten ja dieses Gesicht seit dem Augenblick, wo es zum erstenmal die mächtigen Augen aufgeschlagen; sie hatten es während des unglückseligen Krieges in allen Stadien entflammter Leidenschaften gesehen, gespenstisch fahl vor Grimm und Erbitterung, unbewegt und hoheitsvoll dem Feind gegenüber, der ihr Haus nach den von ihr versteckten Sezessionisten durchsuchte; sie hatten es mit blassen Lippen kalt lächeln sehen, als man ihr den bluttriefenden Arm verbunden, als die vom Feind geschürten Flammen aus dem Dach ihres Vaterhauses schlugen, um es mit seiner ganzen kostbaren Einrichtung bis auf den Grund zu verzehren ... Donna Mercedes war unter allen Wandlungen die Gebietende geblieben, die Unerschütterliche, von der sie, die treuen Schwarzen, die gebotene Freiheit nicht angenommen, weil sie sich unter dieser festen Führung wohl und für das ganze Leben geborgen fühlten ... Hier im fremden Lande nun war es, als entbehre