Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


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dem jungen Mädchen auf Gnadeck?«

      »Elisabeth Ferber?« rief Helene aufs höchste überrascht.

      »Elisabeth von Gnadewitz,« verbesserte Hollfeld rasch. »Gerade die plötzliche Veränderung ihrer Stellung hat mich auf die Kleine aufmerksam gemacht. Bis dahin habe ich sie wenig beachtet, und ist mir nur ihr bescheidenes Wesen und die große Ruhe in ihren Gesichtszügen aufgefallen.«

      »Wie, an der reizenden, wunderbar beseelten Erscheinung wäre dir nichts bemerkenswert vorgekommen, als die Ruhe und Bescheidenheit?«

      »Nun ja,« entgegnete er gleichgültig. »Ich erinnere mich, daß du manchmal über deine eigenen Finger ärgerlich wurdest, während sie nie eine Miene verzog und geduldig immer wieder von vorn anfing, bis du ihr folgen konntest. Das gefiel mir schon damals. Ich halte sie für einen sehr ruhigen Charakter, und den muß vor allem meine künftige Frau haben. Auch ist es nicht zu verkennen, daß sie dich verehrt; damit wäre die Hauptbedingung erfüllt. Ferner ist sie in engen, beschränkten Verhältnissen aufgewachsen; sie wird keine Ansprüche machen und sich leicht in die Stellung dir und mir gegenüber finden. Ich glaube, sie hat Takt, ist sehr häuslich erzogen, ein großer Vorzug, und –«

      Helene war in das Kissen zurückgesunken und legte die Hand über die Augen.

      »Nein, nein!« rief sie, sich rasch wieder aufrichtend und seinen eifrigen Redefluß unterbrechend. »Nicht das arme, liebliche Kind! Elisabeth verdient, geliebt zu werden.«

      Ein plötzliches Hundegeheul unterbrach sie und ließ sie selbst einen Schrei des Schreckens ausstoßen. Hollfeld hatte seine Diana, die mit hereingekommen war und zu den Füßen ihres Herrn hingestreckt lag, auf die Pfote getreten. Dieser Zwischenfall kam ihm sehr gelegen, denn Helenes letzte Worte klangen, seinen eigenen glühenden Wünschen gegenüber, so komisch, daß er lachen mußte. Er öffnete die Thür und jagte das hinkende Tier hinaus. Als er zu dem jungen Mädchen zurückkehrte, waren seine Züge wieder völlig ruhig und beherrscht.

      »Lieben wollen wir ja die Kleine auch, Helene,« sagte er anscheinend gleichmütig, während er seinen Platz wieder einnahm – Helene war zu sehr erregt und wohl auch zu reinen Sinnes, um die leichte Beimischung von Frivolität in seinem Tone herauszuhören – »sie soll dir nur den Vorrang lassen in meinem Herzen, und das wird sie auch gewiß … Sie besitzt sehr viel ruhige Ueberlegung und Kaltblütigkeit, das hat sie vorgestern vollständig bewiesen, als sie Rudolf rettete.«

      »Wieso?« rief Helene, die Augen voll unsäglichen Erstaunens weit öffnend.

      Der Diener, welchem gestern wider Willen das Ereignis im Walde entschlüpft war, hatte, erschrocken über sein Versehen, alle näheren Umstände des Attentats unerörtert gelassen und war einfach dabei stehen geblieben, daß der beabsichtigte Schuß Herrn von Walde glücklicherweise nicht getroffen habe. Auch Hollfeld hatte den Sachverhalt erst vor einer Stunde vom Gärtner erfahren. Das unerschrockene Benehmen Elisabeths verlieh ihr, wie man denken kann, in seinen Augen einen neuen Reiz und stachelte seine Sehnsucht, sie so rasch wie möglich zu gewinnen, aufs höchste. Er teilte Helene jetzt alles mit, was er über die Begebenheit erfahren hatte, und schloß mit den Worten. »Du hast jetzt einen Grund mehr, das Mädchen zu lieben, und mich bestärkt ihre Handlungsweise in dem Glauben, daß sie die einzige ist, die in die Verhältnisse paßt.«

      Hiermit harte er sein letztes Pulver verschossen. Er strich mit seiner weißen, schlanken Hand langsam das Haar von der Stirn zurück und beobachtete dabei hinter dem vorgehaltenen Arme gespannt die junge Dame, die den Kopf so in das Kissen gedrückt hatte, daß er nur ihr Profil sehen konnte. Aus ihren geschlossenen Lidern quollen Thränen! Sie sprach kein Wort mehr, vielleicht rang sie zum letztenmal mit sich selbst.

      Warum sie aber nicht ein einziges Mal die Frage aufwarf, ob auch Elisabeth in der That Hollfeld ihre Neigung zuwenden werde? Das wird sich vielleicht manche Leserin selbst beantworten können, sobald sie bedenkt, daß das liebende Herz gewöhnlich den Gegenstand seiner Leidenschaft für unwiderstehlich hält und es schwer begreift, wenn er nicht allen anderen Menschenkindern ebenso begehrenswert erscheint.

      Das Schweigen, das peinlich zu werden anfing, wurde durch das Eintreten der vom Spaziergange zurückkehrenden Baronin unterbrochen. Helene fuhr in die Höhe und trocknete rasch ihre Thränen. Mit sichtlicher Ungeduld ließ sie sich die Liebkosungen gefallen, mit denen sie von der augenscheinlich sehr echauffierten Dame förmlich überschüttet wurde, und antwortete sehr einsilbig auf die Fragen nach ihrem Befinden.

      »Puh!« rief die Baronin sich schüttelnd und ließ die Mantille in den Händen ihres Sohnes, während sie schwerfällig in einen Fauteuil niedersank. »Mir ist warm geworden … Ist das ein vertrackter Weg über den Berg! … Mich bringt keine Macht der Erde je wieder da hinauf!«

      »Du warst auf dem Berge, Mama?« frug Hollfeld ungläubig.

      »Nun ja – du weißt ja, der Arzt hat dergleichen Morgenspaziergänge immer für mich gewünscht.«

      »Ach, das war aber vor so und so viel Jahren, und seitdem behauptest du ja stets, dein Herzübel mache dir derartige Promenaden ganz unmöglich.«

      »Man muß alles in der Welt mehrmals probieren,« entgegnete die Mama ein wenig verlegen; »und als ich heute nacht durchaus nicht schlafen konnte, beschloß ich, nochmals einen Versuch zu wagen – und dabei bleibt es nun auch … Ich habe obendrein gleich wieder einen tüchtigen Aerger gehabt. Denke dir nur, Helene, da kommt mir draußen auf dem Kiesplatze Bella in Begleitung der neuen Gouvernante entgegen – kannst du wohl glauben, daß diese Person die Unverschämtheit hat, das Kind zu ihrer Linken gehen zu lassen? … Dazu sieht sie aus, daß man sie in die Schoten stellen möchte … Ich war sehr außer mir und habe ihr sofort ihren Standpunkt klar gemacht … Aber sage selbst, ob es nicht arg ist; ich darf nur daran denken, mich einmal erholen zu wollen, da kann ich sicher sein, daß alles geschieht, um mich krank und elend zu machen!«

      Sie wollte die Stirn schwermütig auf den Arm stützen, fühlte aber in diesem Augenblicke, daß die geschickt angebrachten falschen Zöpfe an den Schläfen unter dem Drucke des Hutes eine bedenkliche Richtung angenommen hatten. Sie erhob sich schnell und erbat sich noch auf ganz kurze Zeit Urlaub, um ihre derangierte Morgentoilette in Ordnung bringen zu lassen.

      »Apropos!« sagte sie nachlässig und drehte sich im Weitergehen noch einmal um nach den Zurückbleibenden, während sie den Hut einstweilen fest auf die rebellischen Zöpfe drückte, »da hat uns der einfältige Reinhard gestern schön blau anlaufen lassen … Ich begegnete zufälligerweise dem Forstschreiber Ferber droben bei den Ruinen … ich gratulierte ihm –«

      »Ah, ich begreife jetzt deine Wanderung auf den Berg!« unterbrach Hollfeld ironisch seine Mutter. »Und du hast den Mann angeredet, Mama?«

      »Nun, jetzt kann man das ja … Mich interessierten hauptsächlich die Juwelen.«

      »Wolltest du sie kaufen?« fragte ihr Sohn spöttisch – er mochte an die stete Ebbe in ihrer Kasse denken.

      »Das weniger,« erwiderte sie mit einem Zornblicke. »Aber ich habe stets eine Leidenschaft für schöne Steine gehabt – und wäre dein Vater nicht so plötzlich gestorben, so hätte ich jetzt sehr schöne Brillanten, denn er hatte sie mir versprochen, du aber wärst um ein Kapital von circa sechstausend Thalern ärmer … Aber um wieder auf die gefundenen Kostbarkeiten zu kommen. Ferber sagte mir, aus was sie bestanden, und erzählte mir auf mein Befragen ohne Umstände, daß sie ungefähr – achttausend Thaler wert seien – und das nennt der Mensch, der Reinhard, einen unermeßlichen Wert … Einstweilen Gott befohlen – in wenigen Augenblicken bin ich wieder da!«

      Auf Hollfelds Gesicht war das spöttische Lächeln verschwunden, mit dem er die Erzählung der Mutter angehört, und hatte einem unverkennbaren Ausdrucke der Enttäuschung Platz gemacht; es war ihm plötzlich zu Mute, als ob ein kaltes Sturzbad sich über ihn ergossen habe.

      Kaum hatte sich die Thür hinter der Baronin geschlossen, als Helene aus ihrer bisherigen scheinbaren Apathie erwachte und Hollfeld beide Hände entgegenstreckte.

      »Emil,« sagte sie rasch, wenn auch mit etwas verschleierter Stimme und bebenden Lippen, »wenn es dir gelingt,