ich in den letzten Tagen durchmachen mußte, ehe ich zu dem festen Entschlusse kam … Im Augenblicke mag auch dir der Gedanke schrecklich sein, daß eine dritte Person in unser schönes Verhältnis eintreten soll; ich gebe dir aber mein Wort, daß dies durchaus nicht auf störende Weise geschehen wird … Bedenke, Helene, daß ich dann viel mehr für dich thun, für dich leben kann, als jetzt … Du kannst zu mir nach Odenberg ziehen, und ich will die Hände unter jeden deiner Schritte legen, will dich behüten und halten wie meinen Augapfel.«
Hollfeld besaß nicht Geist, dafür aber einen hohen Grad von Schlauheit, wie wir sehen, mit der er wirksamer agierte, als vielleicht ein anderer mit bedeutenden Gedanken. Sein armes Opfer ging mit blutendem, zerrissenem Herzen und völlig zerstörter Willenskraft in sein Netz.
»Ich will es versuchen, den Gedanken zu ertragen,« flüsterte Helene endlich fast unhörbar. »Was aber müßte das für ein Wesen sein, das mich duldet, und das ich endlich als Schwester lieben lernte … Kennst du wohl ein solch opfermutiges, hochstehendes weibliches Gemüt?«
»Ich habe eine Idee … sie kam mir vorhin ganz plötzlich … sie ist aber ganz flüchtig und unausgebildet. Ich behalte mir vor, sie dir nach reiflicher Ueberlegung mitzuteilen … Aber du mußt erst ruhiger werden, teure Helene. Bedenke, ich lege ja die Wahl meiner künftigen Gattin einzig und allein in deine Hände; es hängt von dir ab, das zu verwerfen oder anzuerkennen, was ich dir vorschlagen werde.«
»Und fühlst du dich stark genug, neben einem Weibe zu leben, dem dein Herz nicht gehört?«
Er unterdrückte weislich ein spöttisches Lächeln, denn Helenes Augen hingen an seinem Munde.
»Ich kann alles, was ich will,« antwortete er, »und deine Nähe wird mir Kraft geben … Um eins aber will ich dich bitten, sage meiner Mutter noch nichts von dieser wichtigen Angelegenheit. Sie will, wie du weißt, ihre Hände in allem haben, und ich dulde nun einmal ihre Bevormundung nicht; sie erfährt die Sache noch zeitig genug in dem Momente, wo ich ihr meine Braut vorstelle.«
Zu jeder anderen Zeit würde dieser herzlose, unkindliche Ausspruch Helene empört haben, aber in diesem Augenblicke hörte sie ihn kaum; denn ihr ganzes Fühlen und Denken wirbelte abermals in einem wilden Aufruhr durcheinander bei dem einzigen Worte »Braut«, das nun einmal – obgleich es sehr oft namenlos unglückliche Bräute gibt – den Begriff von Liebesseligkeit und Maiwonne an sich knüpft.
»O mein Gott!« seufzte sie und rang die fest zusammengeballten Hände, die auf ihren Knieen lagen, in namenloser Qual. »Ich habe immer gehofft, das nicht erleben zu müssen … Nicht, daß ich so selbstsüchtig gewesen wäre zu denken, du solltest um meinetwillen einsam durchs Leben gehen, aber ich glaubte, die voraussichtlich kurze Dauer meines Daseins würde dich bestimmen, diesen Schmerzenskelch an mir vorübergehen zu lassen, du würdest warten, bis meine Augen das Schreckliche nicht mehr sehen könnten.«
»Aber Helene, wo gerätst du hin?« rief Hollfeld, nur noch mühsam seine Ungeduld unterdrückend. »Wer wird in deinen Jahren an den Tod denken! … Leben, leben wollen wir und mit der Zeit noch recht glücklich werden, das hoffe ich ganz gewiß … Ich will dich jetzt allein lassen. Ueberlege dir die Sache, und du wirst zu demselben Schlusse kommen wie ich.«
Er drückte ihre Hände zärtlich an seine Lippen, hauchte einen Kuß auf ihre Stirn – was er bis dahin nie gethan hatte –, nahm seinen Hut und verließ leise das Zimmer.
Draußen, nur durch die Thür von der armen Getäuschten geschieden, schlug er verschmitzt lächelnd ein Schnippchen; wie gemein und bubenhaft sah er in diesem Augenblicke aus! Er war über die Maßen zufrieden mit sich selbst … Noch vor einer Stunde war sein Herz von Grimm erfüllt gewesen. Seine Leidenschaft für Elisabeth, durch den Widerstand des jungen Mädchens zu einer rasenden angefacht, war in hellen Flammen über seinem eigenen Haupt zusammengeschlagen und hatte ihn seit gestern um alle seine gerühmte Selbstbeherrschung gebracht. Inmitten dieser Liebesraserei war ihm aber trotzdem nicht ein einziges Mal der Gedanke gekommen, dem heißbegehrten Mädchen seine Hand zu bieten, um in ihren Besitz zu gelangen; er würde sich selbst für wahnsinnig gehalten haben, wenn eine solche Idee durch seinen Kopf geflogen wäre. Dafür aber zermarterte er sein Gehirn in niederträchtigen Plänen und Anschlägen, wie er den Widerstand der Forstschreiberstochter besiegen könne … Das Ereignis auf Gnadeck lenkte plötzlich seine Gedanken in eine ganz andere Bahn. Das junge Mädchen war jetzt eine begehrenswerte Partie, von altem Adel und reich. Kein Wunder, daß er innerlich aufjubelte bei der Nachricht und sofort den großmütigen Entschluß faßte, die liebreizende Blume auf Gnadeck mit einem Heiratsantrage zu beglücken … Daß sie ohne Zögern die Ehre annehmen würde, lag natürlich außer allem Zweifel; denn wenn sie auch aus Koketterie seinen Liebesanträgen auf eine Zeit zu widerstehen vermocht hatte, so war das doch nicht denkbar der Aussicht gegenüber, vielbeneidete Frau von Hollfeld zu werden. Ueber diesen Punkt war er so vollkommen klar und sicher, daß auch nicht ein Wölkchen der Befürchtung ihm die lockende Aussicht verdunkelte … Es war indes nicht der glühende Wunsch allein, Elisabeth zu besitzen, der ihn antrieb, so rasch wie möglich zu handeln; er mußte sich sagen, daß, wenn der Fund in den Ruinen bekannt wurde, auch noch andere Freier bei der ihrer Schönheit wegen bereits vielgenannten Goldelse anklopfen würden – schon der Gedanke machte ihm das Blut sieden.
Der Ausführung seines Entschlusses stand indes noch ein Hindernis entgegen, und das war Helene. Nicht etwa, weil ihm eine mitleidige Regung gekommen wäre darüber, daß das heißliebende Mädchen namenlos leiden müsse infolge dieses Schrittes – was das betraf, so kannte er kein Erbarmen – wohl aber hatte er zu bedenken, daß es möglicherweise durch die plötzliche Heirat um die Erbschaft kommen könne, die er von Helene erwartete. Es galt also, vorsichtig und schlau zu sein. Wir haben gesehen, wie er kalten Blutes die tiefe, blinde Liebe der Unglücklichen ausbeutete und sie dadurch, daß er sich in seiner höchsten Lebensfrage ihr scheinbar unterwarf, unauflöslich an sich kettete.
Sobald er das Zimmer verlassen hatte, schwankte Helene nach der Thür und schob den Riegel vor. Jetzt erst überließ sie sich völlig ihrer Verzweiflung.
Wer sie nicht kennt, jene qualvollen Stunden, die auf eine ungeahnte, plötzlich wie aus der Luft herniederstürzende, zermalmende Nachricht folgen, jene Stunden, in denen der Mensch seinen Schmerz in die Welt hinausschreien möchte, und wo er, der Stütze und des Trostes anderer so bedürftig, doch scheu und wie gehetzt Dunkel und Einsamkeit aufsucht, als seien Licht und Klang tödliches Gift für seine brennende Wunde; wem sie erspart wurden, jene Qualen, die plötzlich ein harmonisch geordnetes Gemüts-und Gedankenleben aus den Fugen zu reißen vermögen: der wird freilich nicht begreifen, daß Helene auf dem Fußteppich zusammensank und verzweiflungsvoll in ihren Locken wühlte, während ihre kleine, gebrechliche Gestalt wie im Fieber hin und her geschüttelt wurde … Sie lebte und atmete ja nur in dieser glühenden Neigung. Hatten doch schon einige finstere Blicke, eine mehrtägige düstere Zurückhaltung des geliebten Mannes hingereicht, sie in den tiefsten Kummer zu versenken und sie sogar teilnahmslos zu machen für ein Ereignis, das in früherer Zeit ihr schwesterliches Herz tief erschüttert haben würde, um wie viel mehr mußte sie jetzt leiden in der Ueberzeugung, daß sie ihn verlieren werde.
Obwohl ein wildes Chaos von Gedanken in ihrem Kopfe kreiste, so war sie doch unfähig, einen einzigen klaren, sichtenden zu erfassen. Das demütigende Bewußtsein ihrer körperlichen Gebrechen, um deren willen sie aus ihrem geträumten Paradiese gestoßen wurde, Hollfelds heutiges Bekenntnis seiner Liebe, das ihr zugleich Himmel und Hölle erschlossen hatte, eine wahnsinnige Eifersucht auf diejenige, die sie noch gar nicht einmal kannte, welche aber dereinst an seiner Seite mit allen Rechten der Gattin stehen sollte, das alles wogte und stürmte in ihr und drohte, den schwachen Faden zu zerstören, der ihre Seele an den hinfälligen Körper fesselte.
Erst spät, nachdem die Nacht bereits hereingebrochen war, öffnete sie der besorgten Kammerfrau die Thür und ließ sich auf vieles Bitten derselben zu Bette bringen. Sie verbat sich streng den Besuch des Arztes, den die Zofe vorschlug, ließ der Baronin, die ihr persönlich gute Nacht wünschen wollte, hinaussagen, daß sie der größten Ruhe bedürfe und nicht gestört sein wolle, und verbrachte dann einsam die schrecklichste Nacht ihres Lebens.
Sie wurde erst ein wenige ruhiger, das heißt die furchtbare