wie die bebenden Lippen zweimal vergebens sich mühten, um endlich das einzige Wörtchen »nun?« hervorzubringen.
Helene erzählte die Begebenheit in den Ruinen, während ihr Bruder aufatmend zuhörte. Mit jedem Worte weiter schien ihm ein Stein vom Herzen zu fallen; er ahnte freilich nicht, daß jedes dieser Worte wie ein zweischneidiges Schwert in dem Herzen der Erzählerin wühlte und daß diese Mitteilung bereits der Anfang eines furchtbaren Opfers war, das sie bringen sollte.
»Das ist in der That eine wunderliche Lösung alter Rätsel,« sagte er, nachdem Helene geendet hatte. »Ob aber die Familie es für ein Glück hält, dem Geschlechte der Gnadewitz anzugehören, bezweifle ich.«
»Ah, du meinst,« unterbrach ihn Helene rasch, »weil das junge Mädchen einst sehr viel an dem Namen auszusetzen hatte? … Ich kann mir nicht helfen, aber ich denke bei dergleichen Dingen manchmal unwillkürlich an die Trauben, die dem Fuchse zu sauer sind. Sie sprach die letzten Worte mit einer schneidenden Schärfe. So weit ging ihre leidenschaftliche Aufregung und Bitterkeit, daß sie ihre bessere Einsicht verleugnete und die Gesinnungen eines Wesens verdächtigte, das sie nie beleidigt, und welches sie früher bei unparteiischer Anschauung als eines der reinsten bezeichnet hatte.
Ein Ausdruck des höchsten Erstaunens erschien in Herrn von Waldes Zügen. Er bog sich nieder und sah forschend in das gesenkte Gesicht der Schwester, als wollte er sich überzeugen, ob es wirklich ihr Mund gewesen sei, der diese herben Worte gesprochen hatte.
In diesem Augenblicke sprang Hollfelds Jagdhund die Stufen herauf, machte einige täppische Sprünge durch das Zimmer und verschwand sofort wieder auf einen grellen Pfiff, der über den breiten Kiesplatz herüberscholl. Sein Herr ging drüben vorüber. Er schien nicht zu wissen, daß Herr von Walde zurückgekehrt war, sonst würde er doch gewiß gekommen sein, ihn zu begrüßen. Er schritt eilig vorwärts und bog in den Weg ein, der hinauf nach Gnadeck führte. Helenes Blicke folgten der Gestalt, bis sie verschwunden war, dann sank sie mit krampfhaft gefalteten Händen in den Stuhl zurück; es sah aus, als versagten ihr momentan die Kräfte.
Herr von Walde schenkte ein wenig Rotwein in ein Glas und hielt es an ihre Lippen. Sie sah dankbar auf und versuchte zu lächeln.
»Ich bin noch nicht zu Ende mit meinem Berichte,« begann sie wieder und richtete sich auf aus ihrer halbliegenden Stellung. »Ich mache es, wie der Romandichter, der den Haupteffekt bis zuletzt aufhebt«; es war nicht zu verkennen, daß sie während dieser Vorrede, die scherzhaft klingen sollte, nach Kraft und Festigkeit rang, um das, was sie sagen mußte, ruhig vorzubringen. Ihr Auge haftete angestrengt auf einem der gegenüberliegenden Bosketts, während sie fortfuhr. »Unserem Hause steht ein glückliches Ereignis bevor, Emil – wird sich verloben.«
Sie hatte sicher erwartet, ihr Zuhörer werde sofort seine höchste Ueberraschung aussprechen, denn nach einem augenblicklichen Schweigen drehte sie sich erstaunt nach ihm um. Er hatte die Hand auf Stirn und Augen gepreßt, und der Teil des Gesichts, den sie nicht bedeckte, war aschbleich. Bei Helenes Bewegung jedoch ließ er die Hand sinken, erhob sich rasch und trat an das offene Fenster, um frische Luft einzuatmen.
»Bist du unwohl, Rudolf?« rief sie ängstlich hinüber.
»Ein vorübergehender Schwindel, weiter nichts,« antwortete er und näherte sich ihr wieder. Seine Züge sahen entstellt aus. Er ging einigemal im Zimmer auf und ab und nahm dann seinen Platz wieder ein.
»Ich habe dir gesagt, daß Emil sich verloben will; Rudolf,« begann Helene wieder, jedes Wort markierend.
»Das hast du gesagt,« wiederholte er tonlos und mechanisch.
»Du billigst diesen Schritt?«
»Der geht mich nichts an. Hollfeld ist sein eigener Herr; er kann thun, was ihm beliebt.«
»Ich glaube, er hat gewählt. Dürfte ich, so wollte ich dir den Namen des jungen Mädchens nennen.«
»Ist nicht vonnöten … Ich werde ihn früh genug hören, wenn er von der Kanzel herab verkündigt wird.«
Sein Gesichtsausdruck war eisig, die Stimme klang rauh und abweisend, und aus den Wangen schien auch der letzte Blutstropfen entwichen zu sein.
»Rudolf, ich bitte dich, sei nicht so entsetzlich schroff!« bat Helene flehentlich. »Ich weiß ja, daß du die vielen Worte nicht liebst, und bin an deine lakonischen Antworten gewöhnt; aber in diesem Augenblicke bist du geradezu abstoßend, und gerade jetzt, wo ich eine Bitte an dich richten möchte.«
»Sprich nur; soll ich vielleicht die Ehre haben, Brautführer des Herrn von Hollfeld zu sein?«
Helene zuckte zusammen vor dem schneidenden Hohne, mit welchem diese Worte gesprochen wurden.
»Du bist dem armen Emil abgeneigt, und das macht sich heute wieder einmal recht geltend,« sagte sie vorwurfsvoll nach einer kleinen Pause, während welcher Herr von Walde aufgestanden war und mit raschen Schritten einigemal das Zimmer durchmessen hatte. »Ich bitte dich inständig, lieber Rudolf, höre mich ruhig an; ich muß heute mit dir über die Angelegenheit sprechen!«
Er lehnte sich mit verschränkten Armen an einen Fensterpfeiler in der Nähe und sagte kurz. »Du siehst, ich bin bereit, zu hören.«
»Das junge Mädchen,« hob sie stockend an, diesmal weniger infolge einer Gemütsbewegung, als weil sie der eiskalte Blick ihres Bruders einschüchterte, »das junge Mädchen, das Emil gewählt hat, ist arm.«
»Sehr uneigennützig in der That; weiter!«
»Emils Einkünfte sind nicht sehr bedeutend –«
»Der arme Mann hat nur sechstausend Thaler Revenuen; er muß notwendig dabei verhungern.«
Sie schwieg, sichtlich betroffen. Ihr Bruder übertrieb nie; die Summe, die er aufstellte, war sicher bis auf den Groschen richtig angegeben.
»Nun, er mag schon reicher sein, als ich glaubte,« hob sie nach einer kurzen Pause wieder an; »das kommt übrigens hier ganz und gar nicht in Betracht … Ich habe die Erwählte sehr, sehr gern« – mit welcher Anstrengung sie sprach! – »sie hat etwas gethan, wofür ihr mein schwesterliches Herz ewig dankbar sein wird.« Herrn von Waldes verschränkte Arme lösten sich; er trommelte mit den Fingern der Linken so heftig gegen die Fensterscheibe, daß Helene meinte, das Glas müsse zerspringen.
»Sie soll meine Schwester sein,« fuhr sie fort; »ich will nicht, daß sie Emils Haus arm betrete, und möchte ihr sehr gern die Einkünfte von Neuborn zuwerfen … darf ich?«
»Das Gut gehört dir, du bist majorenn, ich habe hier durchaus nicht das Recht, zu verweigern oder zu erlauben.«
»O ja, Rudolf, insofern, als du die nächsten Ansprüche an mich und mein Erbe hast … Also bin ich deiner Zustimmung gewiß?«
»Vollkommen, wenn du denn durchaus der Ansicht bist, daß sie dazu gehöre –«
»Dank, vielen Dank!« unterbrach sie ihn und bot ihm die Hand; aber er schien es nicht zu bemerken, obgleich sein Blick auf sie gerichtet war … »Verdenkst du mir das?« fragte sie nach einer Weile beklommen.
»Ich verdenke es dir nie, wenn du den Wunsch hast, Menschen glücklich zu machen; du wirst dich erinnern, daß ich dir stets bei dergleichen Gelegenheiten rückhaltlos die Hand geboten habe. Wohl aber mache ich dir den Vorwurf der Uebereilung; du bist sehr schnell bereit, jenes junge Wesen ins Unglück zu stoßen.«
Sie fuhr wie von einer Viper gestochen in die Höhe. »Das ist ein harter Ausspruch!« rief sie heftig, »dein Vorurteil gegen den beklagenswerten Emil, Gott mag wissen, auf was es sich begründet, geht denn doch zu weit . . : du kennst den armen Menschen viel zu wenig –«
»Ich kenne ihn viel zu gut, als daß ich ihn noch näher kennen lernen möchte … Er ist ein ehrloser Schmarotzer, ein erbärmlicher Bursche ohne allen Charakter, an dessen Seite ein Weib, selbst wenn es nur geringe Anforderungen an männliche Ehrenhaftigkeit stellt, elend werden muß … wehe der Armen, wenn sie zur Erkenntnis kommt.« … Seine Stimme wankte im verhaltenen Schmerze. Helene hörte jedoch nur Groll und Ingrimm heraus.
»Gott,