Sieh dir Elisabeth an. Kann sie nicht alle Ansprüche erfüllen, die du mit Recht an diejenige stellst, welche dir in Zukunft so nahe stehen soll? Jung, von der Natur reich ausgestattet, aus alter Familie mit berühmtem Namen –«
Sie hielt erschrocken inne. Es war, als kehre erst jetzt das Leben in Elisabeths erstarrte Glieder zurück, als sei sie erst in diesem Momente fähig, das, was gesprochen wurde, aufzufassen. Mittels einer raschen Bewegung hatte sie Helene beide Hände entzogen und stand plötzlich hoch aufgerichtet neben ihr.
»Sie irren, gnädiges Fräulein,« sagte sie in eigentümlich vibrierendem Tone, »ich bin eine Bürgerliche.«
»Wie, haben Sie nicht das festbegründete Recht, den Namen von Gnadewitz zu führen?«
»Ja, unzweifelhaft, aber wir lassen dieses Recht fallen.«
»Sie würden in Wirklichkeit ein solches Glück mit dem Fuße fortstoßen?«
»Ich kann nicht einsehen, wie das wahre Glück sich an einen Klang, einen Schall knüpfen soll.« Man hörte deutlich, wie sie rang, um ihrer tonlosen Stimme Festigkeit zu geben.
Die Baronin war indessen näher getreten. Sie fing an, zu begreifen, was hier vorging. Innerlich war sie wütend, daß ihr Sohn eine Wahl getroffen hatte, ohne auch nur im entferntesten um ihren mütterlichen Rat, ihre Einwilligung zu fragen; ferner war und blieb der Gegenstand dieser Wahl für sie ein verhaßtes Wesen. Allein sie wußte recht gut, daß ihr Einspruch höchstens ein mitleidiges Achselzucken, eine spöttische Miene ihres Sohnes hervorrufen und ihn erst recht in seinem Vorhaben bestärken würde; auch fiel es für sie und ihre eigenen Interessen schwer ins Gewicht, daß Helene die Sache in die Hand genommen hatte und dieselbe mit einer Art von enthusiastischem Opfermute durchführen zu wollen schien. Wenn auch völlig im unklaren über die Motive dieser höchst merkwürdigen Thatsache, fühlte sie doch instinktmäßig, daß hier kein Nachteil zu befürchten sei, und deshalb entschloß sie sich rasch, obschon mit grollendem Hetzen, gute Miene zum bösen Spiele zu machen und die Rolle der verzeihenden und segnenden Mutter zu spielen. Elisabeths Antworten verschlossen ihr jedoch plötzlich wieder den Mund. Die Hoffnung tauchte in ihr auf, daß das Mädchen durch seinen Eigensinn die Sache selbst verderben würde, und dann galt es, Oel ins Feuer zu gießen.
»Da stoßen wir auf einen spießbürgerlichen Begriff, meine Liebe«, sagte sie zu Helene, die Elisabeths Erwiderung ganz bestürzt gemacht hatte. »Sie mögen indes jedenfalls Ihre triftigen Gründe haben, das Licht der höheren Regionen zu scheuen,« fuhr die Dame in beißendem Tone zu Elisabeth gewendet fort.
»Ich habe durchaus keine Ursache, das Licht zu fliehen,« entgegnete diese, bei weitem ruhiger und beherrschter sprechend, als zuvor, »es müßte mir denn plötzlich unvermutete häßliche Fehler meines Charakters zeigen, wie es die Flecken auf jenem Wappenschild grell beleuchtet … Aber wir lieben unseren Namen, weil er rein und ehrlich ist, und wollen dies fleckenlose Erbteil nicht vertauschen gegen ein Gut, das sich aus den Thränen und dem Schweiße anderer groß genährt hat!«
»Gott, wie erhaben!« rief die Baronin höhnisch lachend.
»Das kann Ihr Ernst nicht sein, Elisabeth,« sagte Helene. »Vergessen Sie nicht, daß an diesem Ausspruche das Lebensglück zweier Menschen hängt.« Sie warf dem jungen Mädchen einen vielsagenden Blick zu, der aber begreiflicherweise nicht verstanden wurde. »Sie müssen nun einmal in die Sphäre, der Sie von nun an angehören sollen, einen adligen Namen mitbringen; das wissen Sie so gut wie ich und werden um einer Grille willen nicht Ihre eigenen Hoffnungen und die anderer zerstören wollen.«
»Aber ich bin völlig unfähig, Sie zu verstehen!« rief Elisabeth aufgeregt. »Es fällt mir gar nicht ein, irgend eine Hoffnung mit jenem Namen in Verbindung zu bringen; am allerwenigsten aber begreife ich, wie die Wünsche oder das Geschick anderer abhängen sollten von dem Entschlusse eines so unbedeutenden armen Mädchens wie ich bin.«
»Sie sind nicht arm, liebes Kind,« erwiderte Helene. »Kommen Sie,« fuhr sie tief bewegt fort, »wir sind von heute an treue Schwestern! … Nicht wahr, lieber Rudolf,« wandte sie sich nicht ohne Verlegenheit an ihren Bruder, »auch du heißest Emils Braut willkommen in unserer Familie und erlaubst, daß ich schwesterlich mit ihr teile?«
»Ja,« klang es dumpf, aber fest herüber.
Elisabeth fuhr mit der Hand nach der Stirn, es klang so unglaublich, was sie eben gehört hatte … »Emils Braut« hatte Fräulein von Walde gesagt, und das sollte sie, sie sein – es war unmöglich. Hatten diese Menschen sich verschworen ihr einen fürchterlichen Schrecken einzujagen? … Und er, der wußte, daß sie Hollfeld verabscheue, er hielt zu jenen; er stand dort drüben mit untergeschlagenen Armen, ein Bild unerbittlicher Strenge und Zurückweisung. Er hatte die ganze Zeit unbeweglich gestanden und jetzt nur die Lippen geöffnet, um das Ja auszusprechen, das von beinahe zermalmender Wirkung für das junge Mädchen war. Hatte er nicht früher selbst in der rauhesten Weise ein Entgegenkommen seines Retters ihr gegenüber zu verhindern gesucht? … Wie ein leuchtender Blitz fuhr es plötzlich bei diesem Gedanken durch ihre Seele. Sie war jetzt von Adel, das erklärte alles. Hollfelds Stammbaum wurde nicht mehr verunehrt durch die bürgerlich Geborene; daher die Bereitwilligkeit der Verwandten ihn in seiner Werbung zu unterstützen; daher Helenes Besessenheit bei ihrer Erklärung, daß sie den ihr zugefallenen Namen verschmähe … Wie es aber zusammenhing, daß alle bereits ein völliges Einvernehmen zwischen ihr und dem Verhaßten voraussetzten, das zu ergründen war ihr im Augenblicke unmöglich; denn ihre Gedanken wirbelten in einem unaussprechlichen Aufruhre durcheinander. Nur eines war ihr klar: daß sie augenblicklich ohne Rückhalt jenes Ansinnen zurückweisen müsse.
»Ich sehe mich einem Mißverständnisse gegenüber, dessen Entstehen ich mir nicht enträtseln kann,« nahm sie das Wort in fliegender Hast. »Es wäre wohl Herrn von Hollfelds Pflicht, hier Ausklärung zu geben; da er es jedoch vorzieht, zu schweigen, so sehe ich mich genötigt, auszusprechen, daß er nie und nimmer irgend welches Versprechen von mir erhalten hat!«
»Aber, liebes Kind,« sagte Helene zögernd und verlegen, »haben wir nicht vorhin bei unserem Eintritte mit eigenen Augen gesehen, daß –« sie brach ab.
Wie ein Donnerschlag trafen Elisabeth diese Worte. In ihrer reinen, unschuldigen Seele war auch nicht einen Moment die Furcht aufgetaucht, daß jener Augenblick des Schreckens und der Hilflosigkeit mißverstanden werden könne, und nun mußte sie zu ihrem höchsten Schmerze erfahren, daß er ein abscheuliches Licht auf sie geworfen hatte … Sie wandte sich noch einmal rasch um nach Hollfeld; doch schon der eine Blick auf ihn belehrte sie, daß sie von diesem Seite keine Genugtuung, keine Ehrenrettung zu hoffen habe. Er lehnte, den anderen Anwesenden den Rücken halb zuwendend, wie ein ertappter Schulknabe am Fenster. Wären die Damen allein gewesen, so hätte er sich ohne Zweifel durch ein freches Lügengewebe zu helfen gesucht; allein Herrn von Waldes Anwesenheit lähmte ihn vollständig. Er begnügte sich, in einem zweifelhaften Schweigen zu verharren, welches die verschiedenartigsten Deutungen zuließ.
»Gott im Himmel, wie schrecklich!« rief das junge Mädchen außer sich und rang die Hände. »Sie haben gesehen,« fuhr sie, das Gesicht schamhaft senkend, nach einem tiefen Atemholen fort, »wie ein wehrloses Mädchen vergebens gestrebt hat, die Zudringlichkeiten eines Ehrlosen zurückzuweisen … Die Versicherung meiner tiefsten Verachtung, meiner völligen Abneigung vermochten nicht, ihn zu verscheuchen. Ich habe Herrn von Hollfeld diese Gesinnungen stets unverhohlen gezeigt, trotzdem –«
Ein starkes Geräusch hinter ihr ließ sie plötzlich verstummen. Helene war in das Sofa zurückgesunken, ihre Rechte klammerte sich krampfhaft an die Tischecke und zitterte so heftig, daß das auf der Platte stehende Porzellangeschirr aneinanderklirrte. Das Gesicht der jungen Dame war aschfarben; ihr erlöschender Blick irrte hinüber zu Hollfeld … Vergebens bemühte sie sich, ihrer tödlichen Bestürzung Herr zu werden, das Licht, das plötzlich auf ein Netz häßlicher Intriguen fiel, war zu grell; sein Strahl hatte etwas von der vernichtenden Gewalt des Blitzes für das bis dahin arglos vertrauende Gemüt Helenes.
Obgleich selbst in höchster Aufregung und im Begriffe, ihrer Entrüstung noch weiteren Ausdruck zu geben, fühlte Elisabeth doch sofort ihr Herz in innigem Mitleiden schmelzen bei dem Anblicke der jungen Dame.