Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


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verstummen. Eine Magd war unterdessen mit einem Korbe voll Spinat eingetreten und schickte sich an, das Gemüse auf dem Küchentisch vorzurichten. Die Majorin ging hinüber, schickte das Mädchen hinaus und schob den Riegel vor die Türe, die nach dem Flur führte, dann kehrte sie zurück.

      Dem jungen Mann klopfte das Herz zum Zerspringen, als diese Frau im langwallenden Trauerkleid mit dem völlig entfärbten, aber in jedem Zug entschlossenen Gesicht, festen, raschen Schrittes auf ihn zukam, um »kurzen Prozeß zu machen«. Unwillkürlich fuhr seine Hand nach dem Medaillon.

      Ein kaltes Lächeln glitt bei dieser Bewegung um die Lippen seiner Mutter. »Kannst ganz ruhig sein – das unanständige Präsent da berühre ich ganz gewiß nicht mit meinen ehrlichen Händen – man weiß, wo die Brillanten der Tänzerinnen herzustammen pflegen ... Du wirst so verständig sein, auf meinen Wunsch und Willen hin, das Geschenk eigenhändig abzulegen, wenn nicht – dann wird nach schlimmen Erfahrungen eine Stunde kommen, in welcher du es voller Ekel von dir wirfst –«

      »Nie!« rief er stürmisch, unter einem halb bitteren, halb jubelnden Auflachen – er hatte das Medaillon losgenestelt und drückte es inbrünstig an seine Lippen.

      »Narrenspossen!« murmelte der Rat grimmig zwischen den Zähnen, während die Augen der Majorin plötzlich in verhaltener Leidenschaft flimmerten – Eifersucht durchschütterte diese anscheinend in Kaltsinn und nüchterner Berechnung gefestete Natur. »Narrenspossen! –« wiederholte der Rat, als Felix das Andenken in der Brusttasche barg und mit zärtlich innigem Blick die Hand darauf preßte, als drücke er sein Mädchen selbst an das Herz. – »Schämst du dich gar nicht, vor uns ernsthaften Leuten solche Theaterstückchen aufzuführen? – Ich begreife überhaupt nicht, wo du den Mut hernimmst, hier auf dem Klostergute, deiner respektablen Familie gegenüber, dergleichen Liaisons zu erwähnen, von denen andere junge Leute aus gutem Hause nicht zu reden pflegen –«

      »Onkel!« unterbrach ihn der junge Mann, seiner nicht mehr mächtig.

      »Herr Referendar?!« höhnte der Rat kalt zurück. Er schlug die Arme unter, und sein blitzendes Auge fixierte unverwandt und verächtlich das glühende Gesicht des Neffen.

      »Du machst dich lächerlich mit deiner sittlichen Entrüstung, mein Sohn,« sagte die Majorin und griff gelassen nach der Rechten, die Felix in unwillkürlicher Drohung gehoben hatte. Sie war wieder der Gleichmut selbst; weder Sohn noch Bruder hatte die unheimliche Flamme in ihrem Blick bemerkt. »Der Onkel hat recht – es gehört Mut dazu, vor uns von dieser Menschenrasse zu sprechen –«

      »Mehr Mut ganz gewiß nicht, als meine arme Lucile braucht, um ihrer Familie die Liebe zu mir einzugestehen,« unterbrach sie der junge Mann erbittert. »Madame Fournier macht ein Haus in Berlin, wie eine Fürstin; ihre alte Mutter aus vornehmer, wenn auch verarmter Familie, präsidiert im Empfangssalon, den Persönlichkeiten aus den höchsten Ständen aufsuchen. Arnold von Schilling kann dir am besten sagen, daß wir beide in der glänzenden Gesellschaft meist sehr unbedeutende Nebenfiguren gewesen sind ... Und in diesem Kreise ist Lucile seit einem Jahre der Mittelpunkt, der Abgott aller. Sie ist schöner noch als ihre Mutter und ebenso talentvoll; für Mutter und Großmutter ist sie ein aufgehender Stern –«

      »Willst du mir nicht sagen, welche Rolle die Ehefrauen der Besucher in Madame Fourniers Salon spielen?« unterbrach die Majorin kurz und schneidend die Schilderung.

      Ihr Sohn schwieg bestürzt, und seine Augen suchten unsicher den Boden. »Die meisten dieser Herren sind unverheiratet –«

      »Und die verheirateten lassen ihre ehrbaren Frauen zu Hause,« ergänzte sie mit einem unbeschreiblichen Gemisch von unterdrücktem Groll und eisiger Verachtung. »Wenn du glaubst, mich mit der erzwungenen, kläglich nachgeäfften Vornehmheit dieses Tänzerinnensalons zu blenden, da irrst du dich gründlich – ich kenne die Lockerheit, den Sumpf hinter der gemalten Leinwand, und diese Kenntnis habe ich teuer genug erkauft.«

      Felix schrak zusammen vor dem grellen Licht, das diese Worte in das Dämmerdunkel seiner Kindererinnerungen, über gewisse unbegriffene Vorgänge im Königsberger Elternhause warfen – jetzt verstand er sie; jetzt wußte er, weshalb sich die Mutter, bis zur Unkenntlichkeit vermummt und verschleiert, spät abends von seinem Bettchen weggestohlen hatte – sie war heimlich dem Vater nachgegangen ... Diese Erkenntnis raubte ihm den letzten Rest von Hoffnung – es galt nicht allein mehr, gegen »spießbürgerliche Vorurteile« anzukämpfen, die beleidigte Ehefrau, die sich in ihren Rechten durch jene »Menschenklasse« beeinträchtigt gesehen hatte, stand in starrer Unversöhnlichkeit vor ihm. Dennoch überkam ihn eine Art von Verzweiflungsmut.

      »Ich darf und will dein strenges Urteil nicht anfechten, weil ich nicht weiß, was du erlebt hast,« sagte er, sich die äußere Fassung erzwingend. »Im Grunde denke ich ja ähnlich – obgleich ich schwören kann, daß im Fournierschen Hause Anstand und Sitte nie verletzt werden – aber ich will auch mein Mädchen nicht von der Bühne weg heiraten, und deshalb bin ich jetzt hierhergekommen ... Lucile hat die Bretter noch nicht betreten, obgleich sie bereits als vollendete Künstlerin gilt. Madame Fournier, deren Stern im Erbleichen ist, hat sie selbst unterrichtet; sie glaubt so fest an eine große Zukunft ihrer Tochter, die sie allerdings mit auszubeuten wünscht, daß sie selbst die ernstgemeinten Bewerbungen des Grafen L. um Luciles Hand ignoriert... Lucile soll in der nächsten Zeit debütieren, und dem muß ich um jeden Preis zuvorkommen –«

      »Tanzt das Mädchen gern?« warf die Majorin trocken ein.

      »Ja, leidenschaftlich gern. Aber sie will der eigenen Lust am Beruf, dem Ruhm und Glanz einer solchen Laufbahn entsagen um meinetwillen –« seine Stimme sank und schmolz dabei in Weichheit und Zärtlichkeit – »du kannst danach ermessen, wie lieb sie mich hat, Mama.«

      Ein ausdrucksvolles, spöttisches Kopfnicken der Majorin war die Antwort.

      »Und die ausbeutelustige Mama in Berlin hat, wie mir allmählich klar wird, keine Ahnung von diesen beglückenden Plänen und Wünschen?« fragte der Rat.

      »Nein,« antwortete Felix gepreßt – es lag so viel aufreizender Hohn in jeder Bewegung, jedem Ton der Inquirierenden. Dennoch bezähmte er sich und setzte hinzu: »Ich muß als ehrlicher Mann erst feststellen, was ich Madame Fourniers eigenen Plänen und den Bewerbungen des anderen Freiers gegenüber in die Wagschale legen darf...«

      »Nun, darüber kannst du doch unmöglich im unklaren sein,« sagte der Rat. »Ich dächte, deine Besoldung als Referendar ließe sich unschwer beziffern – sie dürfte just ausreichen, um Mademoiselle Fourniers Stecknadelbedarf zu bestreiten.«

      Eine Flamme der Entrüstung ... der zornigen Scham schlug über das Gesicht des jungen Mannes hin; aber noch hielt er an sich. »Ich bin entschlossen, aus dem Staatsdienst zu scheiden und mich hier in der Stadt als Notar niederzulassen –«

      In diesem Augenblicke legte sich die Hand der Majorin schwer auf seine Schulter, und noch nie hatte ihm die Stimme seiner strengen Mutter so unerbittlich, so vernichtend geklungen, als jetzt, wo sie sagte: »Besinne dich, Felix – ich vermute, du sprichst im Fieber! Um die Nebel in deinem Kopfe gründlich zu zerstreuen, will ich dir klarmachen, was du dieser Madame Fournier, die ein Haus macht wie eine Fürstin, die eine hochadelige Partie für ihre Tochter zurückweist, und millionenfachen Reichtum von den Ballettsprüngen ihrer Schülerin erwartet, der strengen Wahrheit gemäß zu sagen haben wirst: Ich habe keine Laufbahn vor mir, besitze keinen Heller eigenen Vermögens und muß von dem leben, was mir meine Klienten einbringen. Ihre Prinzessin Tochter wird die Kochschürze umbinden und wohl oder übel schadhafte Wäsche ausbessern müssen; ihre gesellschaftlichen Talente kann sie bei mir nicht verwerten; denn die gute Stube eines unbemittelten Notars ist kein Empfangsalon, in dem sich hochgräflicher Besuch einzufinden pflegt – meiner Mutter aber darf ich sie nie vor die Augen bringen.«

      »Oh, Mutter!« rief der junge Mann.

      »Mein Sohn,« fuhr sie fort, ohne den Aufschrei voll Schmerz und Qual zu beachten, »du wünschtest vorhin, reich, sehr reich zu sein, und wie ich jetzt verstehe, hattest du allen Grund dazu, denn ein ›fürstlicher‹ Haushalt kostet Geld. Du meinst nun, das Vermögen deiner Mutter falle bedeutend in die Wagschale, und darin hast du vielleicht nicht ganz unrecht; aber dieses Vermögen