die Treppe hinab.
Sofort öffneten sich verschiedene Türen. Aus der einen trat die Amme, den kleinen Veit im Arme, durch die breite Spalte der Küchentüre guckten die Köpfe zweier Mägde, und auf der Schwelle der »Amtsstube« stand die Majorin, vollbeleuchtet von der schräg gegenüber hängenden Wandlampe.
»Was gibt's?« fragte sie in ihrem gewohnten kurzen, herrischen Ton, ohne die Türstufe zu verlassen.
Felix war der jungen Dame nachgesprungen und hielt die an allen Gliedern Zitternde in den Armen. »Beruhige dich, Lucile! – Wie magst du dich über eine harmlose Katze dermaßen erschrecken?«
»Oh – eine Katze? – Wer's glaubt!« stammelte sie, Zorn und halbverschluckte Tränen in der Stimme. »Dieses entsetzliche, alte Klosternest! – Mönchsseelen sind's, die in den Ecken hocken und einem den Tod einjagen!«
Die Mägde kicherten, und die Amme kam ungeniert herbei, um die furchtsame Dame näher anzusehen, die den alten Hauskater für ein Mönchsgespenst hielt. – Diese dreiste Ungehörigkeit, die auch die anderen Mägde ermutigte, aus der Küche zu treten, war nicht zu dulden.
Die Majorin verließ die Schwelle, durchmaß mit raschen, festen Schritten den Hausflur, schob die erschrockenen Mägde in die Küche hinein und schloß hinter ihnen die Tür. »Und Sie gehen augenblicklich in die Schlafstube zurück, wo Ihr Platz ist, Trine!« gebot sie, und die widerstrebende, frech stehenbleibende Person ohne weiteres mit kraftvollen Händen an den breiten Schultern fassend, dirigierte sie dieselbe nach dem verlassenen Zimmer.
Der Hausflur war leer. »Und nun mache dem Skandal ein Ende!« sagte die Majorin zu ihrem Sohne und zeigte gebieterisch nach dem Ausgang.
Jetzt erst sah er, wie ihr totenbleiches Gesicht in Grimm und Schmerz förmlich versteinert war – dieser Anblick erschütterte ihn in tiefster Seele.
»Mama!« rief er in flehentlicher Bitte.
»Wie, Felix, ist das deine Mama?« fragte Lucile, sich erstaunt aus seinem Arm windend, und blickte mit großen Augen zu der Frau empor, die, ein so prachtvolles Haardiadem über der weißen Stirne, so modern elegant gekleidet, in imposanter Schönheit neben dem Sohne stand. »Geh, ich bin böse, Felix! Du hast mir nie gesagt, daß du ein so wunderhübsche Mama hast – ich habe Sie mir nie anders als mit krummem Rücken und einer großen Haube auf dem Kopfe denken können, Madame!« Sie lachte belustigt auf – das Mönchsgespenst war vergessen. »Oh, wie ganz anders sehen Sie aus! So präsentabel, so sehr stolz und vornehm! ... Und da hat mir Felix weismachen wollen, Sie seien durchaus nicht dazu angetan, einen Gast wie mich zu empfangen!«
»Er hat die strikte Wahrheit gesagt, Fräulein,« versetzte die Majorin mit eisiger Kälte, und sich gemessen abwendend, sagte sie mit einer leichten, aber bedeutungsvollen Neigung des Kopfes nach der jungen Dame hin, zu ihrem Sohne: »Der beste Beweis meiner heutigen Aussprüche! ... Als mir der ungebetene Besuch in meinem Zimmer angezeigt wurde, da kam mir der lebhafte Wunsch, von meinem guten Recht in nicht sehr sanfter Weise Gebrauch zu machen. Aber ich sagte mir, daß einem Manne von Ehre, der auf Wahrung der Frauenwürde und Anstand hält, von selbst die Augen aufgehen würden bei einer solchen beispiellosen Dreistigkeit ... Hoffentlich bist du für immer geheilt! ... Jetzt gehe! Und kommst du allein zu mir zurück, dann – soll alles vergeben und vergessen sein.« Die letzten Sätze sprach sie mit erhobener Stimme, und in den strengen Befehlston mischte sich ein Klang, den Felix noch nie von diesen Lippen gehört hatte, die Bitte eines angstzitternden Mutterherzens.
Während sie sprach, hatte Lucile vergeblich versucht, den Schleier zurückzuschlagen, – die große, goldene Hutnadel hatte ihn gefaßt, er lag festgespannt über dem Gesicht – sie fühlte das brennende Verlangen, der imponierenden Frau mit dem bitterernsten Gesicht zu zeigen, wie schön sie sei... Bei diesen Bemühungen hörte sie anfänglich nur mit halbem Ohr auf das, was die Majorin sagte – ein Verständnis dafür hätte sie aber auch bei ungeteilter Aufmerksamkeit absolut nicht gehabt. Sie, die Gefeierte, Vergötterte, um die sich die aristokratischen Gäste im eleganten Salon der Mama huldigend drängten, sie, das Schoßkind des Glückes, auf dessen Wink die Dienerschaft flog, das daheim unter einem rosa-atlassenen Betthimmel schlief, sie hätte sich doch nicht träumen lassen, daß sie hier in dieser niegesehenen spießbürgerlichen Umgebung eine Niederlage erlitte, wie sie demütigender nicht gedacht werden konnte! ... Bei den letzten, mit so großem Nachdruck gesprochenen Worten der Majorin aber fuhr sie plötzlich empor; ihre Hände sanken von dem widerspenstigen Schleier nieder, sie schob ihren Arm in den ihres Begleiters und schmiegte sich weich und geschmeidig wie ein schmeichelndes Kätzchen an seine hohe Gestalt.
»Was hat denn mein armer Felix verbrochen, daß Sie von Vergeben und Vergessen sprechen?« fragte sie. »Und allein soll er wiederkommen? – Das geht nicht, Madame! ... Er führt mich jetzt in den Schillingshof, und dort, in dem wildfremden Hause kann er mich doch unmöglich allein lassen – das werden Sie einsehen.« – Der ganze Übermut, der in ihrem frischen, heißen Blut mitschäumte, das unzerstörbare Selbstbewußtsein des von der Natur mit kostbaren Gaben überschütteten Menschenkindes sprachen aus der graziös trotzigen Gebärde, mit der sie in diesem Augenblick den reizenden Lockenkopf hob. »Ich erlaube es ihm auch gar nicht, müssen Sie wissen – und es bleibt ihm auch keine Zeit. Wir werden uns sofort trauen lassen, wo und in welcher Kirche, ob hier, oder in England – gleichviel – es muß eben sofort geschehen, weil wir uns um jeden Preis der Mama gleich als Mann und Frau vorstellen müssen – dann hat ihr Einspruch keine Macht mehr.«
Ein rauhes Auflachen ließ sie zusammenschrecken. Sie hatte bis dahin den Rat nicht bemerkt, der in dem tiefdämmernden Amtszimmer, unweit der offenen Tür gestanden und die Vorgänge in dem Hausflur mit gespanntem Interesse verfolgt hatte. Nun war er um einen Schritt näher in den hellen Lampenschein getreten; den linken Fuß vorgestreckt, die Arme unterschlagen, und den Ausdruck des verhallenden Hohngelächters noch auf dem schmalen, geistreichen Gesicht, stand der schlanke, hochgebaute Mann in spöttischer Überlegenheit an der Schwelle, als mache er sich lustig über die Narrheit der ganzen Welt.
Lucile klammerte sich fester an den Arm des jungen Mannes. »Ach, Felix, komm, – wir wollen gehen!« drängte sie mit ängstlich klagender Stimme vorwärts; aber die Majorin streckte ihr zurückweisend den Arm entgegen. Diese Bewegung war eine vollkommen ruhige, gebieterische, wenn auch der unnatürlich flimmernde Glanz der weitgeöffneten Augen von einem gewaltigen inneren Sturm zeugte.
»Ich möchte nur das eine wissen,« – sagte sie kurz und gepreßt, als koste es sie namenlose Überwindung, das Mädchen anzureden; – »sind Sie im Ernste so harmlos, zu denken, es stehe einzig und allein Madame Fournier die Macht zu, Einspruch zu tun?«
»Aber ich bitte Sie – wem denn sonst?« rief die junge Dame wie aus den Wolken gefallen. »Papa und Mama sind in aller Form geschieden – Herr Fournier hat auch nicht das allermindeste Anrecht mehr an mich. Ich würde ihm auch nicht gehorchen; er verdient es nicht – er hat eines Tages Mama heimlich verlassen.«
»Klassische Bühnennaivität!« scholl es sarkastisch vom Amtszimmer her, während die Majorin sich abwandte, als habe ihr das zierliche, sylphenhafte Wesen mit der zarten Hand einen Faustschlag in das Gesicht versetzt.
»Vergib, Mama, und – lebe wohl!« sagte Felix in bebenden Tönen, aber auch mit voller Entschlossenheit, um dem Auftritt, der auf einen furchtbaren Zusammenstoß hinauszulaufen drohte, ein rasches Ende zu machen.
»Also direkt in die Ehe, Herr Referendar?« lachte der Rat herüber.
Der junge Mann erwiderte keine Silbe, nicht mit einem Blick streifte er den Sprechenden. Bitter lächelnd ließ er die Rechte sinken, die seine Mutter zurückwies.
»Sieh mich an!« gebot sie, sich gewaltsam bezwingend. »Sieh mich an!« Das war einst die Formel gewesen, mit der sie die Sünden des heimlichen Versemachens, des verbotenen Komödienspielens mit anderen Kindern auf dem Hausboden des Schillingshofes, aus dem weichherzig nachgiebigen Knaben herausgelockt hatte – und so kam ihr das geläufige Wort auch jetzt wie unwillkürlich auf die Lippen. »Sieh mich an, Felix, und dann frage dich selbst, ob du mir, mir, eine Frau zuführen darfst, die –«
»Mama, vollende nicht!« unterbrach