Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


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Seitenblick nach dem unheimlichen Amtszimmer an seine Brust gelehnt hatte.

      Dieser Anblick war nicht zu ertragen. In die natürliche mütterliche Eifersucht mischte sich die gekränkte Eigenliebe einer selbstsüchtigen Frauennatur, die selbst vom Sohne herrisch verlangte: »Du sollst nicht andere Götter haben neben mir!« Es war nicht allein mehr die verachtete Tänzerin, es war weit eher noch das schöne, an seinem Herzen ruhende weibliche Wesen, das sie mit unauslöschlichem Haß verfolgte – zu ihrem eigenen Befremden – bis dahin hatte ihr der Gedanke an eine Wahl ihres Sohnes das Herz nicht berührt. Und nun dieser furchtbare innere Sturm, der ihr den letzten Rest äußeren Gleichmutes raubte ! ...

      Sie wußte, daß hinter jeder Tür gespannte Ohren, an jedem Schlüsselloch wißbegierige Augen lauerten; sie mußte sich sagen, daß morgen die Familienszene in dem Hausflur des Klostergutes durch das Gesinde nach allen Richtungen in die Welt hinausgetragen wurde, und doch gab sie sich der Leidenschaft hin, die ihre Stimme erschütternd anschwellen, ihre Gebärden furchterweckend machte.

      »Da sieht man, wie schnell ein Kind seine Mutter verläßt!« rief sie mit zuckenden Lippen. »Bei so schwarzem Undank muß jeder Frau der Wunsch vergehen, einem Kinde das Leben zu geben! Habe ich deshalb die Nächte an deinem Krankenbette verwacht, nur deshalb dich mit Mühen und Opfern großgezogen, damit ich der ersten besten, jungen Kreatur weichen muß, die die Kinderschuhe kaum ausgetreten hat? ... Wenn auch nur ein Funke von Dank, von Rechtsgefühl in dir lebt, so hältst du zu mir – ich will keine Tochter!«

      In scheuer Bestürzung streifte der Blick des jungen Mannes die empörte Mutter – bei dieser plötzlich und maßlos hervorbrechenden, ungerechtfertigten Eifersucht, dieser unerhörten Beschlagnahme des ganzen Menschen, als ihres angeketteten Eigentums, mußte er an seinen unglücklichen, verschollenen Vater denken; der grenzenlose Egoismus seitens der Frau mochte die Ehe gesprengt haben ... Diese Überzeugung stählte seine Widerstandskraft. »Dein Appell an meine Kindespflicht ist weit härter und ungehöriger, als wenn du verlangtest, ich solle mir aus Liebe zu dir die Augen ausstechen lassen –«

      »Phrase!« rief der Rat herüber.

      »Wie kannst du mich noch einmal einer Wahl gegenüberstellen, die längst entschieden ist?« fuhr er, den höhnischen Einwurf vom Amtszimmer her völlig ignorierend, mit gesteigerter Stimme fort. »Lucile hat sich unter meinen Schutz gestellt – ich habe zu ihr zu halten von Gott und Rechts wegen! Oder willst du mich zum Schurken machen, der ein liebevoll vertrauendes Mädchen hilflos in Nacht und Nebel hinausstößt, damit er am warmen, geschützten Herd der Mutter bleiben darf? ... Mutter!« bat er nochmals weich und flehend. »Wenn du ihr die Aufnahme verweigerst, so verlierst du deinen Sohn –«

      »Lieber gar kein Kind, als ein entartetes.«

      »Aber ich begreife dich nicht, Felix – wie magst du dich so quälen lassen!« rief Lucile aufgebracht und entschlossen. Sie hatte längst den furchtsam hingeschmiegten Kopf erhoben, und ihre Augen funkelten in grünspielendem Feuer durch das Schleiergewebe. »Madame, Sie sind eine herzlose Frau!«

      »Lucile!« unterbrach sie der junge Mann erschrocken, indem er sie an sich zu ziehen suchte.

      »O nein, Felix, lasse mich! Das muß gesagt sein!« – rief sie und schob seine Hände zurück. – »Es ist zu lächerlich, zu unglaublich; aber ich sehe und höre es doch mit meinen eigenen Augen und Ohren – und da muß es wohl so sein!... Madame, Sie bilden sich offenbar ein, ich müsse es für eine Ehre halten, hier aufgenommen zu werden – großer Gott! – in diesem Hause!... Und wenn Sie mir alle Schätze der Welt versprechen wollten, ich bliebe nicht bei Ihnen!« – Sie zog ihren Hut zornig in die Stirne, bei welcher Bewegung die steinbesetzten Armbänder am Handgelenk im Lampenlicht auffunkelten. »Sie haben mich vorhin eine junge Kreatur genannt – oh, ich muß sehr bitten, – so schilt man in unserem Hause nicht einmal die Spülmagd! ... Danken wir Gott, Madame, daß mich die Großmama nicht in dieser Situation erblickt – sie würde Ihnen sofort klarmachen, welche von uns beiden sich herabläßt!«

      Die Majorin starrte das Mädchen wortlos an, dessen jugendliche Stimme wie ein feingeschliffenes Messer ihr Gefühl berührte, und der Rat brach in ein schallendes Gelächter aus.

      »Oh, lachen Sie immerhin, mein Herr – ganz wie es Ihnen gefällt!« rief die junge Dame erbittert hinüber.

      »Madame Lucian ist doch die Verlierende. Felix ist mein – wir lassen nicht voneinander!«

      »Still, Lucile!« gebot Felix und zog tieferblaßt, mit ernst verweilender Miene ihren Arm fest in den seinen. »Mama, dieses nicht zu billigende Auftreten meiner Braut hast du selbst hervorgerufen – du hast sie unverantwortlich gereizt.« »So mag sie gehen, die – Theaterprinzessin –« »Nicht ohne mich! – Komm, mein Kind!« Die Majorin hob unwillkürlich die Arme, und ihr Blick flog, wie Beistand suchend, nach ihrem Bruder hinüber. »Laß sie laufen, Therese! Du verlierst nichts – sie sind beide keinen Schuß Pulver wert!« rief er ihr brutal und verächtlich zu.

      Sie trat zurück und gab den Weg frei, und als ob die rohe Verurteilung seitens ihres Bruders sie urplötzlich beschämend aus ihrem Leidenschaftsrausch aufgerüttelt und ihr die kalte Besonnenheit zurückgegeben habe, streckte sie den Arm gegen den Ausgang hin und sagte mit unnatürlicher Ruhe zu ihrem Sohne: »Gut – du kannst gehen, mit wem, und wohin es dir beliebt! – Nur sorge dafür, daß ein weiter Raum zwischen uns liegt; denn ich will dich nie wieder sehen, nie! – Selbst nach dem Tode nicht!

      – Fort mit dir!«

      Damit schritt sie rasch und ohne sich umzusehen, die Treppe nach dem oberen Stockwerk hinauf, während die Tür des Amtszimmers zuflog.

      »Gott sei Dank, daß wir diese Mördergrube im Rücken haben!« sagte Lucile zu dem jungen Mann, der stumm und schwer atmend mit ihr den Vorderhof durchschritt. Ihre kindlich helle Stimme klang noch bitterböse, und die nach dem Hause zurückdeutende Hand ballte sich zur kleinen drohenden Faust. Aber sie duckte sich auch sofort wieder furchtsam nieder, denn noch waren sie im Bannkreis der »Mördergrube«, aus deren tiefen Fensterhöhlen sich jeden Augenblick noch der Knochenarm eines büßenden Mönches unendlich lang herüberstrecken und ihr Genick eiskalt berühren konnte; noch trennte die hohe, finstere Mauer den Klosterhof von der offenen Straße, und seitwärts unter den dichtverschränkten Lindenwipfeln ballten sich die Schatten der Nacht zu hockenden Gestalten, – es rauschte leise von dorther wie verdächtiges Stimmengemurmel, und der Wasserstrahl des Laufbrunnens glitzerte durch das nächtliche Dämmerdunkel, wie ein breites, gezücktes Schlachtmesser.

      Die kleine Klosterpforte war rasselnd hinter ihnen zugefallen, und nun, ihre kleine Person in vollkommener Sicherheit wissend, blieb Lucile stehen. »Puh, was für Menschen!« rief sie und rüttelte und schüttelte unter drollig trotzigen Gebärden die biegsame, seidenrauschende Gestalt, als wolle sie aus jeder Kleiderfalte den dicken Klosterstaub und von der Seele die häßlichen Eindrücke schütteln. »Armer Felix, du bist ja in einem wahren Zuchthause aufgewachsen! – Eine schöne Verwandtschaft, das nimm mir nicht übel! Und das nennt sich Mutter! Und der schreckliche Mensch, der immer wie Samiel im Freischütz so teuflisch aus der Kulisse lachte –«

      »Mein Onkel, Lucile!« unterbrach sie Felix nachdrücklich, wenn auch mit vor Aufregung halb erstickter Stimme.

      »Ach was! – Für einen solchen Onkel danke ich !« entgegnete sie ungeduldig. »Du bist viel zu gut und sanft, Felix; du hast dir jedenfalls stets zu viel gefallen lassen, und nun sollst du nicht einmal heiraten, und die Frau Mama möchte dich alles Ernstes als alten Junggesellen ins Haus stiften, der ihr zeitlebens das Garn wickelt und beim Gemüseputzen hilft – oh, da sind wir auch noch da, Madame! ... Was für eine hochmütige Frau! Vermutlich, weil sie noch hübsch ist – bah, was nützt das bei solchem Alter! Und alt ist sie, alt wie die Mama, die auch schon längst mit der Puderquaste die Löcher in der Haut ausfüllt ... Jung sein – ja, das ist die Hauptsache; und wir sind jung, Felix, blutjung, gelt? – Und darum beneiden uns die Alten.«

      Er antwortete nicht. Ihm, für den sonst die übermütige Silberstimme der Geliebten ein Quell berauschender Melodien war, ihm flog ihr Geplauder in diesem Augenblick unverstanden und wirkungslos am Ohre hin – der Schmerz über die stattgehabten Auftritte mit seiner