Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


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      Bald darauf hörte man draußen Männerschritte langsam durch die Galerie kommen ... Minka, die sich bei dem Donnerrollen halb und halb in die Kleiderfalten ihrer Herrin verkrochen hatte, schlüpfte schleunigst und Grimassen schneidend in ihre dunkle Fensterecke; auf dem Teetisch klirrte der silberne Kessel in den Händen der jungen Frau, und Lucile trat vom Fenster zurück und ließ die Gardinen wieder zusammenfallen, hinter denen das Unwetter draußen weitertobte – sie fürchtete sich nicht. So abergläubisch und furchtsam sie war in bezug auf unheimliches, nächtliches Spuken und Treiben zwischen Himmel und Erde, so wenig zitterte sie vor dem Walten der Naturkräfte. Je toller es in den Lüften zuging, desto »amüsanter« war es – sie fühlte sich als unbeteiligte Zuschauerin, denn an sie konnten doch unmöglich Tod und Vernichtung herantreten.

      Sie war vor der niederhängenden Gardine stehen geblieben, vorteilhafter konnte sich das feingliederige Elfenkind mit den herabrollenden Locken voll goldbraunen Glanzes nicht präsentieren, als auf diesem grün- und metallischschillernden, malerischen Faltenwurf, den das Spitzenmuster gleichsam weiß überschneite.

      Der alte Freiherr Krafft von Schilling trat in die durch den Bedienten weit zurückgeschlagene Tür. Er stützte sich, wie es schien, mit seiner ganzen Schwere auf Felix Lucians Arm, denn ein Schlaganfall hatte ihm das rechte Bein gelähmt ... Trotzdem war er eine gewaltige Erscheinung mit seiner breiten Brust und dein frisch geröteten Gesicht voll Humor und Lebenslust.

      »Sapperment! Die kleine Ausreißerin dort wäre auch nach meinem Geschmack, Felix!« rief er, überrascht auf der Schwelle stehen bleibend – er strich sich schmunzelnd den starken, graumelierten Lippenbart. »Ein ganz scharmantes Kind – eine berückende kleine Hexe!«

      Die derbe Schmeichelei, ja, schon der Klang dieser ungeniert lauten, kräftigen Männerstimme brachten das erbitterte junge Mädchen sogleich wieder in das gewohnte Fahrwasser. Wie eine hingewirbelte Schneeflocke huschte sie über den Teppich und knickste schelmisch à la Goßmann vor dem alten Herrn.

      Sein Blick hing wie verzaubert an ihr: »Schau, solch ein seltenes Zugvögelchen hat der Schillingshof seit Menschengedenken nicht gesehen! – Das erquickt einem alten, einsamen Patron wie mir Herz und Augen! ... Na, es ist ins rechte Netz geflogen – wollen schon weiterhelfen – nur Mut!«

      Er lenkte seine Schritte nach dem Teetisch. »Nun sage mir aber, Klementine, weshalb du uns ganz außer Atem da herüberjagst – brennt's? oder hast du gar Angst vor dem Gewitter? Das tut dir nichts – wir haben einen Blitzableiter auf dem Dache.« – Das alles sagte er scherzend, in seiner drastisch jovialen Art; aber in Blick und Haltung lag auch eine entschiedene Auflehnung gegen das Kommando der Frau Schwiegertochter.

      Die Baronin goß Tee in eine Tasse und hob dabei flüchtig die Augen nach der altertümlichen Standuhr. »Es ist unsere Teestunde – nicht um eine Minute früher,« sagte sie mit ihrer füllen Miene.

      Er zog die dicken, graubereiften Brauen finster zusammen. »Ganz schön, mein Kind,« versetzte er mit hörbarem Ärger. »Als alter Soldat bin ich auch ein Freund der Pünktlichkeit; aber ich hab' mich nie nach dem Hausbrauch drillen lassen – auch von meiner guten Frau nicht – und der dort –« er deutete nach dem Uhrzeiger – »darf mich nicht tyrannisieren, am allerwenigsten aber, wenn ich mitten in einer Besprechung bin, wie vorhin – verstanden, junges Frauchen?«

      Langsam ließ er seine schwere Gestalt in einen hochlehnigen Armstuhl am Teetisch sinken und winkte Lucile auf einen Schemel an seine Seite. Bei diesem Anblick griff die Baronin mit gesenkten Lidern nach der Tischglocke und befahl dem eintretenden Bedienten, noch zwei Kuverts aufzulegen – auffallender konnte es nicht an den Tag gelegt werden, daß die Hausfrau bis zu diesem Augenblick nicht auf Gäste gerechnet hatte.

      Baron Schilling saß neben ihr, seinem Vater schräg gegenüber. Vater und Sohn sahen sich sehr ähnlich; sie waren wie alle Schillings nicht durch besondere Schönheit ausgezeichnet ... Oben im Mittelsaal über dem Portale des Säulenhauses hingen Bilder aus der Zeit, da das alte Geschlecht noch auf seiner Ritterburg gehaust hatte. Schon damals waren die zu volle, kirschrote Unterlippe, die kantige Stirn und die starke, charakteristisch deutsche Nase die Familiensignatur gewesen – es waren kraft- und lebensvolle Trotzköpfe auf wahren Reckengestalten, die dazu geboren schienen, in schwerer Rüstung zu kämpfen. Auch die zwei letzten gehörten in jeder Linie zu ihnen, nur war das ursprünglich starre, gelbe, dem reifenden Weizenfelde gleichende Haar beim alten Freiherrn zum dunklen, jetzt graugesprenkelten Blond geworden, während der Sohn mit seinem krausen, schwarzbraunen Kopf- und Barthaar nahezu für einen Südländer gelten konnte ... Das große, feurigblaue Auge aber, das oben auf den Bildern durch einen stolzen, sicheren Falkenblick imponierte, hatten beide gemein; beim alten Herrn strahlte es schalkhaft, sinnlich glühend, voll Leichtlebigkeit in die Welt hinein – der Sohn hielt es meist gesenkt, als schaue es nach innen.

      Seine junge Frau reichte ihm eine Tasse Tee hin, und mit einem prüfenden Aufblick nach ihrem Gesicht hielt er die spendende, schlanke Hand einen Augenblick fest. »Dir spielt das Gewitter mit, Klementine – du leidest?« fragte er freundlich teilnehmend.

      Sie zog ihre Hand zurück und stellte die Tasse auf den Tisch vor ihm nieder, während sie den Kopf mit dem Ausdruck des Widerwillens seitwärts bog. »Ich habe Schwindel, du bringst wieder einmal den unleidlichen Farben- und Ölgeruch aus deinem sogenannten Atelier mit,« sagte sie erregt.

      Der alte Freiherr wurde dunkelrot im Gesicht. »Hm – läßt sich vielleicht das geringschätzende ›sogenannte‹ in ›lächerliche Dilettantenanmaßung‹ übersetzen, Klementine?« fragte er scharf, und sich mit beiden Händen auf die Armlehnen stützend, richtete er den Oberkörper gespannt und herausfordernd in die Höhe.

      »Du hast Klementine mißverstanden, Papa; sie will damit nur das allerdings notdürftige Arbeitslokal bezeichnen, das mir vorläufig die Dachstube mit dem rasch improvisierten Oberlicht sein muß,« sagte sein Sohn mit Nachdruck, und sein weitaufgeschlagenes Auge fixierte stolz das Gesicht der jungen Frau.

      Sie hielt den Blick mit einem schattenhaft um den Mund irrenden, spöttischen Lächeln aus und schüttelte den Kopf, als sei sie entschieden nicht gewillt, den eigentlichen Sinn ihrer Worte auch nur um ein Jota verdrehen zu lassen. Es war überraschend zu sehen, wie ein starrer Eigenwille jeden Muskel dieser scheinbar schlaffen, energielosen Nonnengestalt urplötzlich spannte und belebte.

      »Da hast du's, Arnold!« lachte der Freiherr grimmig auf. »Nun kannst du dich abermals aufsetzen, und noch dazu gegen Frauenvorurteil – o je!« – Er fuhr sich mit komischer Verzweiflung in das dicke, volle Grauhaar hinter dem Ohr. »Hab's übrigens nicht viel besser gemacht... Schau, meine liebe Klementine, ich bin blind – deutsch herausgesagt –, ein Einfaltspinsel gewesen, weil ich Arnolds Begabung nicht verstanden habe. Na, gar so verwunderlich ist's im Grunde nicht, denn wir Schillings haben eigentlich immer zu den schönen Künsten gepaßt wie der Esel zum Lautenschlagen. Gerade aus dem Grunde habe ich aus Leibeskräften gegen die ›Kleckserei‹ protestiert, und da hat's der arme Kerl hinter meinem Rücken tun müssen ... Nun schreiben sie mir aus Berlin, mein Sohn werde eine große Karriere machen, und ich muß mich schämen vor den Leuten, schämen wie ein begossener Pudel ... Hätte ich nur die blasse Ahnung davon gehabt, was in meinem Jungen steckt, da – na, da war' vieles anders gekommen.«

      Ein dunkler Seitenblick aus den grauen Augen traf ihn. »Ach so, du meinst, Papa, der Malerpinsel hätte die letzten Schillings reichlich ernähren können?« –

      »Klementine!« unterbrach sie der junge Mann rasch mit tiefverfinstertem Gesicht.

      »Ich bitte dich, brause doch nicht so auf. Arnold!« klagte sie und fuhr mit der Hand leicht nach dem Ohr, als berühre sie der Klang dieser schönen, tönenden Männerstimme peinvoll. Sie war offenbar nervenleidend und augenblicklich in sehr gesteigerter Aufregung; aber sie schwieg nicht. – »Sage doch selbst, ob du von dem Honorar leben könntest, das dir die Leute aus der – der Demimonde zu zahlen vermögen? ... Zum Exempel, was hat dir die Desdemona im weißen Atlaskleide eingetragen?« – Unter der nervös aufzuckenden Oberlippe glänzten perlweiße, aber lange Zähne.

      Jenes charakteristische Lächeln, das schon in der Flurhalle