für die »Demimonde« eine allerliebste Wahrheit ins Gesicht zu sagen.
»Das Bild hat mir nach vielen gescheiterten Versuchen das Glücksgefühl eingetragen, die rührende Gestalt der unglücklichen Dogentochter doch annähernd so veranschaulicht zu haben, wie sie in meiner Phantasie lebt,« sagte er mit heiterer Ruhe. »Madame Fournier hat ein herrliches Profil, und ihre Aufopferung, ihre Geduld, sich während der Sitzungen zu langweilen –«
»Zu langweilen?!« wiederholte die Baronin unter einem leisen, hysterischen Auflachen. »Es ist schlimm, Arnold, ja, es führt zu Täuschung und Betrug in der Ehe, wenn vor der Verheiratung eines vom anderen so wenig erfährt, wie zum Beispiel wir beide.« setzte sie gleich darauf hinzu – ihre schwache Stimme erstickte fast in Bitterkeit.
Der Freiherr war eben im Begriff, ein Ei aufzuklopfen – wie auf einen Ruck hielt er inne; mit seinem mächtigen Kopf, in dem die Augen unter den tiefgefalteten Brauen grimmig funkelten, sah er aus wie ein zornig knurrender Löwe. Er hatte offenbar eine sehr derbe Antwort auf den Lippen, aber er bezwang sich. »Zum Kuckuck auch, da höre ich ja etwas ganz Neues!« sagte er anscheinend humoristisch. »Also Arnold weiß nicht genug von deiner Vergangenheit? Wozu denn aber auch, kleine Frau? Die Verheiratung ist ja doch kein Eintritt in ein Geschäft oder dergleichen, bei welchem man einen schriftlichen Lebenslauf abzugeben hat! ... Du bist zwar bis zu deinem siebzehnten Jahre im Kloster erzogen worden; aber wir setzen trotzdem anständigerweise voraus, daß da alles mit rechten Dingen zugegangen ist – oder nicht, Klementine? Wie?!« –
Die Baronin war bis dahin, selbst bei ihren schneidend und boshaft betonten Bemerkungen ihren Obliegenheiten als Herrin am Teetisch pünktlich nachgekommen – jetzt zog sie ihr Taschentuch hervor und drückte es mit zitternder Hand wiederholt an Mund und Stirne, als errege sie die anzügliche, derbe Ausdrucksweise ihres Schwiegervaters bis zur Ohnmacht, oder auch, als befürchte sie Blutspucken.
Baron Schilling sah seinen Vater vorwurfsvoll bittend an und zog die Hand seiner Frau liebreich an sich. »Du darfst meiner Vergangenheit ebenso ruhig vertrauen, wie der Zukunft, die du an meiner Seite verleben wirst,« sagte er mild und freundlich, wie ein treuer, zartfühlender Bruder, der über die weiblichen Schwächen einer Schwester nachsichtsvoll hinwegsieht. »Du wirst dich auch allmählich in die Überzeugung einleben, daß mich mein Streben mit allen Schichten der menschlichen Gesellschaft in Berührung bringen muß. Darf irgendwo der Satz, der Zweck heiligt das Mittel, Anwendung finden, so ist es in der verklärenden Kunst. Ihre Motive sucht sie im Boudoir, wie in der Dachstube, und wenn mich ein Charakterkopf interessiert, so gehe ich ihm nach, und sollte es bis in die Höhle des Verbrechens sein ... Diese Duldung muß jede Künstlerfrau üben, und auch du wirst sie lernen.«
»Nein, Arnold. Derartige sanguinische Hoffnungen lasse dir nur gleich vergehen,« erklärte sie mit einer Ruhe, die nach der eben an den Tag gelegten beängstigenden Nervosität förmlich verblüffte. »Ich bin streng wahrhaftig erzogen und verstehe nicht zu lügen ... Zu den Madonnenbildern bete ich, und in der Messe harre ich aus bis zum letzten Ton – als gute Katholikin muß ich das –, sonst aber ist mir alles, was Malerei, Musik und dergleichen heißt, in tiefster Seele zuwider.«
Sie sprach mit gesenkten Augen völlig leidenschaftslos und eintönig und zupfte dabei mechanisch an der Spitzenecke ihres Taschentuchs. Aber ihre flache Brust dehnte sich wie befreit unter den verletzenden Worten ihres Bekenntnisses, das einer kaltblütigen Rache für die Malersünden des jungen Ehegemahls sehr ähnlich sah. »Du siehst, ich habe auch den Mut der Wahrhaftigkeit, Arnold,« fuhr sie in demselben Tone fort und hob die Lider. »Ich mache es nicht wie viele meines Geschlechts, die nicht einen Schritt weit gehen würden, um einen Raffael zu sehen, oder Beethovensche Musik zu hören, wenn sie nicht die Verachtung der Kunstnarren fürchteten – sie heucheln; ich aber bekenne offen, daß Gemälde für meine angegriffenen Augen Farbenkleckse sind, und Zeichnungen mich langweilen, daß die Musik an meinen Nerven schmerzhaft reißt, daß ich eine ausgesprochene Abneigung hege gegen alles, was sich Künstler nennt – und deshalb darf es dich nicht wundern, bester Arnold, wenn ich wohl die Gemahlin des Baron Schilling, auf keinen Fall aber eine Malerfrau sein will und die gewünschte Duldung niemals üben werde.«
»Das wird sich finden,« sagte Baron Schilling kurz; er war bleich geworden, und seine Stirn furchte sich; aber seine ruhig stolze Haltung bewies unwiderleglich, wer schließlich »der Herr« sein würde.
Die junge Frau blickte vor sich nieder – diesmal augenscheinlich betroffen; der rauh gebieterische Ton schien ihr erschreckend neu zu sein; sie hatte vielleicht von ihrer »Wahrhaftigkeit« einen anderen Effekt erwartet.
Während dieser Wechselreden hatte Felix Lucian schweigend zwischen Baron Schilling und Lucile gesessen. Neben der eigenen Angst und Sorge quoll tiefe Wehmut in seiner Seele auf – was war aus dem trauten Schillingshofe geworden! – Ein vornehmer Adelssitz, aufs neue angestrahlt vom zurückgewonnenen alten Glanz. Aber früher war es bei leerer Kasse, in spärlicher Beleuchtung, doch hell und lustig im Säulenhause gewesen – Groll- und Schmollwinkel hatte es damals nicht gegeben, und das Nachtgetier böser Launen hatte sich nie breit machen dürfen – während jetzt, bei aller Lichtflut, Hochmut, Bigotterie und versteckte Bosheiten wie Eulen und Fledermäuse aus den Ecken schwirrten ... Und der neue Hausgeist, in Gestalt der halbgeknickten, nervösen Frau dort, rang um die absolute Herrschaft; er legte die langen totenblassen Hände beschlagnehmend auf Menschenseelen, Schiff und Geschirr, und auf der eigensinnigen Stirn stand ihm lesbar geschrieben: »Es ist alles mein!« ... Auch hier der despotische Frauenwille, der ihn selbst eben heimatlos gemacht hatte! ...
Wer sah es dem kalten Gesicht mit den beharrlich und nonnenhaft gesenkten Lidern an, daß diese Frau den jungen Gatten geradezu errungen hatte? ... Vor Jahresfrist war der Freiherr mit seinem Sohne in Koblenz bei dem schwererkrankten Vetter gewesen. Nach der Zurückkunft hatte er Felix lachend ins Ohr geflüstert, daß man ihm insgeheim hinterbracht, die reiche Erbin sei »bis über die Ohren verliebt in seinen Jungen« – um seinetwillen würde sie ihr Vorhaben, nach Ableben ihres Vaters für immer in das Kloster zurückzukehren, freudig aufgeben ... Dann war Baron Steinbrück seinem Leiden erlegen; die Tochter hatte dem Freiherrn den Todesfall angezeigt und seitdem eifrig mit ihm korrespondiert. Sie mußte gut zu schreiben verstanden haben, denn seit der Zeit war es ein glühender Wunsch des alten Herrn gewesen, seinen Sohn mit ihr zu vereinen und damit zugleich sein altes Geschlecht in den Besitz der verpfändeten Güter wieder einzusetzen. Der Schlaganfall, der ihn selbst an den Rand des Grabes gebracht hatte, war sein Helfershelfer bei der Verwirklichung des Planes geworden – Arnold, der mit inniger Zärtlichkeit an dem Vater hing, hatte am Krankenbett scheinbar ohne jedweden inneren Kampf in alles gewilligt, um den alten, schwerleidenden Mann beruhigt zu sehen.
Und wie fand er sich nun in sein Geschick, das ihn so jung mit der kaum gesehenen »langen Koblenzer Cousine« für immer zusammengekettet hatte? Liebte er sie? – Felix fühlte ein Grauen durch seine Nerven schleichen bei dem Gedanken, daß der Freund mit den Idealgestalten hinter der Stirn, in seltsamer Geschmacksverirrung das Skelett dort voll Manneszärtlichkeit an sein Herz schließen könnte – unmöglich! ... Und doch verriet nicht ein Zug seines interessanten Gesichts, daß er sich unglücklich fühle. Er hatte einen eisernen Willen; schon als Knabe war es ihm nie in den Sinn gekommen, irgend jemand, auch seinen Vater nicht, für seine Entschlüsse mitverantwortlich zu machen – das mochte ihm auch jetzt seine unzerstörbare heitere Seelenruhe geben.
Anders schien es um den alten Freiherrn zu stehen. Er verhielt sich offenbar in steter Kriegsbereitschaft zu der Schwiegertochter, die den lustigen, alten Haudegen in ihren Briefen gründlich zu täuschen gewußt hatte. In seinen Zügen malte sich augenblicklich ein Gemisch von Ingrimm, tiefer Reue und Jammer um den Sohn; aber er schwieg; mit schwerem Geschütz durfte er nicht kommen, wenn er nicht die bösesten Nervenzufälle am Teetisch heraufbeschwören wollte, und das Plänkeln hatte er satt ... Er schob, nachdem er hastig einige Bissen genossen, Tasse und Eierbecher fort, zog ein kleines Paket, das er beim Fortgehen in seinem Zimmer eiligst zu sich gesteckt hatte, aus der Tasche und legte es auf den Tisch. Sein Gesicht hellte sich auf; er schien sichtlich froh, auf ein anderes Thema zu kommen.
»Schau, in dem Papier da liegt die Erledigung deiner Angelegenheit,« sagte er zu Felix, indem er seine Brille aus dem Futteral nahm und sorgfältig an ihren Gläsern wischte. Dann