sie, von Felix gefolgt, nach dem Korridor, oder besser gesagt nach der Galerie, linker Hand; denn dieser Gang entsprach in seiner bedeutenden Ausdehnung dem entgegengesetzten, nach Süden hinlaufenden, in dem seitwärts eine breite, prächtig ausgeführte Wendeltreppe nach den oberen Stockwerken stieg. Zwischen den halbrundbogigen Fenstern, die sich, hoch und weit wie Türen, nach dem Garten zu auftaten, vertieften sich Nischen in der Wand, die Pater Ambrosius, der Benediktinermönch, in nichts weniger als asketischer Verzückung, mit nackten Marmorgestalten der griechischen Götterwelt ausgefüllt hatte. Dieser Ausschmückung gemäß war auch später unter dem zugemauerten, imposanten Steinbogen der einst in das Klosterhaus führenden Tür eine Laokoongruppe aufgestellt worden.
Lucile schritt wie beflügelt an den weißen Götterbildern hin – ihr war, als gehe sie durch Foyer und Galerien eines Opernhauses, während Felix auf den ringenden Laokoon starrte. Hinter diesen Marmorleibern, an der entgegengesetzten Wandseite, reihten sich die Bretter des Wandschrankes übereinander – hier ein von Licht verschwenderisch übergossenes Kunstgebild, und jenseits, nur durch eine Schicht Backsteine getrennt, die abgegriffenen Haushaltungsbücher, der Blechkasten mit dem Milchgeld im Schrankdunkel! ... Wenige Stunden voll erbitterten Wortstreites hatten dort drüben den Verstoßenen aus seiner Bahn in das Dunkel einer unsicheren Existenz hineingeschleudert, und sie, die Verwöhnte, in schwelgerischem Luxus Erzogene, sein vergöttertes Mädchen, das da so elfenhaft vor ihm hinschwebte, riß er mit sich in den Strudel, der ihn erfaßt ...
Baron Schilling lenkte seine Schritte nach dem sogenannten Familiensalon am Ende der Galerie. Das war immer das Lieblingszimmer des alten Freiherrn gewesen. Es machte, trotz seiner saalartigen Weite, einen anheimelnden, warmgeschützten Eindruck durch die mächtigen, mit Schnitzwerk verzierten, freiliegenden Deckenbalken und die holzgeschnitzten Felder, die breit die Wand hinaufliefen, oben unter der Decke hin sich aber zu Spitzbogen vereinigten, so daß sie wie Fensterwölbungen die schmalen, graugetünchten Zwischenräume der eigentlichen Wand umschlossen. Diese Schnitzereien lagen zierlich durchbrochen, in künstlerisch verschlungenen Arabesken, wie Spitzen auf glattem Untergrund – sie waren von hohem Kunstwert und wurden ängstlich behütet.
Der alte Freiherr hatte der Originalität des Zimmers wenig Rechnung getragen – er hatte einige Jagdstücke in glattem Goldrahmen auf die freien Mauerstreifen gehangen und es sich mit modern behaglichen Polstermöbeln bequem gemacht. Mit dem Einzug der neuen Herrin des Schillingshofes war auch das anders geworden. Die leeren Flächen zwischen dem Schnitzwerk füllte Wandmalerei auf lichtgrauem Grunde; Stühle, hochlehnig und durchbrochen geschnitzt, und vierbeinige Schemel standen umher, und die Kissen, die auf den Sitzen lagen, deckte ein dunkelgrüner, mit Silberfäden durchzogener, gewirkter Seidenstoff. Dieser starre Brokat rauschte auch breit an den Fenstern nieder, und Spitzenvorhänge von uraltem Niederländer Muster lagen darüber, und das dunkelglänzende Grün hob jede Rankenverschlingung, jede Blumenform hervor, als sei sie hingemalt. An der tiefen Wandseite aber, zu beiden Seiten der Tür, standen Kredenztische mit hohem Aufsatz – den mittelalterlichen »Tresuren« entsprechend – und sie zeugten am deutlichsten von dem Reichtum, den die junge Frau den Schillings zugebracht; sie waren mit Silber- und Kristallgefäßen so beladen, daß sich selbst das Tafelgeschirr des reichen Benediktinerabtes, welches das Säulenhaus einst bei fürstlichen Gelagen gesehen, wohl hätte verstecken müssen.
Von einem der Deckenbalken hing eine Ampel nieder, die ein mildes Licht verbreitete; aber auf dem kleinen Tische, hinter dem die junge Frau saß, stand eine Kugellampe und beleuchtete voll den blonden Kopf, der sich über eine Handarbeit beugte.
Lucile verzog spöttisch die Lippen, denn das Gesicht, das sich jetzt langsam den Eintretenden zuwendete, war das eindruckloseste, das sie je gesehen – graublond das Haar und grau der Teint, das Gesichtsoval langgestreckt, ohne jedwede liebliche Rundung, die sonst der Jugend eigen – und doch sollte diese Frau kaum zwanzig Jahre alt sein.
»Liebe Klementine, ich bringe dir hier meinen Freund, Felix Lucian, und seine Braut, Fräulein Fournier, aus Berlin,« sagte Baron Schilling mit der ihm eigenen höflichen Kürze und Lässigkeit – »und möchte dich bitten, die junge Dame in deinen Schutz zu nehmen, während wir den Papa in seinem Zimmer aufsuchen.«
Die Baronin erhob ihre schlanke, schmächtige Gestalt ein wenig und neigte begrüßend den Kopf. Ihre blondbewimperten Augen blieben einen Moment an den reizenden Zügen des jungen Mädchens hängen, und das kühle Lächeln auf ihren Lippen erlosch. Sie lieh sich auf den Stuhl zurücksinken und zeigte mit einer anmutigen Handbewegung einladend auf den Schemel, der neben ihr stand. Das geschah stillschweigend, man hörte das Knistern des seidenen Rückenpolsters unter dem flechtenbeschwerten Kopf, der sich hinlehnte.
Baron Schilling bückte sich und hob eine Mappe vom Teppich auf – verschiedene Blätter, die ihr entfallen, raffte er zusammen – er war dabei sehr rot geworden. »Meine Skizzen haben keine Gnade vor deinen Augen gefunden, wie ich sehe,« sagte er und schob die Blätter in die Mappe.
»Verzeih – das angestrengte Vertiefen in deine Ideen macht mich nervös, wenn ich allein bin,« – sie hatte eine angenehme Stimme, aber in diesem Augenblick klang hörbare Gereiztheit mit. »Ich kann mich überhaupt nur hineinfinden, wenn du erklärend neben mir sitzest.«
»Oder wenn ich ›erklärend‹ wie jener unglückliche Stümper darunterschreibe: ›Das soll ein Hahn sein‹ und so weiter!« lachte Baron Schilling scheinbar amüsiert auf. »Da siehst du nun, wie wirkungsvoll meine Entwürfe sind, Felix! ... Und da wolltet ihr mir immer weismachen, ich habe Talent! – Aber wir müssen gehen, wenn du den Papa noch vor dem Tee sprechen willst.«
Sie gingen hinaus, wobei Felix einen ängstlich besorgten Blick auf sein Mädchen Zurückwarf. Sie saß offenbar plauderlustig, in unverkennbarem Triumph der Schönheit neben der seltsam schattenhaften Frauenerscheinung, die sich so frostig verhielt. Er sah noch, wie Lucile den Hut abnahm, während die Baronin mit ihren langen, elfenbeinweißen Fingern wieder nach der Handarbeit griff.
»Sie erlauben, gnädige Frau,« sagte Lucile und warf ungeniert ihren Hut auf einen Ziemlich fernstehenden Schemel.
Die Baronin sah mit einem großen, verwunderten Blick auf und verfolgte den Bogen, den das federgeschmückte Strohhütchen in der Luft beschrieb – es fiel Zur Erde. In diesem Augenblick rauschten die Brokatvorhänge des einen Fensters auseinander, ein Äffchen schlüpfte heraus und griff nach dem Hute.
Lucile schrie auf – das Ding sah aus wie ein schwarzes Teufelchen.
»Gleich wirst du hierherkommen, Minka!« befahl die Baronin und drohte mit dem Finger. Minka hielt sich mit beiden Armen den Hut über den Kopf und lief so auf ihre Herrin zu. Das sah über alle Beschreibung lächerlich aus. Lucile vergaß ihren Schrecken und lachte wie ein Kobold, während die junge Frau keine Miene verzog und dem Tierchen seinen Raub wegnahm.
»Ich bedaure, daß Sie sich erschreckt haben,« sagte sie und legte den Hut auf den Tisch, dicht vor dem jungen Mädchen nieder. »Mein Mann kann Minka nicht leiden – das weiß sie und verhält sich stets ruhig in ihrem Versteck, solange er im Zimmer ist. Ich hatte vergessen, daß sie in der Nähe war.«
»Oh, solch ein kleiner Schrecken schadet mir nicht – ich bin ja nicht nervenschwach wie Mama, ich bin jung und gesund!« entgegnete Lucile frisch und fröhlich, indem sie das Äffchen mit den zärtlichsten Gebärden an sich zu locken suchte. Ja, jung und gesund, bezaubernd schön und graziös war das Mädchen, an dem die grauen Augen der Frau Baronin mit einem langen, versteckten Seitenblick hinglitten. – »Da habe ich mich vorhin weit schlimmer geängstigt – auf dem Klostergute stieß mich ein vorbeispringendes Ungetüm beinahe über den Haufen – Felix behauptet, es sei eine Katze gewesen.«
»Sie sind besuchsweise auf dem Klostergute?«
»Ich? – Gott soll mich bewahren!« rief Lucile, förmlich entsetzt mit aufgehobenen Händen protestierend. »Mich überläuft es eiskalt, wenn ich mir denke, ich sollte auch nur eine Nacht in dem Hause schlafen! – Waren Sie je drüben?«
Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht gewöhnt, Nachbarschaften zu kultivieren.«
»Nun, dann können Sie sich freilich keinen Begriff machen, wie es drinnen aussieht ... Es ist