Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


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zerschellende Regentropfen lösten. Ein heißer Brodem füllte die menschenleere Straße, an deren äußerstem Ende eben die erste Gasflamme auftauchte. Trotz der einbrechenden Nacht sah man hinter dem herrlichen, alten Eisengitter des Schillingshofes die bleiche Verschlingung der Landwege, die mächtigen Päonienbeete voll großgeöffneter, feuriger Blüten im Vordergrund des eleganten Rasenparterres; sah man das prächtige Brunnenmonument mit seinen scheinbar unbeweglich stehenden, silbernen Wassersäulen, und dahinter, wenn auch halbverwischt, die Fassade des italienischen Hauses.

      Das war freilich ein anderer Eingang als auf dem Klostergute – so viel vornehme Ruhe, wie eben ein venezianischer Prachtbau, oder eine florentinische Villa um sich behaupten. Das Gittertor drehte sich geräuschlos in den Angeln, und das Fallen der Brunnenwasser kam als ein so weiches, melodisches Plätschern herüber, daß man daneben jeden vereinzelten, klatschenden Schlag der Regentropfen auf den großen Rizinus- und Rhabarberblättern, das Rieseln des Sandes hörte, den Luciles Schleppe streifte.

      Die junge Dame sog in tiefen Zügen die gewohnte vornehme Lebensluft ein – sie fühlte sich wieder in ihrem Element. Der schweigende Mann an ihrer Seite ging ihr viel zu langsam – sie hätte das Rasenrund umfliegen mögen, um so schnell wie möglich wieder Parkett unter den Sohlen und schwebende Lüster über dem Lockenkopf zu haben ... Da stockte ihr Fuß plötzlich – dicht am Wege, unter eine Taxushecke geduckt, kauerte ein kleines Mädchen.

      »Was tust du da, Kind?« fragte die junge Dame.

      Es erfolgte keine Antwort.

      Felix bog sich nieder und erkannte in der Kleinen, die sich scheu noch tiefer in das dunkle Gebüsch wühlte, Adams Töchterchen.

      »Du bist's, Hannchen?« sagte er. »Ist dein Vater wieder drin beim alten Herrn?« – er zeigte nach dem Säulenhaus.

      »Ich weiß nicht,« stieß das Kind hervor – es rang unverkennbar mit einem Jammerausbruch.

      »Hat er dich hierhergeführt?«

      »Nein – ich bin allein fortgelaufen.« – Sie weinte in sich hinein; man hörte das keuchende Kämpfen der kleinen Brust. – »Die Großmutter versteht's nicht – sie sagt, ich sei dumm und schlecht, weil ich so was von meinem Vater dächte.«

      »Was denn, Kind?« fragte Lucile.

      Die Kleine weinte laut auf; aber sie antwortete nicht.

      »Die Großmutter wird es wohl auch besser wissen, Hannchen,« sagte der junge Mann beruhigend. – »Ist dein Vater ausgegangen?«

      »Ja – und er war so rot. Die Großmutter zankte mit ihm, weil er nicht mehr beim gnädigen Herrn ist – er war aber still und hat nur gesagt, er hätte seine schlimmen Kopfschmerzen und wollte sich Tropfen in der Apotheke holen – und da wollte ich mitgehen, weil –« sie verstummte für einen Augenblick, in Tränen aufgelöst – »und das litt die Großmutter nicht; sie war böse und hat mir Schuhe und Strümpfe ausgezogen,« stieß sie schließlich heraus.

      »Da bist du ohne Erlaubnis und barfuß fortgelaufen?« fragte Felix.

      »Ich war nur in der Engelapotheke,« antwortete sie, die direkte Frage umgehend, während sie die nackten Füße unter das kurze Röckchen zog; – »aber sie sagten, der Vater sei gar nicht dagewesen.«

      »So war er jedenfalls in einer anderen – geh nach Hause, Hannchen!« mahnte der junge Mann. »Dein Vater ist ganz gewiß schon wieder bei der Großmutter und wird sich um dich ängstigen.«

      Die Kleine rührte sich nicht von ihrem Platze und wandte nur zornig die Augen weg; denn die Leute waren auch wie die Großmutter – sie »verstandenes nicht!« Und nun gingen sie auch durchaus nicht fort und quälten sie, und sie mußte immer wieder sprechen und antworten. »Der Hausknecht muß gleich kommen; er geht um die Zeit die Abendwege,« sagte sie mit angewendetem Gesicht, jetzt selbst im Tone die finstere Entschlossenheit verratend, die schon heute nachmittag das schmale, kluge Kindergesicht so herb und drohend gemacht hatte. »Deswegen bin ich hergelaufen; der hat den Vater lieb – der sucht ihn mit mir.«

      »Aber es wird gleich regnen!« rief Lucile. »Schau, es fallen schon große Tropfen.« – Sie schüttelte lächelnd den Kopf, als das Kind schweigend und unbeweglich in seiner kauernden Stellung verblieb und nur die nackten Ärmchen unter die Schürze steckte. »Was für ein trotziges, kleines Ding! – Da, wickle dich hinein!« sagte sie und warf ihr den Crepe-de-chine-Schal zu, der über ihrer linken Schulter hing; aber das kleine Mädchen rührte keine Hand, um das kostbare, weiche Gewebe heranzuziehen; es sah nur seitwärts darauf nieder, wie es auf dem roten Röckchen lag, zum größten Teil aber schneeflockenweiß den Kiesweg bedeckte und bereits von dem jetzt intensiver niedersprühenden Regen besprengt wurde.

      Und nun floh Lucile selbst, lachend und die Kleider zusammenraffend, dem Säulenhause zu; denn sie wollte sich nicht mit »windelnassem Nixenhaar« statt ihrer herrlich rollenden Locken im Schillingshofe vorstellen.

      7.

       Inhaltsverzeichnis

      Felix zog die Hausglocke, und die mächtige Rundbogentür unter der Säulenhalle tat sich geräuschlos auf. Früher hatte hier von der Decke der Flurhalle eine einfache Glasglocke mit der dürftigen Flamme eines Ollämpchens, an langer Kette tief niedergehangen; ihr Schein hatte gerade hingereicht, dem spiegelnden Mosaikfußboden einen kleinen, blassen Reflex zu entlocken und den Weg in die dunklen Eingänge der Seitenkorridore zu zeigen – heute aber schrak das Auge zurück vor der Lichtflut, die den Lampentulpen der Wandleuchter entströmte. Feierlich sahen die ernsten, schönen Mädchengesichter der die Decke tragenden, schlanken Karyatiden hernieder; feierlich vornehm klang der Schritt des in sehr reservierter Haltung hervortretenden Bedienten auf der hallenden Steinmosaik. Felix zögerte beklommen an der Schwelle. – Der einst notwendigerweise nach bürgerlich gemütlichem Zuschnitt geführte Haushalt im Schillingshofe, der ihn so sehr angeheimelt, hatte, in jäher Wandlung der äußeren Verhältnisse, sofort das aristokratische Gepräge wieder angenommen, das dem alten Geschlecht der Freiherren von Schilling von Rechts wegen zukam.

      »Ist Baron Arnold von Schilling zu Hause?« fragte der junge Mann den Bedienten.

      »Ja, Felix!« rief eine schöne, vollklingende Männerstimme aus dem nächsten Zimmer herüber, dessen Tür sich eben auftat. Der Sprechende trat heraus, aber er fuhr bestürzt zurück, als Lucile wie eine Libelle auf ihn zuflog.

      »Oh, cher Baron, was machen Sie für ein komisches Gesicht!« lachte sie. »Genau wie Felix – der stand auch wie Lots Weib!« Ihre lustig laute Stimme scholl wie Flötenton von den hohen, polierten Steinwänden der Flurhalle zurück. Unter ungeduldigem Aufstampfen mit dem Fuße begann sie abermals den Kampf mit dem widerspenstigen Schleier, und jetzt flog er in Fetzen herunter – das reizende Gesicht mit seinem pikantesten Ausdruck kam in mattweißer Frische wie eine Teerosenknospe zum Vorschein.

      »Grüße von Mama und Großmama bringe ich Ihnen selbstverständlich nicht, denn –« sie legte die Hand an den Mund, »der lustige Schalksstreich« durfte nicht auch von den Wänden widerklingen – »denn ich bin durchgebrannt, müssen Sie wissen.«

      Baron Schilling sah tiefbetroffen und forschend über ihren Kopf weg in das Gesicht seines Freundes, das so bleich und verstört erschien.

      »Kann ich dich und deinen Vater für eine halbe Stunde allein sprechen?« fragte Felix; in der fliegenden Hast, mit der er sprach, malte sich die ganze Bedrängnis seiner Seele.

      »Komm, der Papa ist noch in seinem Zimmer,« versetzte Arnold und wandte sich rasch nach den Gemächern seines Vaters.

      Felix zögerte. »Ich möchte dich bitten, vorerst Lucile bei deiner jungen Frau einzuführen.«

      »Bei meiner Frau?« – Das klang überrascht, verlegen, und auch, als müsse er sich erst etwas ganz Erstaunliches zurechtlegen; aber schnell entschlossen setzte er hinzu, nicht ohne daß ein charakteristisches flüchtiges Lächeln seine Lippen umflog: »Auch das, wenn du es wünschest, Felix! –