Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


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hohe Gestalt reckte sich in unerbittlicher Strenge gebietend auf – »ehe ich das Vermächtnis meiner Familie in einer liederlichen Theaterwirtschaft verprassen lasse, eher vermache ich es bei Heller und Pfennig an den Namen Wolfram zurück – danach richte dich!«

      »Das ist deine endgültige Entscheidung, Mutter?« fragte der Sohn mit blassen Lippen, und seine schönen, blauen Augen blickten wie erloschen.

      »Meine endgültige Entscheidung ... Schlage dir das Mädchen aus dem Sinne – du mußt es können, das sage ich dir ein für allemal! Ich will nur dein Bestes – später wirst du mir's danken.«

      »Für zerstörtes Lebensglück dankt man nicht,« versetzte er, und jetzt erhob sich seine Stimme in unaufhaltsam hervorbrechendem Groll zu einem allmählich wachsenden Sturm, den er selbst nicht mehr zu beschwören vermochte. »Schütte du deine Kapitalien immerhin dem kleinen Wolfram in die Wiege – sie sind dein Ererbtes, du kannst damit schalten und walten, wie es dir beliebt. Dagegen hast du deinen Einspruch in meine Herzensangelegenheit verwirkt... Du greifst stets selbstsüchtig in mein Leben ein, als sei ich deine Sache, ein Gegenstand ohne Blut und Leben, ein Stück Wachs, das du im Wolframschen Geiste ummodeln könntest... Du hast einst meinem Schicksalsgang eigenmächtig eine Wendung gegeben, die ich einen unverantwortlichen Raub nenne. Ich war damals ein Kind, das an deiner Hand mitgehen mußte, wohin du es führtest. Jetzt aber habe ich meinen eigenen Willen – ein zweites Mal lasse ich mich nicht in unmenschlicher Grausamkeit berauben!«

      »Jesus!« stöhnte die Majorin auf, als habe sie einen Todesstoß erhalten. Sie hatte eine halbe Wendung, wie zur Flucht, nach der Türe zu gemacht – dort stand sie mit unwillkürlich erhobenen Händen und starrte voll Entsetzen nach dem Sohn zurück. Dem Rat aber lief eine dicke Zornader über die Stirn hin; er ergriff den jungen Mann am Arme und rüttelte ihn in brutaler Weise.

      »Was ist das für eine Sprache, du armseliger Bursche!« schalt er. »Was hat man dir gestohlen, du Habenichts? Wirst du mir wohl erklären, inwiefern du beraubt worden bist?« –

      »Als man mir das Vaterhaus nahm,« entgegnete Felix mit erschütterndem Stimmklang, indem er mittels einer energischen Wendung seines schlanken Körpers die Hand des Onkels von sich schüttelte. »Wenn ein Vater stirbt, so ist das eine Fügung des Himmels, der sich die Kinder unterwerfen müssen – niemals aber sollten Menschen Vater und Sohn auseinanderreißen, denn sie sollen sich ergänzen, sie gehören zusammen, weit mehr noch als Mutter und Sohn ... Und mein Vater hat mich unsäglich lieb gehabt. Ich weiß heute noch, was ich gefühlt habe, wenn er mich mit seinen Küssen bedeckte, wenn er mich in stürmischer Zärtlichkeit an sich preßte, an sein starkschlagendes Herz, der schöne, stolze, herrliche Soldat, den man leichtsinnig schilt, weil er – kein Philister gewesen ist!«

      Er schwieg und holte tief Atem, als sei das Ausgesprochene eine die ganzen Jugendjahre hindurch getragene Bergeslast gewesen ... Seine Mutter hatte bei seinen letzten Worten die Türstufe, auf der sie gestanden, verlassen; er hörte, wie draußen ihr Gewand schwer und langsam über die Steinplatten der Küche hinschleifte; er hörte, wie sie die schmale, nach dem Hinterhof führende Glastüre öffnete – dann sah er sie mit gesenktem Kopfe über den Hof gehen und in dem gegenüberliegenden Hintergebäude verschwinden. Dort führte eine Türe nach dem Garten.

      »Verlorener Sohn!« stieß der Rat mit vor Ingrimm erstickter Stimme hervor. »Das verzeiht dir deine Mutter nie! – Geh, mache, daß du aus meinem Hause kommst – hier ist kein Raum mehr für dich! ... Ich kann den Himmel nicht genug preisen, daß er die Wolframs in meinem Kinde neu aufblühen läßt und ihr altes Stammhaus vor der fremden Kuckucksbrut bewahrt!«

      Er ging hinüber in sein Zimmer und schlug die schwere, metallverzierte Türe klirrend hinter sich zu, während der junge Mann schweigend, mit fliegenden Händen das einzige Erbe aus dem Vaterhause, das silberne Eßbesteck, zusammenraffte, um ebenfalls die Wohnstube zu verlassen.

      5.

       Inhaltsverzeichnis

      Wie betäubt ging er durch die Küche und schob den Riegel der Türe zurück. Beim Öffnen scholl ihm Stimmengeräusch entgegen; es hatte sechs Uhr geschlagen; die Haustür stand voll Frauen und Kinder, und über den vorderen Hof her kamen sie immer noch geströmt, die Abendkunden des Klostergutes, mit den blechernen und irdenen Henkeltöpfen oder dem Steinkrug in der Hand. Die Stallmagd hatte eben zwei Eimer voll schäumender Milch auf den Fußboden niedergesetzt und sah sich erstaunt um, denn der Platz am Schenktisch war noch leer – zum erstenmal, seit sie auf dem Klostergute diente; selbst am Sterbe- und Begräbnistage der seligen Frau Rätin war der Posten pünktlich eingenommen worden, in dem Augenblick, wo die Milch von den Ställen her gebracht wurde.

      Felix schritt rasch durch die versammelten Leute. Sonst hatte ihn der »Milchhandel« dergestalt angewidert, daß er stets um diese Zeit über ein verstaubtes Hintertreppchen gegangen war, um dem Menschenandrang in dem Hausflur auszuweichen. Heute sah er mit zerstreutem Blick über die Köpfe der Wartenden hinweg – er bemerkte nicht, wie er gegrüßt wurde, wie sich die Frauen und Mädchen heimlich anstießen und den bildschönen jungen Herrn bewundernd mit den Augen verfolgten, während er flüchtigen Fußes die kreischende Treppe hinaufsprang – zum letztenmal, denn der Onkel hatte ihn aus dem Hause gewiesen. Nie, nie wieder wollte er zurückkehren in das dunkle Haus, in diesen von Mönchen gebauten und von einer engherzigen, phantasiearmen Familie durch alle Generationen hindurch sorglich behüteten Sarg, dem die Menschenseelen angepaßt wurden, indem man jede schüchtern hervorwachsende Schwinge abschnitt, jeden traditionswidrigen Geistesfunken mit dem Fuße austrat.

      Die kleine Reisetasche des Ausgewiesenen lag noch droben im Giebelzimmer auf dem Tische, die mußte er holen. Er wollte mit dem Nachtzug nach Berlin zurück, vorher aber seinen Freund Arnold im Schillingshofe sprechen. Das waren die einzigen Entschlüsse, die sich emporrangen aus den aufgetürmten Wogen namenloser Erbitterung, aus dem Wirbel, in dem sein furchtbar erregtes Gehirn kreiste. Bis hinunter zu dem Grundgedanken, wie es nun werden sollte, kam er nicht – immer wieder wälzte sich das Geschehene durch seinen Kopf ... Er war vorgestern von Berlin abgereist – Madame Fournier, die augenblicklich in Wien gastierte, hatte ihrer alten Mutter geschrieben, daß der Hoftheaterintendant auf ihren Wunsch, Lucile demnächst auf der Bühne des Kärntnertortheaters debütieren zu lassen, einzugehen scheine – diese Nachricht hatte ihn tief erschreckt, denn er verhehlte sich nicht, daß ihm die Geliebte halb und halb verloren sei, wenn sie einmal ihren Triumphzug begonnen habe. Und sie selbst hatte ihn in leidenschaftlicher Ungeduld gedrängt, seine Verhältnisse sofort zu ordnen und dann nach Wien zu gehen, um persönlich mit ihrer Mutter zu verkehren – und nun war alles in den ersten Stunden gescheitert! –

      Er preßte die Hände gegen die heftig klopfenden Schläfen, als könne er mit dieser einen verzweifelten Bewegung seinen zerrütteten, aus der Bahn geschleuderten Gedankengang wieder einlenken, einen leitenden Faden in dem ungewissen Düster finden, in das er aus der Sonnenhelle seiner sanguinischen Hoffnungen mit geblendeten Augen gestürzt war ... Er hatte sich mit seiner Mutter entzweit für immer! Das sagte der Onkel nicht allein, er fühlte es selbst, daß sie ihm die unzerstörbare, enthusiastische Liebe zu seinem verschollenen Vater nie verzeihen, noch weniger aber die Rücksichtslosigkeit vergessen werde, mit der er endlich seinem stillschweigend getragenen kindlichen Schmerz Luft gemacht hatte.

      Wie schroff und hart, wie unbeugsam war sie ihm aber auch entgegengetreten! So war es immer gewesen. Da hatte es nie ein mütterlich sanftes Zureden und Vorstellen, nie, solange er denken konnte, jenes teilnehmende Mitversenken in des Kindes Freud und Leid gegeben, das die Luft heller erglühen macht und das Weh sänftigt, wie das Streicheln einer weichen, linden Hand – ihre ganze Erziehungsweise war ein barsches Kommando gewesen ... Und wie blitzschnell war sie vorhin mit dem Entschluß, ihr einziges Kind zu enterben, fertig geworden! – ja, zu schnell, selbst für eine augenblickliche Eingebung! – Das war wohl schon vorher gedacht worden! – Und jetzt kroch ein finsterer Argwohn schlangengleich an dies arglose, bis dahin im idealen Vertrauen förmlich aufgehende Herz des Jünglings heran und packte es wie ein Dämon. Wie, wenn der Familienfanatismus seiner Mutter so weit ging, daß ihr der Vorwand nicht unwillkommen gewesen