Ted Bell

DER ZAR


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nicht wahr, Wolodja?« Graf Korsakow hatte gelacht und ihm väterlich eine Hand auf die Schulter gelegt.

      »Selbstverständlich, Exzellenz.«

      Korsakow – der Dunkle Ritter, wie man ihn nannte – lenkte den Staat insgeheim mit eiserner Faust, aber da er weder einen offiziellen Titel besaß noch ein Amt im Kreml bekleidete, wussten nur eine Handvoll Personen in den höchsten Positionen, dass eigentlich er der Zauberer war, der die Fäden hinter den Kulissen zog.

      Als der Militärhubschrauber des Präsidenten, ein Mil Mi-8, auf dem regennassen Dach landete, näherte sich bereits sein Verteidigungsminister Sergei Iwanow, um ihn zu begrüßen. Der schwache Septemberregen ging in Schnee über, und der Mantel des Mannes flatterte im Abwind der Rotoren an seinem dünnen Leib. Dessen ungeachtet strahlte er ausgelassen. Was ihm von Herzen beglückte, war der Stolz auf sein neues Hauptquartier, nicht der Anblick der Maschine des Präsidenten.

      Sergeis Arbeitsplatz, dessen Bau etwa 9,5 Millionen Rubel gekostet hatte, war fortan die Heimat des GRU, des Hauptgeheimdienstes im Land, und in nur dreieinhalb Jahren aus dem Boden gestampft worden, ein Wunder für Moskauer Verhältnisse. Der Minister durfte also mit Recht Begeisterung zeigen.

      Nachdem sie sich schnell die Hände gegeben hatten, eilten sie im Regen zur verglasten Eingangshalle.

      »Verzeihen Sie die Verspätung«, sagte der Präsident zu seinem alten KGB-Genossen.

      »Überhaupt nicht tragisch, Wladimir Rostow«, erwiderte Sergei. »Wir haben noch genug Zeit, um Sie vor unserem Treffen mit Korsakow einmal durch den Komplex zu führen. Ich verspreche, Sie nicht zu langweilen.«

      Die neue GRU-Zentrale stand mit Blick aufs Chodynkafeld, den ehemaligen Flugplatz an der Choroschewskij-Autobahn, auf dem Gelände eines alten KGB-Komplexes, den man lange spöttisch als »das Aquarium« bezeichnet hatte. Es war ein Schandfleck gewesen, ein heruntergekommenes Relikt des früheren Russlands. Dieses neue Bollwerk aus Glas und Stahl enthielt auf annähernd 670.000 Quadratfuß Fläche die in allen Bereichen modernste Einrichtung. Dafür hatte sich Verteidigungsminister Sergei Iwanow stark gemacht. Immerhin ging es hier um das Neue Russland!

      Das Innere barg eine Fülle kostspieliger Geheimnisse und Kommunikationsmöglichkeiten auf dem neusten Stand der Techniken. Dennoch war ein Großteil der zur Verfügung gestellten Gelder in den Bau der Mauer geflossen, die den Komplex umgab. Auf ihrem Weg hinunter zum Kontrollraum bekräftigte Sergei dem Präsidenten gegenüber, dieser Wall könnte dem Angriff jedes Panzers auf der Welt standhalten.

      »Diesbezüglich muss ich unsere Panzerkommandanten fragen«, erwiderte Rostow. Seine langjährige Erfahrung hatte ihn skeptisch gemacht, was Behauptungen des heimischen Militärs anging.

      Während ihres kurzen Rundgangs kam er allerdings nicht umhin, über das neue Lagezentrum zu staunen. Doch das ließ er sich wie gewohnt nicht anmerken.

      Beiläufig erkundigte er sich beim nächstbesten Offizier, einem Oberst, über die genauen Funktionen der Räumlichkeiten.

      »Na, es gibt nichts, was hier nicht abgewickelt werden kann, Präsident Wladimir Rostow«, antwortete der Mann mit stolzgeschwellter Brust.

      »Sagen Sie, haben Sie die Anhörung des US-Senats zum Thema Waffenbesitz auf C-SPAN gestern Nacht verfolgt?«, fragte das Staatsoberhaupt mit einem Grinsen, das dem seines Untergebenen in nichts nachstand.

      »Na ja, nur so nebenbei«, druckste der Mann. »In manchen Fällen ist das Lagezentrum …«

      Ein General trat vor, damit sich der Oberst nicht weiter in Verlegenheit brachte. »Das ist eher die Aufgabe der SWR, Wladimir Rostow.« Den russischen Auslandsnachrichtendienst Sluschba Wneschnei Raswedki kannte der Präsident freilich auch bestens. Als KGB-Chef war er persönlich für die Generalüberholung der Behörde verantwortlich gewesen.

      »Tatsächlich?« Er schaute den General leicht erheitert an. »Die Aufgabe der SWR, sagen Sie? Ist das nicht entzückend? Man lernt jeden Tag dazu.«

      Der General schaute verlegen weg, solange Rostows unergründliches Lächeln anhielt. Dann nickte er kurz allen im Raum zu und verließ diesen. Korsakow wartete oben.

      »Der Mann ist ein Trottel«, bemerkte Sergei Iwanow im Aufzug. »Entschuldigung dafür, Präsident Wladimir …«

      »Sie meinen diesen lachhaften, kleinen General? Stimmt. Er ist der Sohn oder Neffe von irgendjemandem, den man kennen sollte, richtig?«

      »Ja, Putins Neffe.«

      »Ziehen Sie ihn aus dem Verkehr, Sergei. Energetika.«

      Damit bezog er sich auf ein Hochsicherheitsgefängnis auf einer verlassenen Insel in der Nähe des Marinestützpunkts Kronstadt bei Sankt Petersburg. Dieses hatte man vorsätzlich auf eine weitläufige Halde für radioaktiven Müll gebaut. Wer hinter diesen Mauern eingesperrt wurde, war zum Tode verurteilt, ob er es wusste oder nicht.

      Sogar Rostows Vorgänger, der Ministerpräsident mit dem kalten Blick, der sein Amt zu lange ausgereizt hatte, gehörte nun zu den Gefangenen. Der Präsident fragte sich kurz, ob Putin mittlerweile überhaupt noch Haare auf dem Kopf hatte.

      Als der Aufzug stoppte, traten sie hinaus.

      »Wir sind weit gekommen, Sergei Iwanowitsch. Vor acht Jahren hatten wir Wichtigeres zu tun – selbst im militärischen Bereich –, als schicke Verwaltungsbunker zu bauen, doch die russische Armee, ja der gesamte Staat ist in hohem Maße auf die GRU als Seh- und Hörorgan angewiesen. Das Personal verdient derart moderne Arbeitsbedingungen.«

      Das stimmte. Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 war es mit den Informationsbeschaffungsdiensten im Land für mehrere Jahre auf beängstigende Weise bergab gegangen. Das zutiefst gefürchtete KGB, Rostows Brötchengeber bis zu seinem jetzigen Leben, hatte als Institution eine Talfahrt durchlebt. Eine Vielzahl sowjetischer Spione waren zu westlichen Behörden übergelaufen und hatten ihre Geheimnisse verkauft. »Besser tot als rot«, dies war ein geflügeltes Wort unter Briten und Amerikanern gewesen. Doch jene Ära gehörte nun definitiv der Vergangenheit an.

      Der Dunkle Ritter, Graf Iwan Korsakow, hatte sich erhoben, um Mütterchen Russland zu retten.

      Mit Rostow an seiner Seite würde er der Nation wieder zu ihrem rechtmäßigen Stand in der Welt verhelfen.

      Ganz oben.

      Kapitel 4

      »Guten Morgen, meine Herren«, sagte Graf Iwan Iwanowitsch Korsakow hinter seinem dunkelroten Vorhang.

      Seiner Grabesstimme wohnte durch ein Mikrofon verstärkt etwas Körperloses inne, das jedermann in Hörweite noch unruhiger machte. Er konnte sie sehen, sie ihn jedoch nicht. Wenige Personen, nur seine engsten Vertrauten im Kreml, genossen das Sonderrecht, Korsakows Antlitz sehen zu dürfen. Er bewegte sich und waltete im Schatten.

      Korsakow wurde von den Medien weder interviewt noch fotografiert und war über alle Maßen reich. Der mächtigste Mann Russlands lebte sehr zurückgezogen.

      Allerdings spürte jeder im Neuen Russland und bis zu einem gewissen Grad auch fast der ganze Rest der Welt die Tragweite seines sagenhaften Intellekts. Im schwachen Licht der Geheimzimmer im Herzen des Kreml regierte Graf Korsakow wie ein Zar. Hinter jenen dicken Mauern aus roten Ziegelsteinen, die im 15. Jahrhundert erbaut worden waren, munkelte man sogar, er trage den Titel bald offiziell.

      Wladimir Rostow und seine Silowiki, die zwölf größten Machthaber im Land, hatten sich in Korsakows privatem Besprechungsraum eingefunden. Diese prächtige Galerie mit schweren, vergoldeten Kronleuchtern hatte der Graf kraft der Anordnung des Präsidenten erhalten. Er durfte persönlich darauf zurückgreifen, wann immer im neuen GRU-Hauptquartier Fragen bezüglich der Staatssicherheit zur Diskussion standen.

      An den getäfelten Wänden gerahmt, ebenfalls in Gold, hingen Bilder, die auf Korsakows Steckenpferd hindeuteten: Luftschiffe. Angefangen bei einem Kupferstich des ersten Heißluftballons, der je abgehoben hatte – 1783 über Paris –, bis zu Ölgemälden der großen Zeppeline der Nazis fehlte keines. Sein Lieblingsmotiv,