Ted Bell

DER ZAR


Скачать книгу

Feuer auf den Straßen unterhalb glänzte.

      Den Großteil des Raums nahm ein Tisch ein, den Rostow anhand eines eigenen Entwurfs hatte fertigen lassen. Das eigentlich Ungewöhnliche daran stellte seine Form dar. Er war so groß, dass ohne Weiteres bis zu 25 Personen an allen drei Seiten Platz fanden. Der Tisch glich einem überdimensionierten, gleichseitigen Dreieck aus mit Schellackpolitur behandeltem Kirschholz. An einer Spitze stand natürlich der hohe Ledersessel des Grafen.

      Hinter dem Sessel hing jener Vorhang aus rotem Samt, der während Stalins Schreckensherrschaft bekannt geworden war. Bei bestimmten Versammlungen im Kreml hatte der Diktator hinter diesem Stoff gesessen und die Gespräche aufmerksam mitverfolgt, deren Worte denjenigen, die sie äußerten, hinterher oftmals Kummer bereiteten. Auf der anderen Seite gegenüber von Stalins Vorhang hing ein herrlich herausgearbeiteter und wiederum vergoldeter Doppeladler zum Gedenken an das einstige Kaiserreich.

      Jetzt saß Graf Korsakow hinter dem alten, abgegriffenen Stoff. Er war wie Stalin zuvor der Strippenzieher, der die wahre Macht in seinen Händen hielt.

      Die zwölf Männer verteilten sich an den drei Seiten des glatt polierten Tischs. Platzkarten teilten ihnen ihre Stühle zu, und dass Besteck aus reinem Gold sowie edles Geschirr aus rotem Porzellan ausgelegt waren, welches man dauerhaft aus Schloss Peterhof »geliehen« hatte, ließ darauf schließen, man werde ein Frühstück serviert bekommen. Dessen nahm sich unverzüglich eine Gruppe Kellner an, die in prachtvoll weißen Jacketts mit goldenen Schulterklappen eingetreten waren.

      Rostow erschien erst, als sich alle niedergelassen hatten, und nahm an der »Spitze« Platz. Während ihm einer der Aufwärter den Stuhl unterschob, lächelte er einigen Anwesenden wohlwollend und anderen eher kühl zu, wobei manche auch mit völliger Nichtbeachtung gestraft wurden. Die Spannung nahm erheblich zu, als einer der Männer, die er ignorierte, seinen Trinkbecher versehentlich mit einem Ellbogen umstieß und sich das enthaltene Wasser über den Tisch ergoss. Ein Kellner machte das Malheur mit einem Lappen ungeschehen, doch der Präsident tadelte den Mann mit einem verächtlichen Blick.

      Neben jedem Goldbecher voller Wasser auf dem Tisch lag ein Geschenk, vermutlich eine kleine Aufmerksamkeit des Grafen. Rostow nahm seines in die Hand und betrachtete es: ein goldenes Zellenemail-Schupftabakdöschen mit dem Konterfei von Iwan dem Schrecklichen. Er verstand es als Witz. Es handelte sich sogar um ein echtes Fabergé-Werkstück, wie er erkannte, als er es umdrehte.

      »Guten Morgen, Genossen«, dröhnte die vertraut geisterhafte Stimme aus verborgenen Lautsprechern. Sie hörte sich nach einer Bassbox an, die richtig eingestellt werden musste, doch der Tonfall des Grafen war unmissverständlich: Heute rollen Köpfe, dachte der Präsident und musste schmunzeln. Heute rollen Köpfe.

      »Guten Morgen, Exzellenz!«, antworteten die Männer nahezu im Einklang und vielleicht einen Tick zu schrill.

      Von den 13 Personen am Tisch blieb nur das russische Staatsoberhaupt völlig still. Er lächelte die anderen nachsichtig an, was ihm einen beinahe väterlich amüsierten Gesichtsausdruck verlieh. Die guten Nachrichten, die er mitbrachte, erlaubten ihm, entspannt zu bleiben und einen ruhigen Eindruck zu vermitteln. Seine Tischgesellen hingegen wirkten unruhig, blickten hektisch um sich. Dabei waren viele von ihnen mit zwei Sternen dekoriert, dem sogenannten ›Helden‹ sowohl der Sowjetunion als auch der Russischen Föderation. Hieran zeigte sich, welch enorme Macht der Dunkle Ritter besaß.

      »Die Besichtigung hat Ihnen allen gefallen, nicht wahr?«, fragte Korsakow.

      Einhelliges Nicken folgte. Der Präsident war einer der wenigen, der diese Geste nicht nachahmte. Er hatte sich schon früh einen Trick angeeignet, um nicht alles automatisch abzusegnen, was der Graf von sich gab: Indem er seinen rechten Ellbogen fest auf den Tisch stützte und die Hand zur Faust ballte, legte er sein Kinn darauf und verharrte so für den weiteren Verlauf jeder Versammlung. Geistloses Kopfwackeln kam für den Präsidenten von Russland nicht infrage!

      »Lassen Sie uns beginnen, Genossen«, fuhr Korsakow fort. »Wir heißen Präsident Rostow nach seiner Rückkehr von der Barentssee willkommen und sind gespannt, was er von den Raketentests unserer neuen Bulawa auf dem Meer zu berichten weiß. Als ersten Punkt unserer Tagesordnung werden wir allerdings eine kleine Ungenauigkeit richtigstellen. Bei einer Besprechung im Kreml vor einem Jahr gab ich dieser Gruppe zwei sehr schlichte Dinge zur Berücksichtigung mit auf den Weg. Ich bestand darauf, dass Sie Ihre Steuern zahlen – bis auf den letzten Rubel. Ferner verlangte ich, dass Sie sich auf keinerlei politische Aktivitäten einlassen, die unserem werten Präsidenten in irgendeiner Weise schaden könnten. Erinnert sich jeder hier noch daran?«

      Die Männer im Raum verfielen in unbehagliches Schweigen. Selbst das Dienstpersonal bemerkte die Befangenheit und nahm Abstand vom Tisch. Die Leibwächter des Präsidenten, zwei stämmige Ukrainer, die vor der Tür geblieben waren, betraten den Raum.

      »Anscheinend nicht. Ich möchte bitte, dass sich General Iwan Alexandrowitsch Serow erhebt.«

      Der Genannte, ein alter, fett gewordener Glatzkopf, raffte sich mühselig auf, nicht ohne sein Wasser erneut umzustoßen. Sein Gesicht war leichenblass, und seine rechte Hand mit der Schnupftabakdose, die er begutachtet hatte, zitterte unbeherrscht.

      »Danke sehr, General. Jetzt Sie, Alexej Nemerow. Wenn auch Sie bitte aufstehen würden.«

      Der Mann gehorchte, eine dürre Gestalt wie aus Wachs mit schütterem, blonden Haar und runden Gläsern in einer Stahlrahmenbrille. Ihm wurde bewusst, dass er aus gutem Grund neben dem General platziert worden war. Nun standen Sie Seite an Seite, beide sichtlich erschüttert – nur einer vor Furcht und der andere vor Wut.

      »Exzellenz, da muss ein Irrtum vorliegen«, sagte Nemerow mit finsterem Blick auf den Vorhang, als könnten seine Augen diesen durchdringen und der Mann dahinter ließe sich greifen, bevor Korsakow die Gelegenheit –

      Die Stimme des Grafen blieb tief und klang äußerst bedrohlich. »Ein Irrtum wurde begangen, in der Tat, Alexej! Sie scheinen beide vergessen zu haben, weshalb Sie in unserem glorreichen Neuen Russland zu solch erlauchten Positionen gekommen sind, sich über Milliarden erheben und in Villen auf Cap d'Antibes residieren dürfen. Heute sind Sie nur hier, weil ich mich auf Sie verließ … und heute werden Sie verschwinden, weil ich das nicht mehr tue.«

      Rostows Leibwächter, die eingetreten und an der Wand entlang nähergekommen waren, standen direkt hinter den beiden Verrätern. Jeder der beiden machte einen Schritt vorwärts, geräuschlos und ohne dass ihre vorgesehenen Opfer es wahrnahmen. Die übrigen elf Männer wandten ihre Blicke von dem blutigen Drama ab, das folgen musste.

      Serow und Nemerow stießen gegen den Tisch. Beide spürten mit einem Mal den Druck von kaltem Stahl an ihren Hinterköpfen, und beide schlossen in Erwartung des Unausweichlichen die Augen.

      »Wo Chaos vorherrscht, hat sich die Ordnung zurückgezogen«, sprach Korsakow. »Möge sie wiederhergestellt werden.«

      Dies war das Signal. Die beiden Bewaffneten feuerten gleichzeitig. Ihre Parabellum-Hohlspitzgeschosse drangen in die Schädel ein, woraufhin Knochensplitter und Hirnmasse als hellroter bis grauer Sprühnebel hoch über den Tisch spritzten. Gewebeklumpen klatschten in die entsetzten Gesichter der Männer, die genau gegenüber den Gerichteten saßen.

      Bevor die toten Leiber zu Boden fallen konnten, wurden sie von den Leibwächtern unter den Armen festgehalten und vom Tisch weggezogen. Sie schleiften die Körper zur Tür, die nun von einem Kellner geöffnet wurde.

      »Machen Sie bitte wieder zu«, verlangte Korsakow, als die Toten draußen waren und die Bediensteten ihr zerbrochenes Geschirr – ein unansehnliches Bild – sowie einen Teil der Schweinerei beseitigt hatten. Die blutgetränkten Servietten tauschte man gegen frische weiße.

      »Nun lassen Sie uns fortfahren. Bitte genießen Sie Ihr Frühstück, meine Herren. Ich möchte noch das eine oder andere loswerden, bevor der Präsident von den Marinemanövern in der Barentssee berichtet. Hat noch jemand Fragen? Nein? Gut. Ich will Ihnen erklären, worum es bei dieser Versammlung eigentlich geht. Sie werden sich brennend dafür interessieren, das garantiere ich Ihnen.«

      An dieser Stelle machte der Graf eine Pause, um den zu