Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


Скачать книгу

Als ich die Höhe erreichte, wo ich die Bordwand vermuten konnte, begann ich zu schneiden und zu sägen.

      »Richard, laß dich nicht einspinnen!!« erklang es ängstlich unter mir.

      Wahrhaftig, ich hatte solch einen grünen Strick schon wie eine Schlange am Beine, er hielt mich fest.

      Doch ich darf die Gefahr nicht übertreiben. Daß dieses grüne Seil mich etwa festhalten konnte, davon war keine Rede. Ein Schnitt, und ich war frei.

      Immerhin, man sieht, wie diese Schlingpflanzen energisch vorgingen. Und wenn man nun kein Messer zur Hand hatte?

      Nun, wir besaßen Messer. Ich hatte förmlich einen Tunnel geschnitten, in dem ich mich gegen zwei Meter tief befand, als ich eine Holzplanke erreichte. Noch einen Fuß höher, und ich fühlte die Bordwand.

      Man sollte meinen, besonders nach dieser zwei Meter dicken Schicht, die ich erst durchschneiden mußte, auch innen sei alles mit einem grünen Wirrwarr ausgefüllt gewesen. Aber dies war nicht der Fall, und nach allem, was ich von dem Wachsen dieses Seetangs außerhalb des Wassers schon beobachtet, hatte ich für meinen Teil das auch gar nicht vermutet.

      Die ersten Seetangpflanzen kletterten eben an dem stilliegenden Schiffe empor. Diese dienten wieder den nächsten Trieben als Stützpunkt, und so ging das weiter, so entstand die dicke Schicht. Aber etwa wie die Schlingbohnen, die ihre Klettertriebe suchend weit hinausschicken, wuchs dieser Fucus nicht; wo er nichts sofort fassen konnte, da kam er als Wasserpflanze auch nicht fort, und so war über dem Deck hier auch ein ganz freier Raum.

      Sehen konnte ich freilich zunächst nichts davon, ich griff zuerst nur in diesen freien Raum hinein. Sonst herrschte eine undurchdringliche Finsternis, dieses grüne Gewebe ließ auch nicht den geringsten Lichtstrahl hindurch, und die Fensteröffnung, die ich geschnitten, füllte mein eigener Leib fast völlig aus.

      So kroch ich zurück und forderte die Petroleumlampe, mit welcher jedes Boot ausgerüstet sein muß. Dann beorderte ich, daß die drei Matrosen zurückbleiben und das Boot immer hin und her bewegen und die grünen Fesseln immer gleich losschneiden sollten, während mir Blodwen gleich folgte.

      Dann befanden wir beide uns innerhalb der grünen Umhüllung an Deck. Die Laterne beleuchtete eine Umgebung, welche gleich das hohe Alter dieses Schiffes erkennen ließ.

      Die Wanten waren noch vorhanden, auch alles andere Tauwerk, doch alles total morsch, nur von den grünen Schlingpflanzen noch gehalten, welche ihre Nahrung aus dem Wasser nahmen.

      Doch das war es nicht, woraus ich ein Schiff aus einem früheren Jahrhundert erkannte. Das lag eben im ganzen Bau, in der Anordnung der Deckplanken, wie die Böller eingelassen waren usw. usw., was eben nur das Auge des Seemanns erkennt, der auf der Steuermannsschule auch etwas von der Geschichte des Schiffbaus studiert hat, wozu dann noch praktische Erfahrung kommt.

s037

      Scheu deutete Blodwen auf ein menschliches Skelett, welches dort an der Bordwand lag, bar jeden Kleidungsstückes. Nun, wir sollten noch mehr solcher menschlichen Skelette entdecken.

      Im übrigen will ich alles kurz zusammenfassen, was wir fanden, und was wir nicht fanden.

      Es war ein dreimastiger Segler, den ich für aus dem 17. Jahrhundert stammend schätzte. Doch das konnte ich nur aus der Bauart beurteilen.

      Kein gemalter Name, kein Papier war mehr vorhanden. Dabei mochten mehr noch als die modernde Feuchtigkeit Ratten und Mäuse aufgeräumt haben, deren zahllosen Skelette wir dann besonders in den unteren Räumen fanden. Weshalb sie zuletzt nicht auch die Wanten und die übrige Takelage aufgefressen hatten, ehe sie des Hungers sterben mußten, weiß ich nicht. Höchst wahrscheinlich war das Tauwerk von dem Seetang bald mit dem diesem eigentümlichen Safte durchtränkt worden, der stark jodhaltig sein mochte, wodurch dieser letzte Fraß für das Nagetier ungenießbar wurde.

      Sonst hatten die Ratten das ganze Schiff radikal ausgefressen – ratzenkahl, wie man dieses Fremdwort treffend verdeutscht hat.

      Gegenstände aus Metall waren natürlich verschont geblieben, aber da waren herzlich wenig vorhanden.

      Im Zwischendeck stand hinter der geschlossenen Stückpforte eine alte Kanone aus Bronze, mit gesprungenem Rohr. Am Schlußstück stand eingeätzt: Liverpool, 1652.

      Daraus hätte man schließen dürfen, daß es ein englisches Schiff war, und auch meine Ansicht über das hohe Alter bestätigte sich.

      Von einem Leck oder dergleichen fand ich nichts. Zur Zeit, als dieses Schiff von dem grünen Tode in die Arme genommen worden war, mußte es völlig intakt gewesen sein, war es schließlich noch jetzt. Es saß eben auf Grund fest, sonst hätte die grüne Last es hinabgezogen, und somit erkannten wir, daß man innerhalb der Fucusbank überhaupt kein Schiff mehr finden würde, das einmal umsponnen worden war. Diese zwei Meter dicke Schicht, bis zu den Mastspitzen hinaufreichend, mußte so ungeheuer schwer sein, um auch das größte Schiff in das feuchte Element hinabzuziehen, und je größer das Schiff, desto größer wurde ja auch die Last. Hier hatte eben nur die Untiefe das Sinken verhindert.

      Sollte sich denn innerhalb von zwei Jahrhunderten keine dickere Schicht bilden, als nur eine solche von zwei Metern? Ich hatte doch schon zur Genüge beobachtet, mit welch fabelhafter Geschwindigkeit der Fucus wächst, wenn er außerhalb des Wassers einmal einen festen Halt hat.

      Nun, der liebe Gott will nicht, daß Bäume in den Himmel wachsen, und das gilt auch von allem anderem, was da wächst und sich sonst ausbreitet. Jede Wüste wandert. Immer weiter rückt der Flugsand vor, alljährlich um viele Meter, und auf dem Papier kann man sich ausrechnen, welcher Zeit es bedarf, um die ganze Erde in eine Wüste zu verwandeln. Das würde gar nicht so lange dauern.

      Da aber hat die Natur Grenzen bestimmt, für das menschliche Auge ganz unsichtbare, welche der Sand eben nicht überschreiten darf. Bis hierher und nicht weiter! Ebenso ist es mit der indischen Dschungel, welche gleichfalls mit Schnelligkeit wandert, und mit noch vielem anderen. Aber überall bestimmt die Natur eine Grenze. Bis hierher kommt der Wald, hier gedeiht nur Präriegras – basta!

      Also gar kein Zweifel, auch die Stärke dieses grünen Fucusgewebes, das sich um ein festsitzendes Schiff ausbreitete, hatte ihre gewisse Grenze. Anderenfalls hätte sich ja um dieses Schiff ein Berg bilden müssen, welcher mit der Zeit die ganze Fucusbank, das ganze Sargassomeer ausfüllte!

      Was das umwachsende Fucuskraut bewog, nicht mehr an der grünen Wand emporzuklettern, konnte mein menschlicher Verstand natürlich nicht erfassen. Oder kletterte die Nachbarschaft dennoch immer empor – was ich dann später auch wirklich erkannte – so ging das Abrüstungsgeschäft eben von innen vor sich, wenn wir davon auch nichts gewahrten.

      Doch wir hielten deswegen jetzt gar keine Umschau. Unsere Gedanken waren mit etwas ganz anderem beschäftigt, als mit der Lösung von solch naturwissenschaftlichen Problemen.

      Wir befanden uns noch immer in dem Zwischendeck mit der einen Kanone und blickten uns mit gar scheuen Augen um. Die menschlichen Skelette, der schwüle, modernde Dunst, das unsichere Licht – unsere scheuen Blicke waren begreiflich.

      »Weißt du, Richard, woran ich denke?« flüsterte Blodwen.

      »An unser holländisches Wrack.«

      Ich hatte ihre Gedanken nur deshalb erraten können, weil ich im Augenblick wirklich an ebendasselbe gedacht hatte.

      »Und weißt du, Blodwen, was ich fast glauben möchte?«

      »Nun?«

      »Daß hier schon vor uns jemand gewesen ist und ausgeräumt hat.«

      »Und daß auch jenes holländische Wrack einst hier in grüner Umstrickung gelegen hat und davon befreit worden ist.«

      Ganz meine Ansicht! Jawohl, auch jenes Wrack hatte einst hier so gelegen!

      »Woran erkennst du, daß hier jener geheimnisvolle Kapitän gewesen ist?« fuhr Blodwen im Flüstertone weiter fort.

      »Daß es derselbe Mann gewesen, ist