Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


Скачать книгу

jeder Vordseite hätten nämlich vier Geschütze stehen sollen. Alle die Ringe waren im Deck eingelassen, an denen sie befestigt gewesen, auch sonstige Spuren waren zu bemerken, daß sie wirklich hier gestanden hatten.

      Und hätte dieses Schiff etwa nur ein einziges Geschütz an Bord gehabt, auf Backbordseite stehend, eines mit einem gesprungenen Lauf? Wegen der acht Kanonen brauchte es noch kein Kriegsschiff gewesen zu sein, damals mußte wegen Seeräubern noch jedes Handelsschiff mehrere Kanonen mit sich führen, wie ja schließlich auch heute noch, nur daß man sie nicht so offen aufstellt.

      »Die Kanonen sind entführt worden, daran ist gar kein Zweifel. Nur das hier mit dem gesprungenen Rohre hat man zurückgelassen.«

      »Sind denn noch die Boote vorhanden?« fragte Blodwen.

      Ich hatte vorhin ein solches in den Davits an Deck unter grüner Umhüllung gesehen. Wenn die Besatzung versucht hatte, ihre Rettung vor der grünen Umstrickung in Booten zu bewerkstelligen, so war ihnen das eben nicht gelungen, sie hatten das Boot wieder hochgezogen und eingeschwungen. Oder sie brauchten ja auch nicht gerade dieses benutzt zu haben.

      »Mit was mag das Schiff denn befrachtet gewesen sein?«

      Wir hielten weitere Umschau, ohne etwas zu finden. Ja, einige Fässer und dergleichen. Als ich eines, welches noch verschlossen war, aufschlug, fand ich es leer. Wahrscheinlich hatte es Salzfleisch enthalten. Aber innerhalb von 200 Jahren war alles zu einigen unerkennbaren Brocken zusammengetrocknet, da hilft auch das dichteste Faß nichts, auch keine zugelötete Blechbüchse.

      Was sonst offen dagelegen, hatten eben Ratten und Mäuse gefressen – und was deren Zähnen widerstanden, war von menschlichen Händen ausgeladen worden.

      Wir besichtigten Kajüte und Kabinen, in denen einst Kapitän und Offiziere gehaust hatten. Mehrere Türen mußten verschlossen gewesen sein, sie waren aufgesprengt worden – wieder ein sicheres Zeichen, daß jemand noch nachträglich hier gewesen war, nachdem schon der grüne Tod seine Ernte gehalten hatte.

      Kein Möbel, gar nichts! Wohl aber konnte man noch sehen, wo einst ein Teppich gelegen, wo ein Bild an der Wand gehangen hatte.

      Sollten die Ratten wirklich all das aufgenagt haben? Nein. Die Tiere hatten doch auch bald aus Mangel an Wasser krepieren müssen, als sie noch ihren Hunger hätten stillen können.

      Hier war eben von Menschen ausgeräumt worden.

      »Richard!!« erklang es da angstvoll.

      Blodwen deutete vor sich auf den Boden, und ich erkannte alles sofort.

      Ein Stück zusammengeknülltes Zeitungspapier war es, das ihr solchen Schreck eingeflößt hatte, und das mit Recht.

      Ich hob es auf, fühlte noch etwas darin, wickelte es aus und … es war ein Stückchen Speckschwarte. Allerdings schon ganz ausgetrocknet, aber sicher nicht schon zweihundert Jahre alt. Außerdem erkannte ich eine englische Zeitung, ein politischer Artikel trug am Kopfe das Datum des sechzehnten Februars. Aus dem Inhalt erkannte ich sofort, daß es sich nur um dasselbe Jahr handeln konnte, welches wir noch immer schrieben. Also am Anfange dieses Jahres hatte dieses Schiff Besuch von lebendigen Menschen erhalten.

      Zum Ueberfluß entdeckte ich dann noch auf dem Boden Brotkrümel. Ein Matrose hatte hier gegessen.

      Ich habe über unseren Aufenthalt auf diesem Schiffe nichts mehr zu sagen. Sonst fanden wir nichts Neues, wir verließen es wieder.

      An Deck forschte ich noch einmal danach, auf welche Weise unsere Vorgänger hier eingedrungen waren. Denn auch sie hatten sich doch erst durchschneiden müssen.

      Ich fand nichts, keine Oeffnung, nicht einmal eine hellere Stelle in dem undurchdringlichen Gewirr von Schlingpflanzen.

      War irgendwo eine große Oeffnung gewesen, so hatten zehn Monate eben genügt, um alles wieder Zuwachsen zu lassen, so dick wie zuerst, bis die Natur aus irgendeinem Grunde kein weiteres Zunehmen der Stärke gestattete.

      Wir krochen durch unsere Oeffnung zurück, ich mußte schon wieder tüchtig schneiden, und ich atmete tief auf, als mich wieder die warme Sonne begrüßte, als ich dort mein Schiff und unten unser Boot liegen sah.

      Ein Matrose schob es immer hin und her, die beiden anderen rissen und schnitten beständig die jungen Triebe ab, welche das Boot in ihre Umklammerung nehmen wollten. Diese Gier der Pflanzen, den Gegenstand in ihre Umschlingung zu nehmen, hatte wirklich etwas Unheimliches an sich, man dachte gar nicht mehr an Pflanzen, es wurden lebendige Schlangen daraus.

      Wir kletterten hinab, und nach zehn Minuten befanden wir uns wieder an Bord. Die Schraube begann zu arbeiten, sofort durchschnitt das haarscharfe Messer die Schlingpflanzen, die sich schon an dem Stahl emporgerankt hatten – wir setzten unsere Fahrt nach Westen ungehindert fort.

      SCHWIMMENDES GOLD.

       Inhaltsverzeichnis

      Am nächsten Tage gewahrten wir einige Vögel, welche von Norden nach Süden strichen, und ihre Scharen nahmen immer mehr dazu.

      Wenn wir nichts von Land gewußt hätten, brauchten wir diese Vögel noch nicht als Verkünder von Land zu betrachten, aber wir hatten eben schon eine Ahnung, und noch am Abend desselben Tages konnte ich mit Sicherheit konstatieren, daß diese Vögel wirklich ein nahes Zentrum hatten, von dem sie sich entfernten, und dem sie wieder zuflogen, und nun konnte auch jeder Matrose beurteilen, daß vor uns festes Land liegen mußte.

      Und wieder am nächsten Tage, in der zweiten Mittagsstunde, sahen wir vor uns in weiter, weiter Ferne etwas Mächtiges aufsteigen, wie ein dunkles Wolkengebilde am blauen Firmament, was aber der Seemann sehr wohl zu unterscheiden weiß.

      Denn gerade bei den nebligen Wolken fehlen die schattenhaften, unbestimmten Umrisse, welche immer das Land kennzeichnen, von der Ausdünstung herrührend.

      Land!!!

      Niemand hatte es gerufen. Wir alle hatten es zugleich gesehen, wie durch Zauberei hob sich das zackige Gebilde plötzlich vom blauen Himmel ab, und ein jeder hatte schon längst angestrengt danach ausgespäht.

      Denn ich hatte meine Leute unterdessen schon eingeweiht, was ich hier finden sollte – Land – nur daß ich selbst noch nicht wußte, was wieder auf diesem Lande zu finden sei.

      Es war ein feierlicher Moment, als wir es nun plötzlich vor uns liegen sahen. Ein jungfräuliches Eiland, vielleicht ein ganzer Erdteil, noch von keinem menschlichen Fuße betreten!

      Für mich und Blodwen mußte diese hehre Empfindung etwas beschränkt werden. War nicht mit Sicherheit anzunehmen, daß auch schon jener geheimnisvolle Unbekannte mit seiner Mannschaft dieses Land betreten hatte?

      Doch diese Empfindung war nur ganz gering. Auch in Amerika waren vor Kolumbus schon andere Europäer genug gewesen, vor allen Dingen Isländer, und in prähistorischer Zeit wahrscheinlich auch Chinesen. Und Kolumbus’ Ruhm ist dadurch nicht geschmälert worden, wie er selbst ja auch gar keinen neuen Erdteil zu entdecken gehofft hatte, sondern er glaubte ja, er habe von Westen her das schon längst bekannte Indien erreicht.

      Meinen Leuten hatte ich übrigens von meiner Entdeckung im Innern des umsponnenen Schiffes noch gar nichts gesagt, nichts von Doktor Selos Hinterlassenschaft, auch den Offizieren nicht, da hatte ich mich einmal in das Schweigen des unnahbaren Kapitäns gehüllt, und so konnten sich diese erst recht dem Gedanken hingeben, hier die ersten Menschen zu sein, welche dieses jungfräuliche Land im grünen Sargassomeer nun zu Gesicht bekamen.

      Also auch gebirgig war dieses Land! Denn das dort war ein ganz stattliches Gebirge.

      Aber heute sollten wir es nicht mehr erreichen. Die Nacht brach an, und ich schätzte das Gebirge noch immer gute fünfzig Seemeilen von uns entfernt.

      Nun aber war guter Rat teuer. Es war doch sehr zweifelhaft, ob dieses Gebirge bis dicht an die Küste herantrat. Diese konnte vielleicht viele Meilen weit ganz flach sein, und wir befanden uns schon in ihrer dichten Nähe.