Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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waren. Um ihn zu erreichen, mußten wir, wie gleich zu erkennen war, noch tüchtig über Berg und Tal klettern.

      Ein erfreulicher Anblick erwartete uns, als wir die nächste Bergspitze erklommen hatten. Unter uns flatterten ungeheure Scharen von Vögeln, zum größten Teil wohl Möwen. Hier in der Nähe hatte uns bisher der Gebirgskamm ihren Anblick entzogen.

      Ich will mich kurz fassen. Die halbe Meile gestaltete sich für uns Seeleute zu einer fürchterlichen Tour. Schluchten hinab- und wieder hinaufklettern, mit Geröll bedeckte schräge Stellen überwinden – für einen Gemsjäger mochte das ja Spaß sein, für einen Bergfex, der jede Sommerferien mit dem Kraxelstock in die Alpen macht, immer noch eine Lust – wir aber waren Seeleute, nur gewohnt, das glatte Deck unter den Füßen zu haben, und das Klettern in den Wanten und in der Takelage ist denn doch etwas ganz anderes.

      Zudem hatten wir wirklich auszustehen. Mehr als die Hälfte des mitgenommenen Wassers durften wir doch unter keinen Umständen verbrauchen, so lange wir nicht wenigstens ein Gerinnsel gefunden hatten, und danach sah es in dieser schrecklichen Einöde, wo kaum noch ein Grashalm gedieh, gar nicht aus. So mußten wir bereits seit heute früh mit jedem Schlucke geizen, und dabei brannte die Sonne fürchterlich, und der Schluck Wasser, der manchmal verteilt wurde, war eine warme Tunke.

      Außerdem hatten wir schon längst anstatt der Stiefel nur noch Lederfetzen an den Füßen, die spitzen Steine stachen uns direkt in die nackten Sohlen.

      Doch Mut! Wenn nicht alles trügte, so mußte sich dort unten das Ziel befinden. Wenn meine letzte Sonnenberechnung ergab, daß wir kaum noch hundert Meter davon entfernt waren.

      Vor uns ging eine ziemlich schräge Fläche hinab, auch wieder mit solch verteufeltem Geröll bedeckt, und dort unten war auch eine ganz andere Felsbildung, so grottenähnlich, die gleich etwas Besonderes vermuten ließ.

      Außerdem wimmelte es dort unten von Möwen und anderen Seevögeln, welche sich doch sonst nicht gern in enge Tiefen begeben. Ich ahnte gleich etwas, doch wollte ich es laut lieber nicht zu hoffen wagen, und so mochten auch die anderen denken. Hier klebten auch überall Vogelnester an den Wänden, die unteren in erreichbarer Höhe, auch zwischen Spalten im Boden waren sie geklemmt, alle mit Eiern gefüllt, an denen wir uns hätten delektieren können, wenn irgendwie Appetit vorhanden gewesen wäre.

      Also hinab diesen letzten Weg!

      Wir haben kaum, mehr auf dem Rücken liegend, die ersten Schritte gemacht, da knickt Blodwen mit einem leisen Schrei zusammen, um nicht wieder aufzustehen. Sie hatte sich den rechten Fuß verrenkt oder verstaucht, das Gelenk schwoll gleich ganz unförmlich an.

      »Laßt mich einstweilen hier liegen, ihr müßt ja gleich am Ziele sein,« bat sie.

      Daran war nicht zu denken. Blodwen hatte sich während des zweitägigen Marsches wie ein ganzer Mann oder meinetwegen auch wie ein tüchtiges Weib benommen. Kein Seufzer war über ihre Lippen gekommen.

      Weshalb sie hier liegen lassen? Zurücktragen mußten wir sie doch nun sowieso, da konnte sie auch erst dort hinab, und ich dachte, dort unten Wasser zu finden. Jetzt wurde das doch ausgesprochen.

      Hans, der sich gleich zu der Expedition freiwillig gemeldet hatte, war der erste, der Rat wußte, wie die Verletzte zu transportieren sei. Als ich Blodwen einmal auf meinen Arm genommen hatte, mußte ihr Fuß doch mit meinem Körper in Berührung kommen, und da hatte sie schmerzlich gestöhnt.

      Hans gab einem anderen, gleichgroßen Matrosen die Hand, auf diese von zwei Armen gebildete Bahre ward Blodwen gesetzt, so ging es hinab, die Lastträger von uns anderen vorn und hinten unterstützt, daß sie nicht strauchelten.

      Und wie sollte das nun auf dem Rückweg werden? Wir wollten lieber noch gar nicht daran denken. Jedenfalls durfte Blodwen nicht der geringste Vorwurf gemacht werden, das hätte auch jedem von uns passieren können.

      An einer flacheren Stelle wurde sie einmal abgesetzt. Als sie die Arme um meinen Hals schlang, ging es ihr einmal recht nahe.

      »Richard, mir ist recht elend zumute,« flüsterte sie mit weinerlicher Stimme.

      Armes Weib! Wir konnten ihr ja nicht einmal den Fuß mit Wasser kühlen. Das warme Zeug, das wir noch in den Schläuchen hatten, nützte nichts.

      Weiter ging es hinab, kreischend flohen die Möwen davon, und dann konnten wir aufjubeln.

      Aus einer Grotte sprang in dickem Strahle eine klare Quelle hervor und ergoß sich in ein selbstausgehöhltes Bassin, daraus abfließend und bald wieder in einer Bodenspalte verschwindend.

      Ringsherum war wohl alles sehr von den Vögeln verunreinigt, aber das ziemlich große Bassin war durch den ständigen Zufluß ganz klar. Es war ein herrliches, kaltes Wasser, vergessen war mit einem Male alles.

      Eine geographische Berechnung konnte ich nicht mehr machen, wir standen schon im Sonnenschatten, ich mußte erst die nächtlichen Gestirne abwarten, aber gar kein Zweifel, das hier war der angegebene Punkt.

      Nichts weiter als eine Quelle? Nun, in der Wüste ist Wasser manchmal kostbarer als Gold, und da war es schon wert, diese Quelle, vielleicht die einzige auf der sechzig Quadratmeilen großen Insel, durch eine geographische Ortsbestimmung festzunageln.

      Doch für wen mochte das besonderes Interesse haben?

      Das war für uns jetzt ganz gleichgültig.

      SCHRECKEN UND JAMMER

       Inhaltsverzeichnis

      In der Abenddämmerung hatten wir uns in dem Bassin gebadet. Es war eine herrliche Plätscherei gewesen.

      Dann flammte ein Feuer auf, in den beiden mitgenommenen Kesselchen wurden Eier gekocht.

      Blodwen saß mit naß eingepacktem Fuße neben mir, jetzt sprachen wir von dem Rückmarsche, aber hier angesichts des plätschernden Wassers war gar nichts mehr dabei.

      »Es sind ja höchstens zwei Tage, statt des schon verzehrten Proviantes nehmen wir jetzt Wasser …«

      »Still, Richard!!« unterbrach mich da Blodwen mit erhobenem Finger.

      Ich lauschte, wie sie, konnte nichts hören, blickte sie an, und da erkannte ich in dem unsicheren Feuerschein, wie leidend Blodwen plötzlich aussah, außerdem so blaß, obgleich sie doch heiße Tage genug hinter sich hatte, daher sonst auch eine gesunde, sonnenverbrannte Farbe besaß.

      »Ich höre nichts. Was hast du denn …«

      »Da – da – jawohl – ich täusche mich nicht!«

      Bei Gott, jetzt hörte ich es auch – ein Heulen! Und jetzt ein heiseres Bellen!

      »Das ist Achilles! Er ist mir auf der Spur gefolgt!« rief Blodwen, und sie sollte recht behalten.

      Hierzu bemerke ich, daß wir die beiden Bullenbeißer noch immer an Bord hatten, und die Mannschaft hatte nun schon so ziemlich Freundschaft mit ihnen gemacht. Die fünf Jungen, welche während der ersten Tage an Bord geboren worden, waren bald eingegangen, weil die Mutter, welche aber auf den männlichen Namen Achilles hörte oder vielmehr gewöhnlich nicht hörte, zu wenig Milch gehabt hatte.

      Man konnte Blodwen nicht verdenken, daß sie die beiden Köter so in ihr Herz geschlossen hatte. Ihrer Herrin wenigstens waren sie ungemein anhänglich, sie kannten eben keinen anderen Menschen als Blodwen, wir anderen waren in ihren Augen schließlich immer noch Nullen, auch ich hätte nicht wagen dürfen, in Gegenwart eines der riesigen Tiere Blodwen nur so einen scherzhaften Schlag auf die Schulter zu geben.

      Und nun war einer von Bord geschlüpft und hatte die zwei Tage lange Spur bis hierher verfolgt?

      Es mußte wohl sein, es war ein Hundegeheul gewesen, und Blodwen konnte sogar die Stimme ihrer beiden Lieblinge unterscheiden.

      Und da kam es auch schon die schräge Fläche herabgepoltert, in Begleitung von rollenden Steinen, dann sah ich in dem unsicheren Lichte, das von