Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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Herrin Gesicht, eine flüchtige Begrüßung, so eine Art Kuß im Vorbeistreifen, und Achilles hatte sich in das Bassin gestürzt und leckte und schleckte und schluckte.

      »Das arme Tier. Wie lange mag er’s wohl ohne Wasser bis hierher … da kommt auch Diomedes!«

      Jawohl, ein neues Poltern, wieder kam in großen Sprüngen eine Gestalt an, aber …

      Wir trauten unseren Augen nicht. Und dann durchzuckte uns alle ein furchtbarer Schreck.

      Kein Hund war es, sondern eine menschliche Gestalt!

      Goliath!! Goliath, nur mit einer zerfetzten Hose bekleidet, der nackte Oberkörper in Schweiß gebadet, wie aus dem Wasser gezogen, furchtbar keuchend, und hinter sich eine Blutspur ziehend!

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      »Goliath, um Gottes willen …«

      Er schnappte, er griff in die Luft, seine blutunterlaufenen Augen rollten umher – und dann sprang er nach dem Bassin, wollte wohl bloß niederknien, konnte sich nicht halten, stürzte ins Wasser und trank mit vollen Zügen, trank, trank.

      »Goliath, sprich, was ist geschehen?!«

      Da hob er den triefenden Mund, hob die Arme empor.

      »Die ›Sturmbraut‹ ist gesunken!!« schrie er mit röchelnder Stimme, und dann beugte er sich wieder hinab, um weiter zu trinken.

      Es ist eigentümlich. Manchmal können einem Stunden wie Minuten vergehen, und manchmal werden Sekunden zu Ewigkeiten.

      Die ›Sturmbraut‹ gesunken! Jetzt ist es mir, als hätte ich damals eine Stunde gebraucht, um überhaupt erst zu verstehen, was damit eigentlichlich gemeint sei, und als hätte der nackte Neger eine Stunde so bis an die Brust im Wasser gestanden, immer trinkend, trinkend.

      Mit einer Stunde war da natürlich nichts. Vielleicht war ich nur fünf Sekunden so wie gelähmt.

      »Die ›Sturmbraut‹ gesunken!?« schrie ich dann.

      Mit einem Male stand Goliath wieder am Rande des Bassins, mit etwas weniger keuchender Brust, und neben ihm schüttelte sich Achilles.

      »Gesunken,« wiederholte Goliaths tiefe Stimme, »rettungslos gesunken.«

      »Wann?«

      »Heute vormittag in der elften Stunde.«

      »Dort in der Bucht?«

      »Ja.«

      »Durch was?«

      »Unerklärlich. Ich selbst war an Bord – in meiner Kabine – da ein Stoß, gar nicht so heftig – aber sofort begann der Dampfer zu sinken – in fünf Minuten war er weggesackt, in eine für uns unerreichbare Tiefe. Die Mastspitze ist noch drei Meter unter Wasser.«

      Ich stierte den schwarzen Unglücksraben noch immer wie ein Gespenst an, wollte es gar nicht glauben.

      »Es – ist – nicht – möglich! Wodurch soll er denn gesunken sein? Ein Leck?«

      »Es ist nur anzunehmen, daß ein Walfisch hart gerammt hat. Es trieben sich gerade Walfische in der Bucht herum.«

      »Was, ein Walfisch soll solch einen eisernen Dampfer leck rammen?!«

      »Er kann eine Eisenplatte eingedrückt haben, deren Nieten nicht mehr ganz fest waren. Massa, Massa, die ›Sturmbraut‹ ist gesunken!!«

      Der letzte Ton hatte mich belehrt, daß es jetzt keine Zeit war, nach Ursachen zu forschen. Erst jetzt sprang ich empor.

      »Und meine Jungen?«

      »Alle sind gerettet!«

      »Gelobt sei Gott!«

      »Aber sie sind dem Tode verfallen – denn sonst konnte nichts mehr an Land geschafft werden – jetzt stehen sie dort an der Küste ohne Proviant und ohne Wasser und warten auf Eure Rückkehr!!«

      Fast heulend war dies aus des Negers Munde gekommen, und plötzlich wußte ich, wie es mit denen dort stand!

      Blitzschnell jagten mir Zahlen durch das Hirn.

      Heute früh um elf war es geschehen, jetzt war es sieben Uhr – also schon acht Stunden vergangen – am ersten Tage waren wir sieben Stunden marschiert, allerdings sehr langsam – heute mindestens zehn Stunden Kletterweg – macht zusammen siebzehn Stunden – ich wollte im Eilmarsch nur die Hälfte gelten lassen: neun, nur acht Stunden – so weit waren wir voneinander getrennt – nun kamen aber noch die schon vergangenen acht Stunden hinzu – und dann mußten die an der Küste Wartenden doch auch erst benachrichtigt werden, hierherzumarschieren – und so lange in dieser Sonnenglut, ohne Wasser …

      »Auf, die Wasserschläuche gefüllt und nach der Küste gerannt, was uns unsere Füße tragen, oder wir finden unsere Kameraden nur noch als ausgetrocknete Leichen wieder!!!«

      So schrie ich, und wie jeder verstand, daß hier mit jeder einzelnen Sekunde gegeizt werden mußte, das zeigte am besten, wie die vier Matrosen mit den Wasserschläuchen sofort ans Bassin sprangen, alles andere gleich stehen und liegen lassend.

      »Heute früh um elf, sagst du?« wandte ich mich noch einmal an Goliath.

      »Ja.«

      »Wie kannst du da schon hier sein?«

      »Ich bin unaufhaltsam gerannt, so schnell wie Achilles – wie der Hund, meine ich.«

      Ja freilich, dieser athletische Neger besaß auch die Schenkel eines Hirsches, er konnte sich recht wohl mit dem göttlichen Achilles vergleichen, der ja besonders auch wegen seiner Schnellfüßigkeit berühmt war.

      Dann aber hatte ich auch die Zeit vorhin viel zu niedrig taxiert, wenn ich nur mit acht oder neun Stunden gerechnet hatte, da schon dieser Neger sieben gebraucht, hinter dem Hunde her.

      »Einen Wassersack!« sagte Goliath, immer noch mit heiserer Stimme. »Ich laufe sofort zurück, hole sie, daß sie schon entgegenkommen.«

      Allerdings, das wäre vortrefflich gewesen.

      »Das hältst du nicht aus.«

      Ein trotziges Lächeln trat auf den pechschwarzen Zügen hervor.

      »Ich nicht?«

      »Findest du den Weg bei Nacht?«

      »Ich finde ihn.«

      »Sonst nimm den Hund mit, er führt dich die Spur zurück.«

      »Und Ihr?«

      Er hatte recht. Wir gebrauchten die Spürnase des Hundes jedenfalls nötiger als dieser Neger, der mir jetzt ganz wie ein wilder Zulu vorkam, der nichts weiter kennt als Krieg und Jagd und aus jeder Fährte zu bestimmen weiß, wie alt das betreffende Tier ist.

      Nun aber waren auch Worte genug verschwendet gewesen. Goliath hing sich einen gefüllten Wassersack auf den Rücken, und mit leichten Sätzen, als wäre er noch ganz frisch, sprang er schon die Böschung hinauf, war in der Nacht verschwunden.

      Auch wir hatten schon jeder einen der ziemlich gewichtigen Wassersäcke auf dem Rücken. Dazu kamen noch drei leer gewordene Proviantsäcke, die ebenfalls wasserdicht waren.

      Da fiel mein Blick auf Blodwen.

      Mein Gott, wie hatte ich das nur vergessen können?

      »Bei der Lady muß natürlich jemand bleiben!«

      Schon machte Hans eine Bewegung, als wolle er sich der beiden Säcke wieder entledigen, aber er tat es nicht, bekam einen ganz roten Kopf.

      Er sollte auch nicht dazu kommen.

      »Auf keinen Fall bleibt jemand bei mir,« sagte Blodwen, und dabei beharrte sie, da war an gar keinen Widerstand zu denken.

      Die Gründe, welche sie anführte, waren ja allerdings auch stichhaltig.

      Einmal kam es jetzt darauf an, den uns Entgegenkommenden soviel wie