Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


Скачать книгу

      Aber hatten wir für die Expedition nicht ein ganzes Jahr angesetzt? Ich hatte mit ihm deswegen überhaupt gar nichts ausgemacht.

      O, o, das sah böse, böse für uns aus!

      Durch eigene Kraft forthelfen? Ein Fahrzeug bauen? Bäume gab es ja genug, schließlich mußte man auch mit Messer und Feuer und ohne Nägel fertig werden, wir wollten schon einen Kahn zusammenflicken – aber um uns herum war die verdammte schwimmende Graswiese, deren zärtliche Anhänglichkeit wir doch schon zur Genüge kennen gelernt hatten.

      Es begann zu regnen. So angenehm das auch für uns war, so ermahnte mich dies doch, nicht nach der Taube zu greifen, wenn man einen Sperling in der Hand hält.

      »Um Gottes willen, Jungens, schont und sichert eure Streichhölzer!«

      Mit diesem Regen war nicht viel anzufangen, in den ausgebreiteten Oeljacken, die einige Matrosen getragen hatten, wollte sich nichts ansammeln. Er hörte auch bald wieder auf, die Sonne kam von neuem hervor – wir litten ganz schmählichen Durst.

      Ich hätte ja gern einmal geruht, ich selbst war ja todmüde, aber ich dachte an Blodwen.

      Vorwärts, vorwärts! Bald gab es ja Wasser und Eier und Fleisch genug, dann konnten wir vielleicht wochenlang schlafen, gleich bis ins späte Alter in den Tod hinüber, konnten einander hier begraben. -

      Am Abend, schon zwischen den Bergen, schleppten wir uns nur noch so hin. Und mit Anbruch der Nacht kam es endlich, was schon lange in der Atmosphäre gelegen hatte: Orkan und Wolkenbruch.

      Es war schauderschaft schön. Gewiß, dieses Heulen und Pfeifen und Blitzen und Donnern und Prasseln von hühnereiergroßen Regentropfen – das war alles ganz imposant.

      Aber so etwas muß man sich lieber auf einem Gemälde oder im Theater ansehen, wenn hinter den Kulissen der Donner mit der großen Pauke markiert wird, und der Regisseur bläst mit Kolophonium ellenlange Blitze.

      Für uns, die wir alle auf einem Klumpen zusammengeballt dalagen, war dies weniger imposant, noch weniger schön. Und ich dachte an Blodwen.

      Am nächsten Morgen brannte natürlich kein einziges Schwefelhölzchen mehr. Aber dafür brauchten wir auch keinen Durst mehr zu leiden. Wenn wir nicht die gelbe Brühe trinken wollten, die überall herabrieselte, brauchten wir uns nur gegenseitig die nassen Kleider auszunutschen. Das heißt vorausgesetzt, wer noch Kleider hatte! Bei mir war nur wenig noch auszunutschen, bei Herrn Beyer überhaupt nichts mehr, der hatte sich aus seinem letzten halben Hemdchen einen Turban gemacht, hatte es sich zum Schutze seiner Glatze um den Kopf gewickelt.

      Ich weiß nicht – gerade bei solchen Gelegenheiten, wenn es mir einmal recht schlecht geht, kann ich lustig werden. Wirklich, da sehe ich alles mit humoristischen Augen an. Ich suche mit Absicht Komik, finde sie, und so weiß ich mich immer zu trösten, werde wieder lustig.

      Nur damals wollte es mir nicht recht gelingen. Ich dachte an Blodwen.

      Und es goß noch immer in Strömen. Am Mittag hatte ich an der Quelle zu sein gehofft, aber der Weg war so schlüpfrig, daß wir nur wie Schnecken vorwärts kamen.

      So brach schon wieder die Dämmerung herein, ehe ich mich als erster des Zuges der Quells näherte. Und jetzt quatschte es wieder mit Macht vom Himmel herab, wenn auch ohne Sturm.

      »Blodwen!!«

      Ein leises Wimmern.

      Mein Herzschlag setzte plötzlich aus.

      Da lag sie. Am Rande des Wasserbassins. Der Regen prasselte auf sie herab.

s073

      »Blodwen, um Gottes willen, was machst du da?«

      Da bewegte sie sich etwas.

      »Richard, ach, mein Richard!« wimmerte sie mit schwacher Stimme.

      Gelobt sei Gott, sie lebte wenigstens noch!

      Ich stand neben ihr, beugte mich zu ihr herab.

      »Aber Blodwen, was liegst du hier? Warum bist du nicht in der …«

      Das Wort erstarb mir.

      Warum hatte sie denn ihre Brust ganz entblößt?

      Und was hatte sie denn da an der Brust für ein kleines Bündel, das sie mit beiden Händen festhielt?

      Und das kleine Bündelchen bewegte sich, und jetzt ein piepsendes Stimmchen …

      Da ging mir die Erkenntnis auf!

      Und ich griff in die Luft, um mich an etwas zu halten, und da ich nichts fand, taumelte ich.

      O, Jammer, o, grenzenloser Jammer!!

      Die stolze Bodwen – die Lady von Leytenstone – die Erbin von Millionen und Abermillionen und noch Besitzerin derselben – aufgewachsen in einer Frauenkemenate, vor jedem Luftzug beschützt – hier in, Sturm und Wolkenbruch, auf der nackten Erde liegend, ohne jede menschliche Hilfe – so hatte sie einem Kinde, meinem Kinde das Leben geschenkt!

      DER STERN VON BETHLEHEM.

       Inhaltsverzeichnis

      Erlasse mir der Leser jede Schilderung, jede Erwägung, was da vorangegangen war, wie das geschehen, wie das unerfahrene Weib fertig geworden.

      Mit ihrer letzten Kraft hatte sie sich nach dem Bassin geschleppt, in der Nacht, im Wolkenbruch, hier hatte sie stundenlang gelitten, hier hatte sich der Fluch des Paradieses an ihr erfüllt – dann war sie mit ihrem verrenkten Fuße nicht fähig gewesen, sich zurückzuschleppen – hier hatte sie im strömenden Regen die ganze Nacht und auch noch den ganzen Tag verbracht, das Kind an der Brust… genug!

      Der Fluch des Paradieses! Dieses stolze Weib hier hatte ihn bis zur letzten Neige auskosten müssen, die Wölfin beneidend, die sich doch wenigstens noch im Schnee zu betten weiß!

      Genug!

      Es war ein Mädchen.

      Es konnte nur ein Siebenmonatskind sein. Es war lebensfähig und blieb am Leben, obgleich wir ihm anfangs nur Eier einflößen konnten. Denn eine Woche rang die Mutter, mein Weib, mit dem Tode. Dann erholte sie sich wieder. Auch sie sollte am Leben bleiben. Und dann konnte sie es selbst stillen.

      Auch wir sollten unser Leben fristen können.

      Aber ach, was habe ich in diesen vier Wochen durchgemacht. Und jeder meiner Jungen hat mit mir gelitten – nicht körperlich, sondern seelisch. Aber das äußert sich auch körperlich, im Gesicht. Ich bin in diesen vier Wochen um vier Jahre gealtert, obgleich wir uns täglich mit kräftiger Nahrung sättigen konnten.

      Ueber unsere Lebensweise habe ich wenig zu erzählen.

      Nach dem Trocknen zeigten sich einige Streichhölzer noch gebrauchsfähig. An Holz war hier kein Mangel, es wurde ein beständiges Feuer unterhalten, und sonst wurden eben Baumstämme von weiterher geschleift, die zerschnittenen Stücke am Feuer schon vorher getrocknet.

      Ja, mit den Messern fällten und zersägten wir die Baumstämme, die stärksten. Wir hatten ja Zeit dazu.

      Dann dienten als Feuerungsmaterial auch die vielen Holzspäne, welche beim Schiffbau abfielen. Denn wir bauten emsig an einem Boote, ohne noch zu wissen, wie wir es in dem grünen Wiesenmeere dereinst verwenden könnten.

      Aber so untätig herumzulungern, als Seeleute, auf einer Insel, wo es Bäume gab, das wäre doch schmachvoll gewesen.

      Auf der höchsten Bergspitze war ständig ein mit Wasser versehener Matrose postiert – zwecklos. Bei dieser Entfernung war ja auch nicht das größte Schiff zu sehen. Dennoch, wir taten, was wir tun konnten.

      Unmöglich aber war, Wachen an der Küste zu postieren, einmal wegen deren Länge, dann wegen der Wasserfrage.

      Wie sollte