Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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kleine Kunstleistung.

      An Nahrung war also kein Mangel. Die uns nächsten Vögel wurden allerdings scheu, aber da gab es noch viele Tausende von anderen Nestern, wenn diese auch schwerer zu erreichen waren oder einen weiteren Weg erforderten. Als die Möwen zu legen aufhörten, machten sich andere Seevögel ans Brutgeschäft, und war ihr Fleisch völlig ungenießbar, weil mit den Zähnen nicht zu zerreißen, so gab es doch eine kräftige Bouillon. Aber das läßt sich alles machen, da wurde es einfach mit Messern zu Ragout zerhackt, und schmeckte es tranig, so versicherten wir gegenseitig, daß Walfischtran noch viel, viel traniger schmecke.

      Ich machte mich einmal mit Goliath auf den Weg nach der Bucht, jeder mit einem Wassersack behangen.

      Ja, da lag die ›Sturmbraut‹, handgreiflich. Boote, Wasserfässer – alles in tadelloser Ordnung. Aber durch Tauchen hätte ich höchstens die Mastspitze erreichen können. An Deck wäre auch kein professioneller Perlentaucher gekommen.

      Ja, hätten wir unsere Taucherkostüme hier gehabt. Aber die lagen wohlgeborgen dort unten. -

      Es war in der dritten Woche. So genau kann ich das ja nicht bestimmen, wir waren ganz aus dem Kalender gekommen. Da hörte ich eines Nachts im Traume einen Schuß fallen.

      Darob erwachte ich. Und es war kein Traum gewesen, oder auch die anderen Schläfer hätten so träumen müssen.

      »Die Wache hat einen Signalschuß abgegeben!«

      Ich Hals über Kopf in der Stockfinsternis hinauf.

      Hierbei muß ich bemerken, daß die Quelle nicht etwa im Tale lag. Man könnte auf diese Vermutung kommen, weil ich erzählt habe, wir hätten zu ihrer Erreichung erst tief hinabklettern müssen.

      Das war aber nur eine Schlucht gewesen, welche schon auf dem Gebirgskamm lag. Wie hoch wir uns befanden, kann ich nicht sagen, ich hatte kein Barometer bei mir. Tausend Meter mindestens. Und so war der Berggipfel, auf dem die Wache postierte, gar nicht mehr so hoch, in einer Viertelstunde hatte man ihn erklommen, wobei noch die vielen Umwege in Betracht zu ziehen sind, so daß man einen Schuß aus dem Revolver, mit dem der Posten ausgestattet war, noch recht gut hören konnte.

      Ich kannte den Weg auch im Finstern, holte mir nur einmal ein blutiges Knie, und ich war auf der freien Höhe.

      Und da – und da – ich war von dem Matrosen noch entfernt, er hatte mir noch nichts zugerufen – da sah ich es schon allein – da sehe ich in weiter, weiter, nordwestlicher Ferne aus dem Meere majestätisch eine grüne Leuchtkugel zum nächtlichen Himmel emporsteigen – und nach einer Weile folgt eine gelbe – und dann eine weiße – und dann gleichzeitig zwei blaue – und dann wieder eine rote …

      Karlemann!! Er kommt, er sucht uns!

      Ja, hatten wir denn aber Karlemann von Westen zu erwarten? Es hätte ja sein können, daß er schon die ganze Insel umfahren »Käpt’n, seid Ihr hier?« rief mich jetzt der Posten an.

      »Hier!«

      »Die signalisieren!«

      »Das merke ich!«

      »Die signalisieren mit einem anderen Schiffe. Dort – dort – jetzt fangen die wieder an!«

      Bei Gott! Dort, wohin ich blickte, setzten die Leuchtkugeln aus, dafür aber stieg weiter südlich davon, viel weiter, vielleicht, wenn ich irgendwie schätzen durfte, zehn Seemeilen davon entfernt, eine rote Rakete zum Himmel empor, platzte, und wie ein Stern blieb am Firmament eine Leuchtkugel schweben.

      Es war das Antwortzeichen gewesen. Hier signalisierten zwei Schiffe.

      Das Antwortzeichen! So klügelte ich nüchtern aus. Dieser einfache Matrose wußte mich sonst so phantastischen Gesellen diesmal zu übertreffen.

      »Heute ist Weihnachten,« sagte er, als die weiße Leuchtkugel noch immer am finsteren Himmel schwebte, minutenlang.

      »Weihnachten?« wiederholte ich erstaunt.

      »Ja, ich habe es mir vorhin ausgezählt – ich hatte eine Marke – am dritten ist das Mädel geboren, und heute ist es gerade drei Wochen alt – heute ist heiliger Abend.«

      Er hatte es mit etwas zitternder Stimme gesagt, und mir stieg es plötzlich siedendheiß zum Herzen empor.

      Ich Narr hielt es für Schwäche, wollte es von mir schütteln.

      »Aber Karlemann kann das nicht sein,« sagte ich.

      »Nein, das ist der Stern von Bethlehem.«

      Da weinte ich leise.

      Und es war einer der rohesten Matrosen gewesen, der dies gesagt.

      Doch vorbei! Gewiß, für uns war es der Stern von Bethlehem, der Stern des Heils, uns mit stummer Sprache Rettung zuflüsternd.

      Er war endlich verloschen. Und kein neues Signal wollte kommen, hier nicht und dort nicht.

      »Haben sie schon vorher signalisiert?«

      »Als ich schoß, ging die dritte Leuchtkugel empor, und dann kamen noch viele nach, bis ich Euch bemerkte.«

      »Dort im Norden?«

      »Nein, erst fing’s im Süden an, wo jetzt zuletzt die weiße Kugel kam.«

      »Auch mit farbigen Kugeln?«

      »Ja. Ich zählte neun Kugeln. Aber die Reihenfolge kann ich nicht mehr sagen.«

      »Und dann?«

      »Dann antwortete der Norden mit dreizehn Kugeln. Da wart Ihr schon oben. Und jetzt hat der Süden wohl das Schlußzeichen gegeben – nein, doch nicht!!«

      Das Leuchtkugelspiel fing auf beiden Seiten noch einmal an, dann zwei weiße Doppelzeichen, und dann kam nichts mehr, obgleich ich noch über eine Stunde wartete.

      Ich hatte die farbigen Leuchtsignale ziemlich gut im Kopfe, hatte aber kein Wort bilden können. Dann war es also eine Geheimsprache.

      »Wie weit schätzest du die Enfernung?« fragte ich den Matrosen, einen ausgewitterten Seebären, der sich auf so etwas verstand.

      »Käpt’n, das ist schwer zu sagen. Die beiden Stationen sind mindestens zehn Meilen auseinander.«

      »Und von hier entfernt?«

      »Die nördliche mindestens dreißig, die andere mag etwas näher sein.«

      Genau so hatte auch ich geschätzt.

      Ich hieß den Matrosen gut aufpassen und begab mich wieder hinab. Obgleich der Untergang des Schiffes den Musterkontrakt aufhebt – allerdings noch nicht in den Rettungsbooten – herrschte bei uns noch eine stramme Disziplin, wozu meinerseits kein Wort nötig gewesen war. Das mag mancher selbstverständlich finden, ist es aber doch nicht. Gesetzlich war ich gar nicht mehr der allmächtige Kapitän.

      Indes ein anderer Gedanke war bei meinen Jungen gar nicht aufgestiegen, auch nicht bei den Offizieren, und so hatten sie ruhig gewartet, bis ich zurückkam.

      Denn es wäre doch sehr verzeihlich gewesen, wenn alle, sobald der Posten den Signalschuß abgegeben, den Berg hinaufgestürmt wären, um zu sehen, was es gäbe.

      Nichts von alledem. Ich hatte niemanden zum Mitgehen aufgefordert, und sie warteten – allerdings innerlich wohl nicht so ruhig.

      Ich teilte das Erlebte mit lauter Stimme mit, war bereit, eines jeden Meinung zu hören.

      »Das sind Schiffe.«

      »Es kann auch noch eine andere Insel geben, vielleicht gar bewohnt.«

      Vermutungen, nichts weiter. Sie hatten keinen Zweck. Eher konnte ich mich mit Blodwen im geheimen darüber unterhalten. Die Leute brauchten nichts davon zu wissen, daß ich hier schon einen Vorgänger vermutete, der ab und zu dieser Ambrainsel einen Besuch abstattete, wenn wir auch noch keine Spur davon bemerkt hatten.

      »Richard, da wir nun einmal darüber sprechen – mir ist schon manchmal ein Verdacht aufgestiegen.«

      »Welcher?«