Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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Hand, welche noch immer auf meinem Knie lag, ergriff jetzt die meine.

      »Bitte, bleiben Sie bei ihr. Nur sie können einen wohltätigen Einfluß auf sie ausüben. Zerstören Sie nicht den Glauben, daß Gott selbst Sie gesandt hat. Seien Sie ihr guter Engel. Bitte, bitte, bleiben Sie bei ihr. Haben Sie Erbarmen mit dieser Unglücklichen. Bitte, bitte.«

      Plötzlich füllten sich die blauen Augen, große Tropfen purzelten über die Wangen. Und jetzt war ich es, der zu betteln begann.

      »Bitte, fangen Sie nur nicht zu flennen an – ich kann partout kein heulendes Weib sehen – nu ja, natürlich, wenn es so ist, dann bleibe ich hier.«

      Die aus den Augen hervorbrechende Wärme hatte im Nu die Tränen wieder getrocknet.

      »Abgemacht!«

      »Ja, abgemacht. Das heißt mit Widerruf.«

      Was wir sonst noch verhandelten, gebe ich hier summarisch wieder.

      Mrs. Milner wollte der Lady meine Idee mit der Jacht unterbreiten. Bis zu ihrer Entscheidung sollte ich hier in diesem Hause weilen, schon in dienender Stellung, oder mehr als Gesellschafter, aber doch wieder in ganz besonderer Weise.

      »Sie muß sich doch erst an Sie gewöhnen, wird Sie auch prüfen. Denken Sie immer, daß es sich um ein krankhaftes Gemüt handelt. Gefallen zu lassen brauchen Sie sich natürlich nichts. Sofort, wenn Ihnen etwas nicht gefällt, gehen Sie einfach. Das wird dann die Schuld der Lady sein. Nehmen wir für diese Prüfungszeit eine Woche an. Während dieser Woche sollen Sie hier unumschränkter Herr sein. Nur der Lady Blodwen stehen Sie jederzeit zur Verfügung. Machen Sie von allen Rechten eines unumschränkten Herrn vollständigen Gebrauch. Denn tun Sie das nicht, so würde Lady Blodwen gleich wieder an Ihrer Selbständigkeit zweifeln. Das erste dürfte sein, daß sie Ihnen die Geldkasse übergibt. Einen Kontrakt kennt die Lady nicht, damit hat sie schon zu böse Erfahrungen gemacht. Hier gibt es auch keine Buchführung oder so etwas, hier geht alles aus dem großen Topfe. Nur niemals ihr irgendeinen Grund zum Mißtrauen geben. Niemals mit einem anderen sich vertraulich machen …«

      »O, ich weiß recht gut, was Sie meinen, wofür Sie nur nicht die Worte finden. Sehen Sie, ich bin Steuermann, Schiffsoffizier. An Land, wenn ich abgemustert bin, kann ich mit jedem Matrosen herumlumpen. Aber an Bord bin ich für denselben Matrosen, mit dem ich an Land Brüderschaft getrunken, der unnahbare Offizier; unüberbrückbar ist die Kluft, die mich von ihm trennt, so unüberbrückbar wie die Kluft zwischen mir und dem Kapitän. Ich habe das Maulhalten und Gehorchen gelernt, deshalb kann ich auch befehlen. Und wenn ich einmal ein Krüppel werden sollte, daß ich mein Brot an Land verdienen muß – was Gott verhüten möge! — und ich verdinge mich an einen Bauern, der mich zum Aufseher über seine Schafe setzt, die von drei Schäfern gehütet werden — dann ist dieser Bauer mein Herr, vor dem ich stramm stehe – und ich bin der Herr über die drei Knechte – und ich werde mir sehr überlegen, ob ich mir von einem Feuer für meine Pfeife geben lasse – und wenn ich von so einem Knechte nur ein einziges schlechtes oder verdächtiges Wort über den Bauern höre, dann fahre ich mit dem Kerl längs … wissen Sie, was ich meine?«

      »Wahr gesprochen, vortrefflich gesprochen!!« rief die Dame ganz enthusiastisch. »Das waren goldene Worte, denen ich nichts mehr hinzuzufügen habe. Nochmals meinen herzlichsten Dank für die Güte, die Sie meiner armen Cousine erweisen. Und nun leben Sie wohl.«

      Mit diesen Worten war sie schnell aufgestanden und hielt mir die Hand hin.

      »Was? Das sieht ja bald aus, als wenn Sie abreisen wollten?«

      »Das ist auch der Fall. Ich bin nur auf Besuch hier. Heute abend schon bin ich an Bord des Schiffes, das mich nach meiner Heimat zurückbringt – nach New-York.«

      Diese Plötzlichkeit kam mir sehr überraschend.

      »Aber ich sehe Sie doch noch einmal wieder?«

      »Heute nicht mehr. Ich spreche mit der Lady. Ein andermal! Leben Sie wohl!«

      Ich nahm die Hand, die sie mir hinhielt, und während ich meinen Kratzfuß machte, führte ich diese zarte Hand an meine Lippen – fast unbewußt, es war eine plötzliche Eingabe – und ich weiß nicht – es war mir, als ob sie ihre Hand länger an meine Lippen drückte, als sie selbst daran festhielt – und dann hatte sie die Hand schnell wieder zurückgezogen, dabei war ihr blasses Gesicht, so blaß wie das der Lady, dunkelrot geworden – und dann rauschte sie nach der Tür, noch einen Blick nach mir zurück, einen ganz eigentümlichen Blick, und sie war hinaus.

      Ich blickte nach der Tür und schüttelte den Kopf.

      »Nee, aber so eine Aehnlichkeit! Sogar ganz genau dasselbe Pickelchen!«

      Es begann zu dunkeln. Noch ehe ich überlegen konnte, in was für eine Stellung ich mich hier begeben hatte – vorausgesetzt, daß dies bei mir überhaupt noch nötig war – kam der zittrige Alte wieder herein.

      »Darf ich dem Herrn Steuermann seine Zimmer anweisen?«

      »Wie heißen Sie?« fragte ich, anstatt eine Antwort zu geben.

      »Emerson.«

      »Ich denke David?«

      »Das ist mein Vorname.«

      »Welche Stellung bekleiden Sie hier?«

      »Ich bin Hausverwalter.«

      »Also der Höchste in diesem Hause hier, über die anderen Hausdiener gestellt.«

      »Ja, Herr.«

      »Sie werden ein andermal, ehe Sie ein Zimmer betreten, in dem Sie mich vermuten, an die Tür klopfen. Verstanden? Jetzt zeigen Sie mir mein Zimmer.«

      Der Alte machte ein ganz erschrockenes Gesicht. Ich hatte ihm nicht wehtun wollen, hatte auch ganz freundlich gesprochen. Er mochte so etwas aber doch nicht erwartet haben.

      O, ich wußte ganz genau, was man von mir verlangte – habe das immer gewußt, sobald man mich auf einen Posten stellte, da brauchte ich keine weiteren Instruktionen oder gar Ermunterungen.

      Es waren drei luxuriöse Zimmer, die mir eine Treppe höher gezeigt wurden.

      »Aber die ganze Etage steht zu Ihrer Verfügung … «

      »Weiß schon. Dieses eine Zimmer hier mit dem Bett genügt!«

      Ich befahl, meinen Kleidersack heraufzubringen, überzeugte mich, daß alles vorhanden war, was ich brauchte, besonders auch die Klingel, die einen Diener herbeirief, dieser Diener mußte sich mir vorstellen, und ich war allein, ohne wegen Essenszeiten oder dergleichen irgendeine Frage gestellt zu haben. Das würde sich ja alles von allein finden. Ich stellte mir vor, ich sei an Bord, die Lady sei mein Kapitän, der sich wohl um mich zu kümmern hat, ich mich aber nicht um ihn – und wenn der Lady diese Rolle nicht gefiel, sie sich nicht darein fand, dann ging ich einfach wieder. Ich war nicht geneigt, an Land andere Gewohnheiten anzunehmen, als die, die mir schon in Fleisch und Blut übergegangen waren.

      Im Scheine der Petroleumlampe packte ich meinen Kleidersack aus, ordnete die Sachen in einem leer gewesenen Schranke. Dann wollte ich einen Gang durch das ganze Haus machen. Mir sollte ja alles offen stehen. So hatte Mrs. Milner gesagt, die ich doch für die Stellvertreterin der Lady hatte halten müssen.

      Alle Korridore waren hellerleuchtet. Türen öffnete ich nicht. Alles hat seine Grenzen. Auf dem Korridor der ersten Etage sah ich die Lady mir entgegenkommen, immer noch als Römerin gekleidet.

      Mein Entschluß war sofort gefaßt. Steuermann und Kapitän. Sie blickte mich an, ich blickte sie an – und ohne Gruß, nur etwas zur Seite weichend, war ich an ihr vorübergeschritten. Wenn sie etwas von mir wollte, hätte sie es ja sagen können.

      Aber diese Aehnlichkeit mit ihrer Cousine! Und sie hatte wirklich ganz genau dasselbe Pickelchen gehabt!

      Ueber meinen Gang durch das Haus habe ich nichts zu sagen. Ueberall wich man mir respektvoll aus, aber doch eine Anrede erwartend. Ich stellte keine einzige Frage.

      Gegen neun war ich wieder auf meinem Zimmer,