Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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Jetzt kamen wir endlich auf das bewußte Thema! Ich wollte ihr erklären, daß ein Kapitän noch lange nicht selbständig ist, dazu gehört ein eigenes Schiff – sie unterbrach mich sehr bald.

      »Ich meine, da wollen Sie doch auch einmal heiraten?«

      »Heiraten?!« wiederholte ich in ehrlichem Staunen. »Nee, aufs Heiraten bin ich nun weniger erpicht. Und ich kann gleich jetzt Brief und Siegel darauf geben, daß ich nie und nimmer heiraten werde – nicht für acht Tage.«

      »Weshalb denn nicht?«

      »Weil die Ehe gerade das Gegenteil von der Selbständigkeit ist.«

      Ich dachte, die könnte doch selbst ein Lied vom Heiraten singen, und ich erwartete schon, sie würde es mir vortragen. Doch es sollte anders kommen.

      »Aber geliebt haben Sie doch schon einmal?«

      Was sollte ich sagen? Kapitän und Steuermann! Nur immer offen, kein Blatt vor den Mund genommen!

      »Geliebt? Einmal? Ach, eine ganze Masse mal! Naja, wie’s bei uns Seeleuten so zugeht.«

      Schon wieder putzte sie sich die Nase, und diesmal ganz gründlich. Sie mußte in der Finsternis den Schnupfen bekommen haben. Solange es hell gewesen, hatte ich davon nichts bemerkt.

      »Wir fahren nach einem Landhause, sind gleich da.«

      Ich sagte nichts, dachte nur über die Lösung der Abendbrotfrage nach.

      »Es ist ein ganz einsam liegendes Haus,« fuhr sie fort, »unbewohnt – aber eingerichtet – ich habe Proviant mitgenommen.«

      Aha, ahi! Daher die gebratene Atmosphäre!

      »Ich liebe solche nächtliche Exkursionen. Wir übernachten auch hier. Ich schlafe sehr oft außerhalb. Es geniert Sie doch nicht, Herr Steuermann?«

      Wenn es die nicht genierte – mich genierte es nicht. Ich machte mir damals verdammt wenig Gedanken über so etwas. Es ist doch ganz gleichgültig, wo man seine verbrauchten Kräfte durch Schlaf ersetzt – wenn nur das Lager nicht allzu hart ist – und frieren und vollgeregnet werden darf man dabei auch nicht.

      Der Wagen hielt. Nach dem Aussteigen sah ich im Scheine der Wagenlaterne die Umrisse eines großen Steinkastens – so ein altes, englisches, solides Landhaus; wir würden es Villa nennen. Um mich herum sah es recht verwildert aus. Ein Fensterladen stöhnte, ein anderer quietschte.

      »Ich bin gespannt, ob unterdessen eingebrochen worden ist.«

      »Sie lassen das Haus ganz ohne Aufsicht?«

      »Ja. Was tut’s? Mögen Obdachlose darin nächtigen und mitnehmen, was ihnen gefällt. Wenn sie nur die paar Zimmer verschonen, die ich manchmal benutze.«

      Ja, wie es bei der stand – die ganze hoffnungslose Erbschaftsgeschichte – ich konnte ihre Gleichgültigkeit begreifen.

      Der Kutscher, ein alter Mann, wohl schon an solche nächtliche Expeditionen gewöhnt, spannte bereits die Pferde aus. Sie bat mich, eine der Lampen abzunehmen und ihr zu leuchten, brachte einen großen Schlüssel aus der Tasche und steckte ihn in das Schloß der Haustür.

      »Die ist nicht aufgebrochen. Dann wird auch niemand drin gewesen sein.«

      Wir traten ein. Ich sah schöne Zimmer mit altertümlichen Möbeln, alles gediegen, natürlich sehr verstaubt. Das wäre so etwas für Zigeuner gewesen. Doch man ist in England mit solchen unbewohnten Häusern überhaupt sehr sorglos und darf es sein. Fahrendes Volk gibt es dort gar nicht, Einbrecher gehen nur nach der Stadt, nach London. Und die Polizei und Gendarmerie ist ausgezeichnet. In ganz England wird nach zehn Uhr die ganze Nacht hindurch jede Haustürklinke einmal von einem Konstabler oder Gendarmen in die Hand genommen, desgleichen drückt er gegen jedes Parterrefenster – das gilt von jedem einzelnen Londoner Haus, wie vom einsamsten Gehöft – und ist irgend etwas offen, so wird der Besitzer geweckt, er hat die Pflicht, alles zu schließen, und ist das Haus unbewohnt, so kennt der Reviergendarm doch die Wohnung des Besitzers oder dessen Stellvertreters, er muß hin und ihn holen. Für dieses Haus hier hatte ein benachbarter Farmer die Verantwortung gegen eine Entschädigung übernommen.

      Wir stiegen die Treppe hinauf. Ich konnte wieder einmal die total zerrissenen Strümpfe unter der seidenen Kladderasche bewundern. Während die anderen Zimmer offen gewesen waren, mußte die Lady hier wieder einen Schlüssel gebrauchen, und ich sah zwei Zimmer, welche doch einen etwas anderen Eindruck machten; einmal weniger verstaubt, und dann einige Gerätschaften, die vor noch gar nicht so langer Zeit benutzt worden waren, eine Lampe, eine Petroleumkanne, noch halb voll, ein Kasten mit Kohlen usw.

      In dem einen Zimmer stand ein Himmelbett, ein mächtiges Ding, das einen ganz sauberen Eindruck machte – sonst hatte ich nur leere Bettstellen gesehen, etwas aufgeräumt war ja doch worden – der andere Raum schien als Küche und Eßzimmer gedient zu haben, auf dem Tische lagen noch Krümel.

      »Nun machen wir ein nächtliches Picknick – oder Biwak – müssen uns aber selbst bedienen. Zuerst Feuer anmachen, um Tee zu kochen. Schön wäre es ja, wenn wir den Kutscher nicht brauchten. Eignen Sie sich zu so etwas?«

      Na und ob! So etwas war ja gerade mein Fall! Ich hatte schon Holz erspäht und das bei Samuel Cohn ausgeruhte Taschenmesser in der Hand. Vorher untersuchte ich erst die Lampe und brannte sie an, die Lady entnahm unterdessen einem Schranke angerissene Pakete mit Tee, Zucker und anderen haltbaren Lebensmitteln, dann spendeten die Polstertaschen und Sitzkästen der Equipage Rostbeaf, drei Brathühner und andere schöne Sachen, auch einige Flaschen kamen zum Vorschein, ferner Teller, Messer, Gabeln – es fehlte nichts.

      Der Teetopf sang über dem offenen Kaminfeuer. Es war herrlich! Wirklich, diese Lady war doch ein ganz famoses Frauenzimmerchen! Wenn die solche Liebhabereien hatte, dann wollte ich schon mit ihr an Bord auskommen. Wenn sie nur nicht solche zerrissene … nein, daran wollte ich gar nicht mehr denken. Hinsehen tat ich schon lange nicht mehr.

      Auch sie war mit behilflich und legte dazu Hut und Mantille ab. Himmel! Unten wohl eine ganze Masse von Röcken, wenigstens den Spitzen nach zu schließen, und oben gar nichts! Das heißt, sie hatte schon etwas an, aber von einem ganz durchsichtigen Stoff, wie Spinnengewebe, daß man alles sehen konnte, und ihre Aermel waren ganz aufgeplatzt, freilich wohl künstlich, solche lange Lappen, die auf der äußeren Seite nur durch Schleifchen zusammengehalten wurden. Ich hätte gar nicht gedacht, daß das schlanke Figürchen so dicke Arme haben könnte, fast wie die Mary.

      Der Eßtisch war fertig. Der Kutscher erhielt seinen Anteil, mit dem er sich aber wieder zu den Pferden zurückzog, denn wenn in England etwas Anziehungskraft auf diesen ausübt, so sind es aufsichtslose Pferde. Er hatte neben dem Stall ein hübsches Zimmerchen.

      Wir aßen – oder speisten vielmehr. Sie trank Tee mit etwas Rotwein, und ich Rotwein mit etwas Tee. Dann wurde Glühwein ohne Tee gemacht, dem sie ebenfalls zusprach, wenn auch sehr mäßig.

      Nach dem Essen setzten wir uns an das offene Feuer, das ja gar nicht mehr wärmte, wenn man nicht seine Nase dicht daran hielt. Sie hielt nur ihre Füße daran, und bei solchen mehr ganz als halbnackten Füßen und Waden mußte sie ja auch frieren. Faktisch, Loch an Loch; die Löcher hingen kaum noch zusammen. Und es half alles nichts, ich mußte es sehen, weil sie auch noch die Beine übereinandergeschlagen hatte und mit dem einen vorgestreckten Fuße immer schaukelte. Ob die sich nur gar nicht schämte? Aber das Schuhchen war wirklich prachtvoll, das flimmerte in dem roten Feuerschein wie ein goldgrüner Karfunkelstein.

      Schon beim Essen hatte ich immer von meinen Abenteuern erzählen müssen, jetzt auch. Aber immer kam sie wieder auf die Liebe zurück – wie alle Frauenzimmer, das ist bei denen doch die Hauptsache.

      Ob ich schon in Spanien gewesen sei. Ja. Ob die Spanierinnen recht schön wären. O ja – manchmal – manchmal auch nicht – sie werden so schnell alt, und dann klappen sie zusammen. Ob ich mit einer Spanerin schon ein Verhältnis gehabt hätte. Nicht nur mit einer.

      »Bitte, erzählen Sie!«