Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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von der Hauptsache, die die Liebe mit sich bringt, abzulenken. Alles brauchte die doch nicht zu wissen, wenn sie auch schon verheiratet gewesen. Das konnte ich ihr doch nicht erzählen.

      Und dabei schaute sie mich mit ihren großen, blauen Augen unverwandt an, und immer mehr begannen diese zu leuchten. Bei der begann der Glühwein zu wirken. Nicht minder bei mir, der ich immer wie gebannt das Fragment eines Strumpfes betrachten mußte, durch dessen Löcher es wie Schnee leuchtete.

      Dann trat eine Pause ein. Stumm beobachteten wir die Funkenbilder des erlöschenden Feuers.

      »Haben Sie von der Lady Esther Stanhope gehört, genannt die Sibylle des Libanon?« fragte sie plötzlich.

      »Oder die Königin von Tadmor – oder die Zauberin von Dschihun,« ergänzte ich. »Ja, deren Lebensgeschichte kenne ich sogar ganz ausführlich.«

      Ich erklärte ihr, woher. Ein Zufall. Ein Maat von mir hatte ihre englische Biographie in seiner Kleiderkiste gehabt.

      Lady Esther Stanhope ist wohl das merkwürdigste und abenteuerlichste Weib gewesen, das je existiert hat. Geboren zu London am 12. März 1776 als Schwester des berühmten Diplomaten Graf Philipp Henry von Stanhope, Nichte des noch berühmteren Pitt. Bis zu Pitts Tode, 1806, leitete sie diesem, einem Junggesellen, den Hausstand, war zugleich seine Sekretärin, machte selbst in Politik. Dann ging sie auf Reisen, bis sie sich in Syrien eine neue Heimat gründen wollte, so ein phantastisches Königreich. Denn an toller Phantasie hatte es der nie gefehlt. Durch geheimnisvollen Hokuspokus verbreitete sie um sich das Gerücht, mit der Geisterwelt in Verbindung zu stehen, über unermeßliche Schätze zu gebieten usw. Besonders auf die Drusen übte sie einen kolossalen Einfluß aus. Daß der allmächtige Ibrahim Pascha, Vizekönig von Aegypten, damals seinen Siegeszug durch Kleinasien unterbrach, nicht auch in die Türkei einfiel, was die schwersten politischen Verwicklungen aller Mächte nach sich gezogen hätte, das hatte man nur der Lady Esther zu verdanken. Als phantastische Königin von Tadmor trat sie dem ägyptischen Napoleon entgegen, und vor der Zauberin von Dschihun oder der Sibylle des Libanon kehrte der unbesiegte Feldherr um. Dieses Weib soll durch Blick, Worte und durch ihr ganzes Wesen eine wunderbare Macht auf jeden Menschen ausgeübt haben.

      Was ich hier schreibe, kann in jedem Konversationslexikon nachgelesen werden. Was ihr Biograph sonst noch über ihre Abenteuer und phantastischen Tollheiten berichtet, will ich hier nicht wiedergeben, weil wir selbst dies alles noch bei weitem übertreffen sollten.

      Aber mit den enormen Geisterschätzen war es nichts. Die Sibylle des Libanon und Königin von Tadmor starb in bitterster Armut, verlassen und verspottet von allen ihren Anhängern, am 23. Juni 1839, nur umgeben von einigen treuen Arabern, und auch ihr Arzt hatte bei ihr ausgehalten, Doktor Alois Selo, wohl ein Oesterreicher, der dann ihre Biographie herausgab.

      »Sie war meine Großtante.«

      »Was Sie nicht sagen!« staunte ich.

      »Ja. Ihre Schwester, Lady Blodwen Stanhope, heiratete meinen Großvater. Ich soll ihr sprechend ähnlich sehen – meiner Großtante, der Lady Esther.«

      Ja, das konnte man bei diesen ganz merkwürdigen, so trotzigknabenhaften und dennoch reizvollen Zügen wohl glauben. Und an phantastischen Kunststückchen sollte die hier ja auch schon etwas geleistet haben, ich selbst hatte ja schon etwas davon zu sehen bekommen.

      Sie starrte traumverloren in die letzten Funkengebilde, welche jetzt illuminierte Gebäude zeigten, um gleich darauf feurige Umrisse von Fratzen und ungeheuerlichen Tieren anzunehmen.

      »Sie kann nicht so arm gestorben sein. Das war freiwillige Entsagung. Ich habe etwas gehört von … «

      Ich lauschte wie ein Mäuschen. Aber es kam nichts weiter nach. Immer traumverlorener ward ihr Blick.

      »Sie wollte sich ein Königreich suchen,« erklang es dann sehnsuchtsvoll, »ach – auch ich möchte Königin sein ...«

      Jetzt wäre es Zeit gewesen, endlich einmal von der Jacht zu beginnen. Mrs. Milner mußte ihr doch die Idee vorgetragen haben.

      Da blickte sie nach der Uhr und stand schnell auf.

      »Schon elf. Ich bin müde. Wo werden Sie schlafen, Herr Steuermann?«

      »Ich kann ja unten beim Kutscher ...«

      »Ach nein. Jemand muß bei mir bleiben, ich fürchte mich allein in dem einsamen Hause.«

      Fürchten? Danach sah dieses Gesicht gar nicht aus, wenn sie auch einen noch so ängstlichen Ton anschlug. Wie sie es früher bei solchen nächtlichen Exkursionen gehalten hatte, durfte ich nicht fragen.

      »Sie schlafen hier in diesem Zimmer. Wir werden schon etwas finden, um ein Bett zurechtzumachen.«

      Gut! So ein Klappstuhl war bald gefunden, Decken und anderes Zeug gab es auch genug. Sie brannte ein Licht an, gab mir die Hand, wir blickten uns an, sie ging hinüber.

      Ich band nur den Kragen ab und zog die Jacke aus, sonst legte ich mich angezogen auf den Klappstuhl, vorsichtig, ich traute dem hölzernen Dinge nicht recht: für meine langen Beine brauchte ich noch extra zwei Stühle, hüllte mich in eine silbergestickte Decke, auf der ›Wünsche wohl zu speisen‹ stand, blies das Licht aus und rauchte noch ein bißchen.

      Drüben rumorte sie noch etwas, dann knarrte mächtig das Himmelbett, und dann ward es still. Ich rauchte meine Pfeife aus und schlief ein.

      Es war ein merkwürdiger Traum. Sie stand im Mondschein an dem weißen Tempel, jetzt mir aber zugekehrt, die Arme ausgebreitet, rief mich beim Vornamen und sang das verdammte Lied.

      Und dann hatte ich sie plötzlich auf den Knien und stopfte ihre zerrissenen Strümpfe, gleich an den Waden.

      »Au, du darfst sie mir nicht an der Haut festmachen,« sagte sie, und dann fing sie wieder an: »Du stolze Blodwen freue dich ... «

      Und dann gab es einen Krach. Mein Bettstuhl war unter mir zusammengebrochen. Nämlich dadurch, daß ich gar zu gewaltsam aufgesprungen war.

      Denn das war kein Traum mehr, mein Name wurde wirklich gerufen, und zwar schon vorher, ehe es hier gekracht hatte.

      »Herr Steuermann!!« erklang es drüben in ängstlichstem Tone.

      Im Nu war ich drüben – wunderte mich nur, daß ich es sein konnte, daß nämlich die Zwischentür gar nicht verschlossen war.

      Sie hatte schon Licht angezündet, hatte den Himmelvorhang zurückgeschlagen, und so sah ich sie halb aufgerichtet drinsitzen im Himmel, den Arm hoch und das Hemd etwas herunter. Ihr Gesicht war gerötet, mit ängstlichen Augen blickte sie mich an.

      »Hier ist jemand im Zimmer.«

      »Es wird eine Maus gewesen sein,« lautete sofort meine Entscheidung.

      »Nein, es war ein Mensch.«

      Ich ging nach der anderen Tür, diese war im Gegensatz zu meiner verschlossen und sogar verriegelt – ich leuchtete unter das Bett und fuhr mit dem Feuerschürer unter alle Schränke, unter die sich nicht einmal eine Katze hätte quetschen können. Ich habe nämlich Schwestern gehabt, und daher wußte ich Bescheid in der Sache.

      »Sehen Sie? Kein Mensch ist darunter. Sonst müßte ich ihn doch vorkratzen. Nur die üblichen Knäuel, welche alte Frauen Spinnennester nennen, eine abgedankte Brotrinde und ein antiker Zigarrenstummel.«

      »Ich hörte es rascheln.«

      »Dann ist’s ganz gewiß eine Maus gewesen.«

      »Es mag sein,« gab sie jetzt zu. »Und was für ein Krach war das vorhin? Waren Sie das?«

      »Nein, das war mein Bettstuhl. Während ich aufstand, legte er sich ermüdet nieder.«

      »Er ist zusammengebrochen?«

      »Vollständig, und ich befürchte, daß er nie wieder aufstehen wird.«

      »Ja, wo schlafen Sie denn nun da?«

      Sie saß noch immer in derselben Stellung in ihrem mächtigen Himmelbett, den bloßen, vollen Arm mit der