Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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ward die Erwartung nur immer höher gespannt. Endlich aber sollte es doch losgehen; denn der Held, ein junger Arzt, der sich jetzt auf die Suche machte, durfte doch unmöglich dabei solch einen jämmerlichen Tod finden und grün anlaufen.

      » … und da plötzlich, eben fing die nahe Dorfkirche an, die zwölfte Stunde zu verkünden, zitterte ein wimmernder Seufzer …«

      Ich las nicht weiter. Bei mir wurde die Fortsetzung zur Wirklichkeit. Denn auch mein Ohr hatte ganz deutlich einen wimmernden Seufzer vernommen. Und da auch das Schlagen einer nahen Turmuhr! Unwillkürlich blickte ich nach meiner auf dem Tisch liegenden Taschenuhr – ich hatte die Zeit verpaßt, es war schon zwölf, die Geisterstunde …

      Und da kam auch schon der Geist herein, nicht durch die geschlossene Wand, sondern durch die offene Tür – eine weiße Gestalt – richtig ein altes Weibchen – gebückt – ein Licht in der Hand – hüstelnd und seufzend und wimmernd.

      Man bedenke die ganze Situation, in der Geisterstunde in dem einsamen Turmgemach, die Phantasie durch eine schauderhafte Gespenstergeschichte vorbereitet, nun dazu dieses Wimmern – und man wird begreiflich finden, daß mich ein Grausen überkam. Würde ich das nicht gestehen, so würde ich mir selbst das Zeugnis eines Renommisten ausstellen.

      Freilich lange dauerte dieses mein abergläubisches Grausen nicht. Vielleicht schon in der nächsten Sekunde konstatierte ich kaltblütig, daß dieser Geist nicht schwebte, sondern ganz menschlich ging; daß solche wimmernde Töne auch ein Mensch hervorbringen kann; daß von der Kerze, die sie in der weißen Hand trug, durchaus kein übernatürliches Geisterlicht ausging, sondern daß es ganz einfach eine Groschenkerze war; mit einem Wort: daß dieser Geist einen ganz menschlichen Eindruck machte.

      Ohne allen Zweifel: hier war ich mit meiner Bettuch-Theorie im Recht, und auch das weiße Gesicht, aus dem die glanzlosen Augen mit so starrem Ausdruck auf mich geheftet waren, konnte mich nicht mehr in der Richtigkeit meiner Theorie irremachen.

      »Guten Abend!«

      Ich weiß nicht, wie mir das so herausgefahren war.

      Sie hörte mich nicht, die ausdruckslosen Augen wollten mich auch nicht sehen – die Gestalt schlich an dem Tische vorbei, nach dem Schreibsekretär, machte sich an diesem zu schaffen, die Platte klappte herab.

      Desto besser, wenn sie mich nicht hörte. So brauchte ich mich nicht erst der Stiefel zu entledigen, um geräuschlos an sie heranzuschleichen.

      Ich also auf und hin. An meinen Hirschfänger dachte ich gar nicht. Sie stellte eben die Kerze auf die Platte, wollte nach einem Schubfach greifen.

      »Erschrecken Sie mal nicht!« sagte ich ganz gemütlich, als ich sie von hinten mit den Armen umschlang.

      Es war eine lebenswarme Gestalt, die ich umfaßte – und nun beugte ich mich vor und zog ihr auch noch das weiße Tuch vom Gesicht …

      »Lady Blodwen!!«

      Das allerdings hatte ich nicht erwartet, jetzt mochte ich schon eher an ein Gespenst glauben. So beugte ich mich noch einmal vor, nahm auch noch die Fingerspitze zu Hilfe.

      »Jawohl, Lady Blodwen — ganz genau dasselbe Pickelchen!«

      Sie wehrte sich, aber nur, um sich herumdrehen zu können, und … zwei weiche Arme waren es, die sich plötzlich um meinen Hals legten.

      »Richard,« erklang es mit der süßesten Stimme und mit dem seligsten Lächeln, »mein Richard Löwenherz!«

      Ja, wie sonst alles kam, das weiß ich jetzt nicht mehr. Ich wußte es auch damals nicht. Ich war wie im Traum – und es war auch wirklich ein Traum, der jetzt in Erfüllung ging. Denn mit einem Male saß ich auf dem Sofa und hatte sie umschlungen auf meinem Schoße.

      »Nun sage mal bloß, Mädel, was machst du denn eigentlich für tolle Dinger?«

      Daß ich dies gesagt habe, weiß ich noch. Da müssen aber doch offenbar noch andere Worte vorangegangen sein, daß ich plötzlich so sprechen konnte.

      Was für Worte? Nun, Worte der Liebe!

      Und so ging es auch fort. Sie blieb auf meinem Schoße sitzen, und die stolze Lady Blodwen schmiegte sich an meine Brust und weinte und lachte in einem Atemzuge.

      Gott, wie soll ich wiedergeben, was wir alles gesprochen haben, die ganze Nacht hindurch, bis die Morgensonne in das Turmzimmer schien!

      Ich will alles in Kürze zusammenfassen und nur einige Proben aus unserer Unterhaltung dazwischenflechten.

      Wir sprachen uns aus. Ich hatte sofort den größten Eindruck auf sie gemacht, d. h., mein ganz offenes, vielleicht auch rücksichtsloses Wesen – auf das arme, gemarterte Weib, welches schon an halbem Verfolgungswahne litt.

      Wie ein Heiland sei ich ihr erschienen. ›Das ist dein Retter!‹ Aber sie wußte zugleich, daß dies nur eine fixe Idee sei, gegen die sie sich mit aller Macht sträubte.

      Daß sie selbst ihre eigene Cousine gespielt hatte, die gar nicht existierende Mrs. Milner, brauche ich wohl nun gar nicht mehr zu erwähnen. Ich vertrauensseliger Narr hatte ihrer Versicherung geglaubt – trotz des Pickelchens.

      Gerade diese Vertrauensseligkeit aber hatte sie für mich eingenommen. Dagegen schon weniger, daß ich für ihre Rettung gar keine Belohnung forderte.

      Am nächsten Morgen ließ sie mich die 10 000 Pfund Sterling holen. Wäre ich mit dem Gelde durchgebrannt, so wäre ihr das nur angenehm gewesen, verfolgen hätte sie mich sicher nicht lassen. Dann wäre sie eben einen neuen Feind losgewesen. Dann schickte sie mich zu jenem Farmer, in der Hoffnung, mich bei meiner Rückkehr sinnlos oder doch wenigstens stark betrunken zu sehen. Ja, es war eine wirkliche Hoffnung gewesen. Besser fort ohne eigenen Schaden, als diesen später zu haben.

      Und gestern abend oder in der vorigen Nacht hatte sie mich der stärksten Versuchung ausgesetzt.

      »Was hättest du denn nun gemacht, wenn ich der Versuchung, die schon mehr eine direkte Aufforderung war, erlegen wäre?« fragte ich scherzhaft.

      »Ich hatte einen geladenen Revolver bei mir – ich hätte dich getötet.«

      »Oho!«

      »Und die zweite Kugel hätte mein eigenes Leben beendet,« setzte sie mit demselben tiefen Ernste hinzu, an dem nicht zu zweifeln war.

      Dann war ihr eigener Widerstand gebrochen. Ich war derjenige, den sie schon längst ersehnt, dem sie sich in Liebe anzuvertrauen wagte.

      Aber, dieses Weib, dessen Exzentrizität ich erst noch richtig kennen lernen sollte, konnte nicht offen sprechen, konnte mir keine schmachtenden Blicke zuwerfen. Alles, was sie tat, mußte etwas Besonderes sein.

      So erfand sie erst das Märchen von dem Geisterturme. Denn an der ganzen Gesichte war ja kein Wort wahr. Ja, der Turm führte wirklich diesen Namen, eine Kammerzofe der Königin Elisabeth sollte wirklich darin verhungert sein, man machte daraus auch einen Spuk, wollte Lichterscheinungen gesehen und ein Wimmern gehört haben, das hätte ich auch in jener Wirtschaft erfahren, aber sonst … was Blodwen mir da alles aufgetischt hatte, von dem radierenden Weibchen … kein einziges Wort wahr! Alles freie, dichterische Erfindung!

      O, hätte ich damals schon empfunden, was für eine Schauspielerin ich in meinen Armen hielt, hätte ich sie schon damals von mir zurückgestoßen, wäre dabei auch mein Herz verblutet – was für Leid wäre mir dann für später erspart geblieben!

      So aber fand ich damals alles dies nur ergötzlich, an der Geliebten bewundernswert, ganz andere Fragen drängten sich mir auf.

      »Und dachtest du nicht daran, daß ich meinen Hirschfänger an dem Geiste hätte probieren können?«

      »Ich dachte daran, und es wäre mir ja nur eine Wonne gewesen, zu deinen Füßen sterben zu dürfen.«

      Was sollte ich hierauf antworten? Nichts! Nur ihren Mund mit Küssen bedecken.

      Und dann erzählte