Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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Im Katharinendock lag ein stählerner Schraubendampfer, aber auch mit voller dreimastiger Takelage, auf Bestellung neu erbaut, wegen Geldmangels nicht abgenommen.

      Mit einem Federzug war er für 23 000 Pfund Sterling mein Eigentum.

      Auf technische Sachen will ich mich hier nicht einlassen. Nur wenige Worte.

      Damals begann eben erst die Schraube ihren Siegeszug über die Welt zu halten, die Schaufelräder zu verdrängen. Dadurch konnte das Schiff auch wieder mehr zum Segeln benutzt werden. Die niedrigen Maschinen wurden gewissermaßen nur als Ballast hineingebaut.

      Ich für meinen Teil hätte als eigener Kapitän niemals einen Dampfer übernommen. Die vielen mitzuschleppenden Kohlen, welche die Hälfte der Fracht verdrängten, die ewige Schmutzerei – das war ja damals alles noch etwas Neues, jeder Segelkapitän blickte damals noch mit maßloser Verachtung auf den Rußhauptmann herab, so wie übrigens heute noch jeder Segelmatrose, der sich stolz Jan Maat nennt, auf den Dampfermatrosen, dem er einen Namen gibt, der hier nicht genannt werden soll.

      Wie aber hier die Verhältnisse lagen, war das doch etwas ganz anderes. Wir brauchten ja an gar keine Fracht zu denken, oder wir nahmen nur die kostbarste, deren Menge oder Gewicht dann wieder gar nicht in Betracht kam. Das Schiff von zirka 1000 Tonnen mußte bis zur Erreichung der Wasserlinie mit 600 Tonnen belastet werden, hierfür nahmen wir einfach Kohlen, und dann hatte ich noch immer das ganze Zwischendeck als Laderaum oder zu sonstigen Zwecken frei.

      Es war schon auf den Namen ›Sturmbraut‹ registriert, eine Umschreibung hätte viele Schwierigkeiten verursacht, und dieser Name gefiel uns. Es war fast 60 Meter lang, sehr schmal gebaut, hatte bei der glänzenden Probefahrt bis zu 16 Knoten gesegelt und mit 400 Pferdekräften 12 Knoten gedampft – damals eine ganz bedeutende Schnelligkeit.

      Nun denke man aber überhaupt nicht an einen Dampfer, sondern dem Aussehen nach war es ein vollgetakelter Dreimaster.

      Das Schiff war ja schon für eine Besatzung von 26 Mann eingerichtet gewesen. Ich wollte aber doch etwas ganz anderes schaffen, meiner Mannschaft, die auch aus viel mehr Köpfen bestehen sollte, eine Heimat bieten, so mußte doch viel umgebaut werden, und, ach! was ist bei der Einrichtung solch eines Schiffes, welches zwischen seinen Planken doch eine ganze Welt einschließt, nicht alles zu bedeuten! Doch ich hatte ja alles schon innerhalb von etwa 16 Jahren bedacht, das war ja immer mein Traum im Schlafen und im Wachen gewesen, und so vergaß ich nicht ein einziges Buch, mit welchem ich die Kajüten- und Mannschaftsbibliothek mir ausgestattet gedacht hatte. Hierbei bemerke ich aber, daß es so etwas wie eine Mannschaftsbibliothek sonst auf keinem einzigen Schiffe gibt, nicht einmal auf einer Privatjacht!

      Dann aber gab es noch anderes zu bedenken, was in meinen früheren Träumereien gefehlt hatte: die Ausstattung der drei geräumigsten Kabinen als Damenzimmer, und ich setzte meinen ganzen Stolz darein, etwas zu schaffen, wobei die verwöhnte Lady nichts vermissen sollte, was sie an Bord eines Schiffes gar nicht vermuten konnte.

      Dann war für mich die Hauptsache die Anmusterung der Mannschaft. Hierbei war für mich der noch immerfort währende Dockstreik von größtem Vorteil. Ich hatte die Auswahl unter den tüchtigsten Leuten, und es waren ausschließlich Freunde und Bekannte, die ich zu der gewöhnlichen Heuer anmusterte, sogar die beiden Maschinisten und die sechs Heizer hatte ich während der langen Landperiode zur Genüge kennen gelernt, um ihren Charakter beurteilen zu können. Was sich nicht für unsere Zwecke eignete, konnte mit der Zeit ausgemerzt werden.

      Doch ich will hier gleich bemerken, daß es jetzt nicht etwa mehr eine vertrauliche Freundschaft gab! Von dem Augenblicke an, da sich mein guter Freund und Zechkumpan in die Musterrolle eingeschrieben hatte, war ich für ihn der unnahbare Kapitän, der höchstens noch leutselig sein konnte. Das versteht sich überhaupt ganz von selbst.

      Vorläufig bestand die ganze Besatzung aus mir, dem ersten und zweiten Steuermann, Bootsmann, Segelmacher, Koch und Kochsmaat, Steward, vierzehn Matrosen (zehn wären nur nötig gewesen), zwei Maschinisten und sechs Heizern.

      Ach, wer das mitfühlen kann, was ich empfand, wenn ich so zusah, wie die Matrosen den Proviant übernahmen und die Köche und der Steward ihn verstauten, und die Konservenbüchsen und Eierkisten wollten gar kein Ende nehmen, was für Gesichter die machten!

      »Ist denn das alles nur für die Kajüte?« wurde geflüstert.

      »Nein,« sagte ich, »das ist alles für euch, Jungens.«

      Ich wollte eben an Bord meines Schiffes eine etwas andere, als die sonst übliche Küche einführen. Was kam es mir denn darauf an, ich hatte doch acht Millionen in der Tasche.

      Aber ich glaube, was es heißt, so ein großes Schiff für ein ganzes Jahr mit Proviant zu versehen, das kann an Land höchstens eine Hausfrau nachempfinden. Und was nun alles auf so einer Schiffsliste steht! Wenn einmal die Anker gelichtet sind, kann es nicht mehr heißen: ach, wir müssen noch einmal umkehren, wir müssen noch für fünf Pfennig Stecknadeln mitnehmen.

      Sonst werde ich noch genug von dieser Mannschaft zu erzählen haben, von jedem einzelnen etwas; denn jeder einzelne wurde durch Not und Gefahr mit mir zusammengeschweißt, jeder einzelne sollte nur durch den Tod von meiner Seite gerissen werden können.

      Zunächst hatte ich erst noch mein Kapitänsexamen zu machen. Angemeldet hatte ich mich gleich am ersten Tage, die Aufforderung erhielt ich sehr bald. Während ich nach Greenwich reiste, löste Blodwen schon ihren ganzen Haushalt auf, wozu allerdings nichts weiter nötig war, als die in der römischen Villa angestellten Diener zu entlassen. Dann mochte alles liegen bleiben, wie es lag. Der alte David erhielt eine Summe, von deren Zinsen er leben konnte.

      Wir hatten die Sache so geheim betrieben, daß noch nicht einmal ein Diener eine Ahnung hatte, Lady Blodwen wolle fernerhin auf einer Jacht leben. Man glaubte eben, sie habe mir das Geld geliehen oder geschenkt, daß ich mir ein eigenes Schiff hätte kaufen können. So schwiegen auch die Zeitungen ganz davon, welche sich sonst immer so viel mit Lady Blodwen beschäftigt hatten.

      Das Bestehen des Kapitänsexamens bot mir nicht die mindeste Schwierigkeit. Ich hatte mich zwei Jahre darauf vorbereitet. Mit der eigentlichen Seetechnik hat das gar nichts zu tun, das muß ja alles schon der Steuermann wissen. Hierbei handelt es sich mehr um den Umgang mit den Hafenbehörden, um andere Formalitäten, dann kommen spezielle Sachen in Betracht, wie z. B., daß der Kapitän auch einige ärztliche Kenntnisse besitzen muß.

      Um zu charakterisieren, wie es damals an Bord zuging – auf Segelschiffen ist es aber auch heute noch nicht anders – will ich nur zwei Fragen und Antworten anführen.

      Frage: Was tun Sie, wenn sich ein Mann den Finger so gequetscht hat, daß an eine Heilung nicht mehr zu denken ist?

      Antwort: Ich lasse ihn von zwei kräftigen Matrosen festhalten, schneide ihm den Finger ab und brenne den Stumpf mit einem glühenden Eisen.

      Frage: Und wenn der Schenkel hoffnungslos gequetscht ist, daß die Knochensplitter hervortreten?

      Antwort: Ich lege ihn auf einen Tisch, lasse ihn von vier starken Matrosen halten, säge ihm das Bein ab und brenne den Stumpf mit einem glühenden Eisen.

      Das sind die ärztlichen Kenntnisse, die ein Kapitän haben muß.

      Ich habe auf einem amerikanischen Segler gesehen, wie der Kapitän vor solch einer Operation die gewöhnliche Zimmermannssäge erst mit einem Stück Salzspeck einfettete. Chloroform und dergleichen gibt es an Bord nicht, und das einzige Desinfektionsund Blutstillungsmittel ist das glühende Eisen. Auf Passagierschiffen ist das etwas anderes.

      Mein Entschluß war von vornherein gefaßt gewesen, einen tüchtigen Schiffsarzt mitzunehmen. Das damit beauftragte Heuerbureau hatte nur nur noch keinen zugeschickt.

      Ich erhielt das Patent ohne weitere Umstände ausgestellt. In später Vormittagsstunde traf ich in der römischen Villa ein. Schon die Gesichter der Diener machten mich bestürzt, und da kam mir der alte David entgegen. Er zitterte mehr denn sonst.

      »Haben Sie denn das Telegramm schon erhalten? Können Sie denn schon hier sein?«

      »Sprechen Sie!« donnerte ich ihn an. »Was ist geschehen?«