Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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wieder ganz zerrissene Strümpfe an?!«

      »Zerrissene Strümpfe? Das sind doch durchbrochene Seidenstrümpfe, das Allermodernste!«

      Ja, wie hatte ich alter Seebär von solch künstlich durchlöcherten Strümpfen wissen sollen! Jedenfalls aber war das doch wieder ein Grund, um sich auslachen zu können.

      Und dann schilderte sie mir zwei Vergiftungsversuche und andere Niederträchtigkeiten, die von ihren geldgierigen Feinden ausgegangen waren, und so kamen wir auf das Schiff zu sprechen. Wir phantasierten von einem schwimmenden Königreiche, mit einem Volke, welches auf jeden Wink bereit war, Mann für Mann in den Tod zu gehen, eine Schar von auserlesenen Helden, ich malte mit glänzenden Farben – doch die Enkelin der Lady Esther Stanhope wußte mich bald bei weitem an Phantasie zu übertreffen.

      »Weißt du aber auch, was für Geld dazu gehört?«

      »Nun, wieviel?«

      »Na, wie die Verhältnisse bei dir liegen – wo du jedenfalls alles gleich bar zu bezahlen hast – da muß man schon mit einer Million rechnen, wenn etwas Rechtes draus werden soll.«

      »Eine Million Pfund Sterling – sofort im Anfang zu bezahlen?« fragte sie mit leisem Schreck. Sie hatte ja nicht die geringste Ahnung, was so ein Schiff kosten könne.

      »O nein,« lachte ich, »eine Million Pfund – was meinst du wohl! Ich dachte nur an – an – Schillinge …«

      »Ja, weißt du denn gar nicht, was für ein Einkommen ich habe?« unterbrach sie mich.

      »Nein.«

      Sie machte sich etwas von mir frei, um mich wieder einmal mit großen Augen starr anzublicken, »Du weißt nicht, was für ein Einkommen ich habe?« fragte sie nochmals. »Du hast dich noch gar nicht darum gekümmert?«

      »Nein. Daß du viel Geld haben mußt, konnte ich mir wohl denken, aber sonst – was ging das mich an … «

      »O, du seltsamer, du einziger Mann!« rief sie da mit hellem Jubel, für mich ganz unverständlich.

      »Na, wieviel hast du denn?«

      »Ich bekomme jedes Jahr rund 120 000 Pfund ausgezahlt.«

      Ich wollte es erst gar nicht glauben – 800 000 Taler – wie die ein Mensch haben könnte – wo die jährlich herkommen sollten. Bis sie mir erklärte, was das hieße, der ehemalige Besitzer von halb Chicago gewesen zu sein, und was da nun sonst noch alles drum und dran hing!

      Und doch, ich hatte schon von reicheren Leuten gehört, schon damals gab es in Amerika zwei Milliardäre – ich hatte solche Leute schon von weitem gesehen – aber so nahe noch nicht – und nun gar solch einen Goldfisch hier auf meinem Schoße – es läßt sich wohl begreifen, daß ich ganz verwirrt wurde.

      »Küsse mich, Richard!«

      Da war meine Verwirrung wieder vorbei, sie war wieder ein Wesen aus Fleisch und Blut geworden, in meinen Armen ein ebenso liebenswertes, wie liebebedürftiges Weib.

      So hatte sie auf der Bank von England im Laufe der letzten vier Jahre mehr als 400 000 Pfund Sterling angehäuft – oder ich will fernerhin nach dem jetzigen deutschen Gelde rechnen: über acht Millionen Mark – und das stand zu ihrer freien Verfügung, das konnte sie zu jeder Zeit abheben, in diesem Falle war ihre Unterschrift gültig.

      Ja, dann! – dann konnte etwas gemacht werden – dann konnten wir auch weiter phantasieren, und wir taten es.

      »Aber du weißt, Richard – die Ansprüche auf mein Vermögen gebe ich nicht etwa auf!«

      »Sicher nicht.«

      »Wir dürfen uns nicht heiraten.«

      »Gibt’s ja gar nicht bei mir, das habe ich dir oder deiner Cousine schon einmal gesagt. Ja aber, Blodwen, darfst du denn einen Geliebten haben?«

      Sie lachte nur über diese so naiv gestellte Frage. Ja, und weshalb auch hätte sie es nicht gedurft?

      »Ja, Blodwen, wenn aber nun – wenn nun … «

      Da verschloß sie mir mit ihrer Hand den Mund. Das Weib, welches mich hatte versuchen wollen, konnte auch verschämt wie ein unschuldiges Mädchen sein. Ja, und hatte ich nicht schon gleich gesagt, ich hätte sie eher für ein Mädchen gehalten? Und sie war es – es war mit dem abgedankten Lebemann eben eine sehr unglückliche, eine unnatürliche Ehe gewesen, und wäre Blodwen nicht unerfahren wie ein Kind gewesen, sie hätte gleich von Anfang an anders vorgehen können. Nun aber war es zu spät.

      Es war bereits hell geworden, und da drang in das kleine Turmgemach der erste Sonnenstrahl – der erste Sonnenstrahl eines neuen Tages – eines Lebens! Was würde es uns bringen?

      O, was waren wir beiden Menschenkinder glücklich!!

      »Ja, Blodwen, wie wollen wir aber nach Hause kommen? Am hellerlichten Tage?«

      »Was kümmern uns die anderen Menschen? Komm, Richard, wir wollen Hand in Hand hinausgehen in das neue Leben.«

      Wir begaben uns hinab. Ich dachte schon, sie würde auch am hellerlichten Tage als weißer Bettuch-Geist den langen Weg neben mir her wandeln – was mir übrigens ganz egal gewesen wäre, ich hatte jene Bemerkung nur ihretwegen gemacht.

      Aber etwas sollte der Geistereindruck doch abgeschwächt werden. Erst jetzt erfuhr ich, wie sie überhaupt hier hereingekommen war. Sie zeigte mir unten eine Falltür, die ich nicht hatte bemerken können, wir durchschritten einen kurzen, unterirdischen Gang und kamen in ein leeres Häuschen, ebenfalls noch von dem früheren Schlosse stehen geblieben. Hier hatte sie einen langen Mantel, ihre Kapuze und Stiefel, zurückgelassen, nichts weiter.

      Im goldenen Scheine der frühen Morgensonne traten wir den Rückweg an, nicht Hand in Hand, sondern Arm in Arm. Uns begegnende Leute blieben stehen und blickten uns nach. Die Lady Blodwen wurde sogar trotz ihrer heruntergezogenen Kapuze erkannt, Bemerkungen wurden gemacht.

      »Na, da hat sie ja endlich einen.«

      »Na, wenn das ihr Vormund erfährt, da kann sie aber etwas erleben, das darf sie ja gar nicht, dann nimmt man ihr ja alles weg.«

      »O ja, warum soll sie sich denn nicht einen Liebsten halten können? Das kann sie, nur heiraten darf sie nicht.«

      Der Mann hatte recht. Und was ging uns an, was die Menschen hinter uns sprachen? Deren ganze Welt lag hinter uns, wir schritten in eine neue hinein, die wir uns erst zu gründen hatten.

      VORBEREITUNGEN UND ABREISE.

       Inhaltsverzeichnis

      O, was für eine herrliche Zeit war das, während welcher ich diese neue Welt gründete für das verfolgte Weib und nicht minder für mich selbst!

      Es hätten meine Flitterwochen sein sollen – statt dessen waren sie rastloser Arbeit gewidmet, und dennoch waren es die seligsten meines ganzen Lebens.

      Während dreier Wochen bin ich nur aus den Kleidern und Stiefeln gekommen, wenn ich einmal ein Bad nahm. Von einem Bett gar nicht zu sprechen. Jede Eisenbahn- und Wagenfahrt, die länger als eine Viertelstunde dauerte, wurde zum Schlafen benutzt. Meine Equipage war ein fahrendes Schreibbureau.

      Und nicht minder tätig war Blodwen. Sie verließ die römische Villa mit keinem Schritt und arbeitete vor ihrem Schreibtisch täglich sechzehn Stunden. Denn da gab es noch vieles, vieles andere zu schreiben, Berechnungen aufzustellen und Gott weiß was. Aber alles mußte von mir unterschrieben werden, überhaupt ging alles auf und für meinen Namen. Ich hatte ein Scheckbuch in der Tasche, auf welches ich mit einem Federzug von der englischen Bank 400 000 Pfund Sterling in Papier oder achtzig Zentner in barem Golde hätte erheben können, und es sei bemerkt, daß auf der Bank von England noch ganz andere Summen liegen. Und wieviel ist denn das der Menge nach? Das entspricht einem massiven Goldwürfel von noch nicht ganz sechzig Zentimeter Durchmesser, und als loses Gold ist das gar schnell mit der Schippe auf die