Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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Schiffbrüchigen werden an Bord genommen, mit Freuden willkommen geheißen – und mit einem Male stürzen sie sich mit Messer und Revolver auf die Ahnungslosen, machen im Handumdrehen alles nieder, sie sind Besitzer des fremden Schiffes.

      Bei ihrem eigenen haben sie nur die Masten umgelegt, es sonst etwas als Wrack ausstaffiert. Man braucht ja nur das Steuer loszulassen, um das Fahrzeug in beängstigende Schwankungen zu bringen.

      Entweder begnügen sich diese modernen Seepiraten nur mit der immer bedeutenden Schiffskasse, nehmen auch sonst nur das Kostbarste mit, dann genügt schon ein Durchschlag, oder wenn die See über Deck spült, so braucht nur eine Luke aufgemacht zu werden, und das Schiff sinkt schnellstens.

      Oder die Piraten zerschlagen die Takelage und anderes, beseitigen die Boote, und sie haben ein verlassenes Wrack gefunden, das ihre gute Prise ist – und niemand als der Himmel hat es gesehen – und ist kein Verräter unter ihnen, so können sie dieses Manöver wer weiß wie oft wiederholen.

      Taucht dabei einmal ein Schiff am fernen Horizont auf, so dauert es doch noch immer sehr lange, ehe man durch das schärfste Fernrohr etwas Genaueres unterscheiden kann. Nur Schüsse müssen dabei möglichst vermieden werden.

      Und wenn jener pockennarbige Kerl der Kapitän war, so hatte er sich dadurch, daß er auf mich geschossen, als solcher fernerhin unmöglich gemacht, das Kapitänspatent ward ihm sofort entzogen, er ward auch sonst wegen Mordversuchs schwer bestraft. Dazu kam die enttäuschte Beutegier, überhaupt ein furchtbarer Ingrimm gegen uns. Und alle dachten so wie der Kapitän. Vielleicht mochte die ganze Besatzung mit dem Kapitän durch irgendein schreckliches Geheimnis verbunden sein. Und die Gelegenheit war so günstig …

      Wie gesagt: wozu ich hier viele Zeilen brauche, alles das schoß mir wie ein Blitz durch den Kopf.

      »Alle Mann an Deck!!!«

      Wenige Worte genügten, und aller Augen flammten in wilder Kampflust auf.

      »Bei Thor und Odin!« sagte Blodwen nochmals, und die Matrosen und die aus dem Innern hervorgekommenen Heizer fanden noch andere Ausdrücke. Wohl nicht ein einziger war darunter, der gewünscht hätte, einem Kampfe aus dem Wege zu gehen.

      Noch einmal stoben sie davon, um sich in der Waffenkammer mit Revolvern und Entersäbeln zu versehen, welch letztere aber vorläufig noch versteckt gehalten werden mußten.

      Eine Idee zuckte durch meinen Kopf. Der Schoner wußte wahrscheinlich gar nicht, daß wir mit einer Hilfsmaschine ausgestattet waren. Noch vor Tagesanbruch hatten wir die Feuer ausgehen lassen, der Schornstein war umgelegt worden, wobei er in eine Versenkung zu liegen kam, und die Schraube schlug nicht aus dem Wasser, so hoch ging die See nicht. Wegen des Wracks hatten wir zuletzt alle Segel festgemacht oder doch dicht gerefft.

      Das Wasser in den Kesseln war noch nahe dem Siedegrad. Nur wenig Feuer hätte genügt, um die Maschine wieder aktiv zu machen. Aber ich hatte anderes vor. Ich ließ die große Deckspritze mit der Kesselpumpe in Verbindung setzen, vorn den Schlauch dicht mit Segeltuch umwickeln. Dann wurde noch ein dünnerer, aber harter Schlauch in Stücke zerschnitten, jeder Mann erhielt ein Stück mit der nötigen Instruktion.

      Jetzt konnten wir uns über die Absicht der Amerikaner nicht mehr irren. Sie hatten die Segel anders gesetzt, daß sie mit einem Zuge von Deck aus schnell dichtgerefft werden konnten. Schnell kam der Schoner von der Seite heran. Es waren wenigstens dreißig Mann, eine sehr starke Besatzung, und wir sahen die wüsten Gesichter glühen, und sie machten gar kein Hehl mehr aus ihrer Absicht, sie zeigten ja ganz offen ihre Revolver und Entersäbel, sogar schon die Enterhaken, und außerdem hatten sie gerade auf der Backbordseite, die uns zugekehrt war, vier kurze Bordgeschütze aufgepflanzt.

      Auch die ›Sturmbraut‹ war von vornherein, als ich sie übernommen, mit drei fünfzölligen Hinterladern ausgerüstet gewesen. Noch heute muß ja jedes Schiff, besonders jeder Segler, armiert sein, wegen der Seeräuber, deren Handwerk noch allüberall floriert. Noch heute kann jedes Segelschiff bei Windstille an der chinesischen Küste ziemlich sicher sein, von eingeborenen Piraten angegriffen zu werden, desgleichen in einsamen Gegenden des malaiischen Archipels, nicht minder an der nordafrikanischen wie arabischen Küste.

      Aber diese Geschütze mußten erst an Deck montiert werden, und gesetzt den Fall, ich hätte dazu überhaupt noch Zeit gehabt, ich hätte es nicht getan.

      Mit Absicht standen wir alle ganz harmlos da, scheinbar ohne jede Ordnung, Verwunderung heuchelnd.

      Doch welches Glück, daß sie jedenfalls jeden Kanonendonner vermeiden wollten, wohl nicht einmal einen Revolver losdrücken würden! Denn sonst würden sie doch nicht zum Enterangriff vorgehen.

      Hinwiederum schoß es mir durch den Kopf, daß die wohl nicht den ersten Enterangriff unternahmen, sie mußten schon Uebung darin besitzen, sonst hätten sie wohl schwerlich eine Enterung gewagt, zumal bei diesem Seegang, wobei sie doch ihr eigenes Schiff aufs Spiel setzten.

      Liegen allerdings die Schiffe erst Seite an Seite, haben die Enterhaken einmal eingeschlagen, dann ist für das Schiff selbst auch jede Gefahr vorbei.

      »Begib dich in die Kajüte, Blodwen,« flüsterte ich.

      »Ich bleibe.«

      »Wenigstens in das Ruderhaus, es könnte doch zum Handgemenge kommen – ich bitte dich inständigst, Blodwen.«

      »Bei Thor und Odin, was verlangst du von mir, Richard!«

      Ich blickte sie an, und ich sah ihre flammenden Augen, und ich wußte, daß hier alles Bitten vergeblich war. Umsonst würde sie wohl auch nicht die Hand in der Tasche haben.

      Ich griff zum Sprachrohr, den Spritzenschlauch unter der Bordwand verbergend.

      »Was tut ihr? Ihr rammt uns ja!!« donnerte ich hinüber.

      Es erfolgte gar keine Antwort, und es wäre schon zu spät gewesen, auch für uns, noch irgendwelches Manöver des Ausweichens zu machen.

      Im Nu rollten dort drüben plötzlich alle Segel zusammen, und da kam dennoch eine Antwort – der schmetternde Krach, mit dem sich beide Schiffe berührten, und dann ein wildes Jubelgeheul aus dreißig Kehlen, als die Enterhaken in die Bordwand unseres Schiffes einschlugen.

      Meine Schilderung der folgenden Szene ist äußerst einfach. Wie soll ich auch anders schildern? Das Furchtbare, was sich innerhalb dreier kurzer Minuten abspielte, läßt sich schriftlich ja gar nicht wiedergeben.

      Ich öffnete einfach das Ventil des Mundstückes und spritzte los, das letztere dabei so etwas schwenkend, nur daß scheinbar kein Wasser kam, sondern bloß Dampf. Aber in Wirklichkeit war es dennoch kochendes Wasser, was in mächtigem Strome über das Deck des Schoners spritzte.

      Was sich dort drüben in dem Nebeldampfe abspielte, sah ich ja selbst nicht.

      Das frohlockende Wutgebrüll verwandelte sich in ein fürchterliches Schmerzgeheul, dann hing ich den heißen Schlauch über die Bordwand, daß sich das kochende Wasser ins Meer ergoß, so viel Raum war noch zwischen den beiden Bordwänden, zog meinen kurzen Gummischlauch aus dem Hosenbein und war mit meinen Jungen drüben, und wir schlugen auf alles Lebendige los, was wir unter die Hände bekamen, und als sich der Nebel etwas verteilt hatte, konnten wir noch viel besser die Köpfe treffen, daß ihre Besitzer wie die schlaffen Säcke umsanken.

      Ich glaube, wohl keine Schlacht ist mit solcher Gemütlichkeit und dennoch mit solcher Gründlichkeit geschlagen worden wie diese.

      Die ganze Geschichte dauerte höchstens eine halbe Minute. Dann war alles niedergeschlagen, was sich an Deck befand. In aller Gemütlichkeit konnten sie jetzt gebunden werden. Von keiner Seite auch nur ein einziger Schuß oder Messerstich, nur etwas verbeulte Köpfe – und dann hin und wieder freilich auch rohes Fleisch, nämlich eine Brandwunde. Aber so schlimm, wie ich mir die Sache erst vorgestellt hatte, war es gar nicht. Nur ein paar Spritzerchen des kochendheißen Wassers ins Gesicht, oder auch nur an den Hals, auf die Hände, auf die nackten Füße – Donner und Doria, auf so etwas waren die nicht geeicht gewesen, schnell die Jacke oder das Hemd über die Ohren gezogen und, hast du nicht gesehen; davongestürzt oder sich auch