Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


Скачать книгу

der Flausrock mit großen Glasknöpfen besetzt und was sonst noch alles dazu gehört – und merkwürdig auch waren die großen, runden Eulenaugen und die scharfe Habichtsnase – nämlich deshalb besonders merkwürdig, weil der Klabautermann stets mit solchen runden Eulenaugen und mit solcher Habichtsnase beschrieben wird von allen denen, die ihn gesehen haben wollen, was nun schon in Bilder übergegangen ist.

      Und das war nicht etwa eine Figur aus Wachs oder Holz! Denn jetzt führte er langsam eine mächtig lange Kalkpfeife zum zahnlosen Mund und blies bedächtig einige Rauchwölkchen vor sich hin.

      Na, daß ich hier so dastand und ihn anstarrte, nützte nichts.

      »Hallo, wer seid denn Ihr?!«

      Ich hatte mich unwillkürlich des Holländischen bedient, von dem ich einige gute Brocken verstand.

      Keine Antwort. Und er schien uns auch nicht zu sehen, beachtete uns wenigstens gar nicht. Ueberhaupt hatten die runden Augen, die vor sich hinstierten, einen recht leeren Ausdruck. Nur die Tabakswölkchen folgten sich etwas schneller. »Seid Ihr der Kapitän?«

      Keine Antwort. Es wurde weitergepafft.

      Ich trat näher, dicht vor ihn hin.

      »Mann, wer seid Ihr?« fragte ich mit stärkerer Stimme.

      Da öffnete sich der zahnlose Mund, und mit einem tiefen Seufzer kam das einzige Wort hervor: »Minajorka.«

      Ich kannte keinen Namen dieses Klanges. Wohl ein Minorka, eine Insel bei Spanien, aber kein Minajorka.

      »Ist das der Name dieses Schiffes?«

      »Minajorka,« wurde wieder geseufzt.

      »Gehört Ihr mit zu der Besatzung?«

      »Minajorka.«

      Ich gestehe, daß es auch mir unheimlich zumute wurde. Dieses ausgedörrte Männchen in altholländischer Tracht, offenbar geistesgestört, diese ausdruckslosen Augen, die mich nicht etwa dabei ansahen, diese klägliche Seufzerei, dieses ganze ausgestorbene Schiff, von dem ich mir keine Rechenschaft abgeben konnte – kurz und gut, auch ich stand etwas unter dem Banne der Sage vom Klabautermann.

      Fragen nützten nichts, es blieb immer bei dem einzigen Worte, aus tiefster Brust geseufzt: Minajorka.

      Jetzt klopfte das unheimliche Männchen bedächtig seine Pfeife aus, griff zwischen die Beine, wo es einen großen Lederbeutel klemmen hatte, stopfte aus diesem seine Pfeife frisch mit Tabak, brachte darauf auch noch ein kleineres Beutelchen zum Vorschein, dem er Stahl, Feuerstein und Zunder entnahm, fing an, Feuer zu schlagen. Meine Matrosen kannten diese Art, sich Feuer zu verschaffen, gar nicht mehr.

      »Es ist der Klabautermann,« wurde hinter mir nach wie vor scheu geflüstert.

      Nein, das war und blieb ein Mensch, und durch Anstarren änderte sich nichts.

      Hier unter der Back befanden sich die Kojen der Matrosen, ich sah Decken und anderes. Doch ehe ich an diese Untersuchung ging, wollte ich mich in der Kajüte umsehen.

      So beorderte ich vier Matrosen, hier bei dem Alten zu bleiben, daß er nicht etwa ein Gelüste empfand, sich über Bord zu verabschieden – denn verrückt war der unbedingt – mit den beiden anderen begab ich mich nach hinten, wo ich unter dem hohen Aufbau richtig eine Tür fand, schön geschnitzt, woraus gleich zu schließen war, daß es hier nach der Kajüte ging.

      Mein Staunen hier unten war vielleicht nicht geringer, als da ich oben zuerst den Klabautermann gesehen hatte. Ich kam mir wie in eine fremde Welt versetzt vor. Alles aufs feinste eingerichtet, aber eben mir ganz fremd. Nur das Bewußtsein kam mir sofort, daß ich es hier mit einer Schiffseinrichtung zu tun hatte, wie sie vor hundert oder sogar einigen hundert Jahren Mode gewesen sein mochte, das sagte mir der reichgeschnitzte Schreibtisch und jedes andere Möbel, überhaupt alles, und über dem Schreibtisch hing ein Oelgemälde, einen Holländer im bunten Samtwams mit Bauschärmeln und Spitzenkragen darstellend.

      Wie der Kerl mich so ernst anblickte – wiederum ward es nur in dem stillen Raume ganz unheimlich. Ja, was sollte man aber auch von alledem denken?

      Wie aber ward mir erst zumute, als ich in das eigentliche Zwischendeck kam!

      Nicht etwa unverwesbare Leichen oder sonst etwas Unnatürliches oder Gespensterhaftes, sondern … auf jeder Seite, hinter den geschlossenen Stückpforten stehend, ein Dutzend Kanonen!

      Und was für Dinger! Und noch aus Bronze! Vorderlader! Sie trugen auch die Jahreszahl ihrer Anfertigung: gegossen in Amsterdam, und keine später als im Jahre 1614.

      Versteht der Leser, weshalb ich gerade beim Anblick dieser alten Kanonen so bestürzt wurde?

      Meine Matrosen empfanden ganz genau dasselbe wie ich.

      »Das ist dennoch der fliegende Holländer^« wurde wieder scheu geflüstert.

      Ein Holländer, ein alter Patrizier und zugleich Sportsman, kann sich den Luxus erlauben, sein ganzes Schiff nach altholländischem Muster auszustaffieren. In alten Schlössern und anderen alten Häusern gibt es solche Möbel ja noch immer genug, es existieren auch noch ganze Schiffseinrichtungen aus früheren Jahrhunderten, nicht nur in Museen, man kann so etwas auch bei Raritätenhändlern zusammenkaufen.

      Nun aber dieser Ballast von zwei Dutzend solcher vorsintflutlichen Kanonen, im sonst leeren Zwischendeck, hier schon mehr Batterie zu nennen, richtig vor den Stückpforten aufgestellt – so etwas geht denn doch ein bißchen über den Geschmack an altertümlicher Umgebung, einer gewissen Art von Nationalstolz entspringend.

      Und dann kam mir wieder zum Bewußtsein, daß dies ja keine Jacht, kein modernes Schiff war, sondern von uralter Bauart, und zwar keine künstliche Antiquität, das sah man gleich dem verräucherten Holze an, und oben, wo es zersplittert war, erkannte man die Echtheit dieses Alters von Jahrhunderten noch ganz besonders.

      Kurz und gut, ich wußte gar nicht mehr, was ich von alledem denken sollte. Ich widersprach nicht einmal mehr dem Flüstern der Matrosen, hier auf dem gespenstischen fliegenden Holländer zu sein.

      Heftiges Getrampel über mir ließ mich erschrocken emporfahren. Trotz meines Schreckens, welcher, wie ich ganz offen gestehe, etwas der Gespensterfurcht entsprang, eilte ich sofort die Treppe hinauf, gefolgt von den beiden Matrosen, die sich wie die Kletten an mich hefteten.

      Wenn ich jetzt, sagte ich mir dabei, das Deck voll alter Holländer finde, so mit Pluderhosen und Schnallenschuhen, alte Seehelden, die eigentlich schon dreihundert Jahre tot sein müßten, im Kampfe miteinander begriffen, meine anderen Matrosen dagegen im Starrkrampf steif an Deck liegend – ich würde mich gar nicht wundern.

      Es sollte aber nichts sein mit den alten, gespenstischen Holländern. Es waren meine eigenen Matrosen, welche über Deck rannten, sich bereit machend, die Jolle zu empfangen, welche dort von der ›Sturmbraut‹ herangetanzt kam.

      Blodwen befand sich darin. Sie hatte ihre Neugier doch nicht bezähmen können, hatte deswegen lieber ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Wie die ins Boot gekommen war, das hätte ich auch sehen mögen. Sie war offenbar ganz leicht angezogen, und ich konnte schon von hier sehen, daß sie triefte. Sie mußte ebenfalls durchs Wasser gegangen sein.

      Und neben ihr saß Doktor Selo. Daß der Schiffsarzt mitgekommen war, verdroß mich etwas. Wenn aber Blodwen ihn dazu aufgefordert oder ihm die Erlaubnis gegeben hatte, so war daran nichts mehr zu ändern, und jetzt galt es nur, die beiden auch glücklich hierheraufzubugsieren. Schließlich war mir ganz recht, wenn auch der Schiffsarzt einmal dieses merkwürdige Wrack besichtigte. Ich hatte vor dieses Mannes schier allumfassenden Kenntnissen schon einen ganz gewaltigen Respekt bekommen. Man konnte ihn fragen, was man wollte – er war ein lebendiges Konversationslexikon.

      Die Matrosen machten Taue zum Zuwerfen bereit.

      »Woher habt ihr die?«

      »Aus der Segelkammer, die sich unter der Back befindet.«

      Na, dann ging es ja. Diese Taue waren nämlich aus neuem Manilahanf, das allermodernste, ganz frisch geteert – also doch wenigstens etwas, was darauf schließen