Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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der amerikanischen Flagge ergreife ich Besitz von diesem Wrack!!« schrie er nochmals und schwang ein Sternenbanner.

      »Mann, laßt Euch nicht auslachen! Ich war zuerst hier.«

      »Nein, ich.«

      »Was, Ihr?!«

      »Ich habe es zuerst gerufen.«

      »Herunter vom Deck!!«

      »Hund verdammter!«

      »Eins … «

      Es ist wohl begreiflich, daß man so etwas gar nicht schildern kann. Es ging alles Schlag auf Schlag, und wir beide standen uns wie zwei knurrende Bullenbeißer gegenüber, und dazu waren noch fünf andere wilde Gestalten gekommen, aber hinter mir standen jetzt auch meine sechs Matrosen, und elf rechte Hände griffen nach hinten, wo am Leibriemen das Schiffsmesser steckt.

      »Zwei… «

      Noch ein furchtbarer Fluch, ich sah einen Revolver, da aber hatte ich den Kerl schon unterlaufen und gepackt, er flog in weitem Schwunge über Bord.

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      Keiner bekam das Messer heraus. Dazu war gar keine Zeit mehr. Ein allgemeines Handgemenge. Aber alles ging mit Gedankenschnelle. Ich hatte nicht umsonst die stärksten pommerschen Knochen ausgesucht. Ich selbst konnte beim besten Willen nur noch einen einzigen erwischen und hinabbefördern, dann waren wir sieben von der ›Sturmbraut‹ allein auf dem Wrack.

      »Alles ist gut gegangen, nix ist passiert.«

      Unten schaukelte das Boot, von drei zurückgebliebenen Matrosen mit Stangen von dem Wrack abgehalten. Sie fischten ihre schwimmenden Kollegen auf. Der eine war mit dem Leibe auf dem Bootsrand aufgeschlagen, mochte einige Rippen gebrochen haben, lag wimmernd am Boden – uns höchst gleichgültig.

      Der vorletzte, der hineinkam, war der Kapitän, oder was er sonst war, er hatte den Revolver nicht fahren lassen, und … ein Feuerstrom, ein Knall, und mir pfiff die Kugel am Ohre vorbei.

      Dann hörte ich es noch zweimal knacken, die anderen Schüsse versagten.

      Und schon hatte ich die Hände auf die Bordwand gelegt, um hinab ins Boot zu springen, den Kerl zu züchtigen, und Knut schien die gleiche Absicht zu haben, auch er war schon zum Sprunge bereit, und was ich selbst ausführen wollte, erkannte ich an dem anderen für eine Torheit, ich hielt den Matrosen zurück, einem zweiten schlug ich das Messer aus der Hand, welches er nach dem Revolverhelden schleudern wollte.

      Da krachte unten doch noch einmal der Revolver, glücklicherweise wieder daneben. Jetzt aber konnte mich das nicht mehr besonders aus der Fassung bringen.

      »Mordversuch!« schrie ich hinab, als die amerikanischen Matrosen schon die Riemen durchholten. »Die ›Helios‹ von New- Orleans – auf Wiedersehen vor dem Seegericht!«

      »Ja, auf Wiedersehen, du …,« fluchte der Pockennarbige, ein scheußliches Wort gebrauchend. »Aber nicht erst vor dem Seegericht!«

      Dann zogen sie ab. Der Pockennarbige, am Steuer sitzend, schüttelte noch einmal die Faust. Wir achteten nicht mehr darauf, wandten uns der Untersuchung des Wracks zu.

      Ja, was für ein altertümlicher Kasten war das eigentlich? Denn der vorsintflutliche Eindruck blieb auch hier in der Nähe bestehen. Viel zu sehen war ja nicht, das ganze Deck war nackt – die Altertümlichkeit lag eben in der übermäßig hohen Back und dem Aufbau am Hinterteil, wie man solch ein Schiff heute gar nicht mehr sieht. Wohl genau so stellt man sich den fliegenden Holländer vor.

      Aber das Seemannsauge erkannte gleich noch verschiedenes andere Auffällige. Wer läßt denn heute noch das Deck mit dem feinsten Sandelholz parkettieren? Das kommt höchstens auf einer Privatjacht vor, mit der dieser plumpe, schwerfällige Kasten nicht die geringste Aehnlichkeit hatte, und an den Maststümpfen wie an der eingedrückten Bordwand erkannten wir, daß das eisenharte Holz schon uralt sein müsse.

      Na, die Hauptsache war doch, was wir unter Deck finden würden. Die Mannschaft war offenbar in die Boote gegangen; denn wären diese sämtlich schon vorher weggeschlagen worden, so hätte die Besatzung doch natürlich auch an Bord sein müssen.

      Daß sie das Schiff verlassen hatten, war eigentlich recht merkwürdig: denn von einem Sinken des Wracks war nicht das geringste zu bemerken, und wir sollten dann später auch wirklich gar kein Leck finden.

      Weshalb war die Besatzung denn nur in die Boote gegangen? Ich konnte ihnen für diese furchtbare Sturmnacht kein günstiges Schicksal in Aussicht stellen. Daß wir schon das ganze Meer nach einem treibenden Boot abgespäht hatten, ohne eins zu erblicken, brauche ich wohl nicht besonders zu erwähnen.

      Ja, wo war hier eigentlich der Kajüteneingang? Alle Luken waren geschlossen, und schon wie diese direkt ins Deck eingelassen, wie es heute gar nicht mehr vorkommt, war sehr merkwürdig, sie waren fest geschlossen, und da aller Schiffsbau doch so ziemlich übereinstimmt, konnte man sich gar nicht recht erklären, wo sich der Eingang zur Kajüte befinden sollte. Dann war es nicht anders möglich, als daß er unter dem Heck angebracht war, was aber heute wohl schwerlich noch Vorkommen könnte.

      Ich wollte mich dem hohen Aufbau des Hinterteils zuwenden – denn unter der Back konnte er sich auf keinen Fall befinden, die gehört den Matrosen, oder die ganze Schiffsroutine geht in die Brüche – als Paul, der schon unter der Back gewesen war, auf mich zugestürzt kam.

      »Mensch, was hast du denn?«

      Der Matrose hatte nämlich ein aschgraues Gesicht und zitterte an allen Gliedern.

      »Der Klabautermann!« ächzte er. Da ist wohl erst eine Erklärung nötig. Der Klabautermann ist die Figur einer uralten Seemannssage.

      Es ist also ein Seegespenst, das sich manchmal auf Schiffen zeigt – ein greises, kleines Männchen, in alter, holländischer Tracht, mit Pumphosen und Schnallenschuhen, mit breitrandigem Hute – so sitzt er immer auf einer Kleiderkiste und raucht aus einer langen Kalkpfeife, und zwar sitzt er mit seiner Kleiderkiste immer entweder vor dem Gangspill oder unter der Back, nämlich, wenn sich das Gangspill, wie es besonders früher üblich war, unter dieser befindet.

      Wohl dem Schiffe, auf dem sich der Klabautermann niederläßt! Es ist nämlich ein sehr guter Geist. Diesem Schiffe kann kein Sturm und keine Klippe etwas schaden, solange man das Gespenst so nächtlicherweile sitzen sieht. Aber er muß sich so Nacht für Nacht zeigen, wenigstens bis zum Ende der betreffenden Reise. Erhebt er sich schon früher, nimmt die Kleiderkiste seufzend auf die Schulter und verschwindet über Bord, dann droht dem Schiffe irgendeine Gefahr, wenn auch nicht direkter Untergang. Doch das hat man dann selbst verschuldet, man hat den Klabautermann nicht mit der gebührenden Hochachtung behandelt, hat ihn verspottet oder sonstwie gekränkt.

      Ich gebe hier wieder, was jeder alte Seemann zu erzählen weiß, besonders an Land, beim Glase Grog, daß jeder Landratte die Augen übergehen. Wie diese Sage entstanden ist, weiß ich nicht. Sie ist international und uralt, wird schon im 15. Jahrhundert erwähnt. Jedenfalls also ein gemütlicher Holländer, und aus irgendeinem Grunde keine Ruhe im nassen Grabe findet.

      »Der Klabautermann!« stöhnte Paul.

      »Mensch, dich plagt ein Hirngespinst.«

      »Nee, faktisch, Käpt’n, dort unter der Back sitzt er, vor dem Gangspill!«

      »Auf einer Kleiderkiste, nicht wahr?« spottete ich.

      »Jawohl, auf einer Kleiderkiste – und raucht aus einer langen Kalkpfeife – es ist faktisch der Klabautermann!«

      Na, zum Donner, Paul war doch sonst ein ganz vernünftiger Mensch – ich hin, gefolgt von den anderen Matrosen, und …

      Ja, es half nichts, daß ich den Kopf vorreckte. Da saß er wirklich auf seiner Kleiderkiste, der Klabautermann, so wie jedes Buch ihn beschreibt und wie jeder Bärenbinder ihn in der Kneipe schildert.

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