Angriff, entwachsenen Dogmen, nebst dem daraus hervorgehenden Streben einer edlen Natur, die so entstandene Dissonanz irgendwie zum Einklang zurückzuführen. Dies kann dann aber freilich nur dadurch geschehn, daß die Dogmen gewendet, gedreht und nöthigenfalls verdreht werden, bis sie sich der selbsterkannten Wahrheit nolentes volentes anschmiegen, als welche das dominirende Princip bleibt, jedoch genöthigt wird, in einem seltsamen und sogar beschwerlichen Gewande einherzugehn. Diese Methode weiß Erigena, in seinem großen Werke de divisione naturae, überall mit Glück durchzuführen, bis er endlich auch an den Ursprung des Uebels und der Sünde, nebst den angedrohten Quaalen der Hölle, sich damit machen will: hier scheitert sie, und zwar am Optimismus, der eine Folge des jüdischen Monotheismus ist. Er lehrt, im 5. Buch, die Rückkehr aller Dinge in Gott und die metaphysische Einheit und Untheilbarkeit der ganzen Menschheit, ja, der ganzen Natur. Nun frägt sich: wo bleibt die Sünde? sie kann nicht mit in den Gott; – wo ist die Hölle, mit ihrer endlosen Quaal, wie sie verheißen worden? – wer soll hinein? die Menschheit ist ja erlöst, und zwar ganz. – Hier bleibt das Dogma unüberwindlich. Erigena windet sich kläglich, durch weitläufige Sophismen, die auf Worte hinauslaufen, wird endlich zu Widersprüchen und Absurditäten genöthigt, zumal da die Frage nach dem Ursprung der Sünde unvermeidlicherweise mit hineingekommen, dieser nun aber weder in Gott, noch auch in dem von ihm geschaffenen Willen liegen kann; weil sonst Gott der Urheber der Sünde wäre; welches Letztere er vortrefflich einsieht, S. 287 der Oxforder editio princeps von 1681. Nun wird er zu Absurditäten getrieben: da soll die Sünde weder eine Ursache noch ein Subjekt haben: malum incausale est, … . penitus incausale et insubstantiale est: ibid. – Der tiefere Grund dieser Uebelstände ist, daß die Lehre von der Erlösung der Menschheit und der Welt, welche offenbar indischen Ursprungs ist, eben auch die indische Lehre voraussetzt, nach welcher der Ursprung der Welt (dieses Sansara der Buddhaisten) selbst schon vom Uebel, nämlich eine sündliche That des Brahma ist, welcher Brahma nun wieder wir eigentlich selbst sind: denn die indische Mythologie ist überall durchsichtig. Hingegen im Christenthum hat jene Lehre von der Erlösung der Welt gepfropft werden müssen auf den jüdischen Theismus, wo der Herr die Welt nicht nur gemacht, sondern auch nachher sie vortrefflich gefunden hat: παντα καλα λιαν. Hinc illae lacrimae: hieraus erwachsen jene Schwierigkeiten, die Erigena vollkommen erkannte, wiewohl er, in seinem Zeitalter, nicht wagen durfte, das Uebel an der Wurzel anzugreifen. Inzwischen ist er von Hindostanischer Milde: er verwirft die vom Christenthum gesetzte ewige Verdammniß und Strafe: alle Kreatur, vernünftige, thierische, vegetabilische und leblose, muß, ihrer innern Essenz nach, selbst durch den nothwendigen Lauf der Natur, zur ewigen Seeligkeit gelangen: denn sie ist von der ewigen Güte ausgegangen. Aber den Heiligen und Gerechten allein wird die gänzliche Einheit mit Gott, Deificatio. Uebrigens ist Erigena so redlich, die große Verlegenheit, in welche ihn der Ursprung des Uebels versetzt, nicht zu verbergen: er legt sie, in der angeführten Stelle des 5. Buches, deutlich dar. In der That ist der Ursprung des Uebels die Klippe, an welcher, so gut wie der Pantheismus, auch der Theismus scheitert: denn Beide impliciren Optimismus. Nun aber sind das Uebel und die Sünde, beide in ihrer furchtbaren Größe, nicht wegzuleugnen, ja, durch die verheißenen Strafen für die Letztere, wird das Erstere nur noch vermehrt. Woher nun alles Dieses, in einer Welt, die entweder selbst ein Gott, oder das wohlgemeinte Werk eines Gottes ist? Wenn die theistischen Gegner des Pantheismus diesem entgegen schreien was? alle die bösen, schrecklichen, scheußlichen Wesen sollen Gott sein? – so können die Pantheisten erwiedern: wie? alle jene bösen, schrecklichen, scheußlichen Wesen soll ein Gott, de gaieté de coeur, hervorgebracht haben? – In derselben Noth, wie hier, finden wir den Erigena auch noch in dem andern seiner auf uns gekommenen Werke, dem Buche de praedestinatione, welches jedoch dem de divisione naturae weit nachsteht; wie er denn in demselben auch nicht als Philosoph, sondern als Theolog auftritt. Auch hier also quält er sich erbärmlich mit jenen Widersprüchen, welche ihren letzten Grund darin haben, daß das Christenthum auf das Judenthum geimpft ist. Seine Bemühungen stellen solche aber nur in noch helleres Licht. Der Gott soll Alles, Alles und in Allem Alles gemacht haben; das steht fest: – folglich auch das Böse und das Uebel. Diese unausweichbare Konsequenz ist wegzuschaffen und Erigena sieht sich genöthigt, erbärmliche Wortklaubereien vorzubringen. Da sollen das Uebel und das Böse gar nicht seyn, sollen also nichts seyn. – Den Teufel auch! – Oder aber der freie Wille soll an ihnen Schuld seyn: diesen nämlich habe der Gott zwar geschaffen, jedoch frei; daher es ihn nicht angeht, was derselbe nachher vornimmt; denn er war ja eben frei, d. h. konnte so und auch anders, konnte also gut, sowohl wie schlecht seyn. – Bravo! – Die Wahrheit aber ist, daß Freiseyn und Geschaffenseyn zwei einander aufhebende, also sich widersprechende Eigenschaften sind; daher die Behauptung, Gott habe Wesen geschaffen, und ihnen zugleich Freiheit des Willens ertheilt, eigentlich besagt, er habe sie geschaffen und zugleich nicht geschaffen. Denn operari sequitur esse, d. h. die Wirkungen, oder Aktionen, jedes irgend möglichen Dinges können nie etwas anders, als die Folge seiner Beschaffenheit seyn; welche selbst sogar nur an ihnen erkannt wird. Daher müßte ein Wesen, um in dem hier geforderten Sinne frei zu seyn, gar keine Beschaffenheit haben, d. h. aber gar nichts seyn, also seyn und nicht seyn zugleich. Denn was ist muß auch etwas seyn: eine Existenz ohne Essenz läßt sich nicht ein Mal denken. Ist nun ein Wesen geschaffen; so ist es so geschaffen, wie es beschaffen ist: mithin ist es schlecht geschaffen, wenn es schlecht beschaffen ist, und schlecht beschaffen, wenn es schlecht handelt, d. h. wirkt. Demzufolge wälzt die Schuld der Welt, eben wie ihr Uebel, welches so wenig wie jene abzuleugnen ist, sich immer auf ihren Urheber zurück, von welchem es abzuwälzen, wie früher Augustinus, so hier Skotus Erigena sich jämmerlich abmühet. Soll hingegen ein Wesen moralisch frei seyn; so darf es nicht geschaffen seyn, sondern muß Aseität haben, d. h. ein ursprüngliches, aus eigener Urkraft und Machtvollkommenheit existirendes seyn, und nicht auf ein anderes zurückweisen. Dann ist sein Daseyn sein eigener Schöpfungsakt, der sich in der Zeit entfaltet und ausbreitet, zwar eine ein für alle Mal entschiedene Beschaffenheit dieses Wesens an den Tag legt, welche jedoch sein eigenes Werk ist, für deren sämmtliche Aeußerungen die Verantwortlichkeit also auf ihm selbst haftet. – Soll nun ferner ein Wesen für sein Thun verantwortlich, also soll es zurechnungsfähig seyn; so muß es frei seyn. Also aus der Verantwortlichkeit und Imputabilität, die unser Gewissen aussagt, folgt sehr sicher, daß der Wille frei sei; hieraus aber wieder, daß er das Ursprüngliche selbst, mithin nicht bloß das Handeln, sondern schon das Daseyn und Wesen des Menschen sein eigenes Werk sei. Ueber alles Dieses verweise ich auf meine Abhandlung über die Freiheit des Willens, wo man es ausführlich und unwiderleglich auseinandergesetzt findet; daher eben die Philosophieprofessoren diese gekrönte Preisschrift durch das unverbrüchlichste Schweigen zu sekretiren gesucht haben. – Die Schuld der Sünde und des Uebels fällt allemal von der Natur auf ihren Urheber zurück. Ist nun dieser der zu allen ihren Erscheinungen sich darstellende Wille selbst; so ist jene an den rechten Mann gekommen: soll es hingegen ein Gott seyn; so widerspricht die Urheberschaft der Sünde und des Uebels seiner Göttlichkeit. —
Beim Lesen des Dionysius Areopagita, auf den Erigena sich so häufig beruft, habe ich gefunden, daß derselbe ganz und gar sein Vorbild gewesen ist. Sowohl der Pantheismus Erigena’s, als seine Theorie des Bösen und des Uebels, findet sich, den Grundzügen nach, schon beim Dionysius: freilich aber ist bei Diesem nur angedeutet was Erigena entwickelt, mit Kühnheit ausgesprochen und mit Feuer dargestellt hat. Erigena hat unendlich mehr Geist, als Dionysius: allein den Stoff und die Richtung der Betrachtungen hat ihm Dionysius gegeben und ihm also mächtig vorgearbeitet. Daß Dionysius unächt sei, thut nichts zur Sache, es ist gleichviel, wie der Verfasser des Buches de divinis nominibus geheißen hat. Da er indessen wahrscheinlich in Alexandrien lebte, so glaube ich, daß er, auf eine anderweitige, uns unbekannte Art, auch der Kanal gewesen ist, durch welchen ein Tröpfchen indischer Weisheit bis zum Erigena gelangt seyn mag; da, wie Colebrooke in seiner Abhandlung über die Philosophie der Hindu (in Colebrooke’s miscellaneous essays Vol. I, p. 244) bemerkt hat, der Lehrsatz III der Karika des Kapila sich beim Erigena findet.
§. 10. Die Scholastik
Den eigentlich bezeichnenden Charakter der Scholastik möchte ich darin setzen, daß ihr das oberste Kriterium der Wahrheit die heilige Schrift ist, an welche man demnach von jedem Vernunftschluß noch immer appelliren