Arthur Schopenhauer

Parerga und Paralipomena


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preist und sie als Bedingung und Kennzeichen jeder lobenswerthen Handlung aufstellt, dagegen alle tristitia unbedingt verwirft, obschon sein A. T. ihm sagte: Es ist Trauern besser denn Lachen; denn durch Trauern wird das Herz gebessert (Kohel. 7, 4); – Dies alles thut er bloß aus Liebe zur Konsequenz: denn ist diese Welt ein Gott; so ist sie Selbstzweck und muß sich ihres Daseyns freuen und rühmen, also saute Marquis! semper lustig, nunquam traurig! Pantheismus ist wesentlich und nothwendig Optimismus. Dieser obligate Optimismus nöthigt den Spinoza noch zu manchen andern falschen Konsequenzen, unter denen die absurden und sehr oft empörenden Sätze seiner Moralphilosophie oben an stehen, welche im 16. Kap. seines tractatus theologico-politicus bis zur eigentlichen Infamie anwachsen. Hingegen läßt er bisweilen die Konsequenz da aus den Augen, wo sie zu richtigen Ansichten geführt haben würde, z. B. in seinen so unwürdigen, wie falschen Sätzen über die Thiere. (Eth. Pars IV, Appendicis cap. 26, et ejusdem Partis prop. 37, Scholion.) Hier redet er eben wie ein Jude es versteht, gemäß den Kap. 1 und 9 der Genesis, so daß dabei uns Andern, die wir an reinere und würdigere Lehren gewöhnt sind, der foetor judaicus übermannt. Hunde scheint er ganz und gar nicht gekannt zu haben. Auf den empörenden Satz, mit dem besagtes Kap. 26 anhebt: Praeter homines nihil singulare in natura novimus, cujus mente gaudere et quod nobis amicitia, aut aliquo consuetudinis genere jungere possumus, ertheilt die beste Antwort ein Spanischer Belletrist unserer Tage (Larra, pseudonym Figaro, im Doncel c. 33): El que no ha tenido an perro, no sahe lo que es querer y ser querido. (Wer nie einen Hund gehalten hat, weiß nicht was lieben und geliebt seyn ist). Die Thierquälereien, welche, nach Colerus, Spinoza, zu seiner Belustigung und unter herzlichem Lachen, an Spinnen und Fliegen zu verüben pflegte, entsprechen nur zu sehr seinen hier gerügten Sätzen, wie auch besagten Kapiteln der Genesis. Durch alles Dieses ist denn Spinoza’s Ethica durchweg ein Gemisch von Falschem und Wahrem, Bewunderungswürdigem und Schlechtem. Gegen das Ende derselben, in der zweiten Hälfte des letzten Theils, sehen wir ihn vergeblich bemüht, sich selber klar zu werden: er vermag es nicht: ihm bleibt daher nichts übrig als mystisch zu werden, wie hier geschieht. Um demnach gegen diesen allerdings großen Geist nicht ungerecht zu werden, müssen wir bedenken, daß er noch zu wenig vor sich hatte, etwan nur den Kartesius, Malebranche, Hobbes, Jordanus Brunus. Die philosophischen Grundbegriffe waren noch nicht genugsam durchgearbeitet, die Probleme nicht gehörig ventilirt. Leibnitz ging ebenfalls vom Begriff der Substanz als einem Gegebenen aus, faßte jedoch hauptsächlich ins Auge, daß eine solche unzerstörbar seyn müsse: zu diesem Behuf mußte sie einfach seyn, weil alles Ausgedehnte theilbar und somit zerstörbar wäre: folglich war sie ohne Ausdehnung, also immateriell. Da blieben für seine Substanz keine andere Prädikate übrig, als die geistigen, also Perception, Denken und Begehren. Solcher einfacher geistiger Substanzen nahm er nun gleich eine Unzahl an: diese sollten, obwohl sie selbst nicht ausgedehnt waren, doch dem Phänomen der Ausdehnung zum Grunde liegen; daher er sie als formale Atome und einfache Substanzen (Opera ed. Erdmann, p. 124, 676) definirt und ihnen den Namen Monaden ertheilt. Diese sollen also dem Phänomene der Körperwelt zum Grunde liegen, welches sonach eine bloße Erscheinung ist, ohne eigentliche und unmittelbare Realität, als welche ja bloß den Monaden zukommt, die darin und dahinter stecken. Dieses Phänomen der Körperwelt wird nun aber doch andererseits, in der Perecption der Monaden, (d. h. solcher, die wirklich percipiren, welches gar wenige sind, die meisten schlafen beständig) vermöge der prästabilirten Harmonie zu Stande gebracht, welche die Central-Monade ganz allein und auf eigene Kosten ausführt. Hier gerathen wir etwas ins Dunkle. Wie dem aber auch sei: die Vermittelung zwischen den bloßen Gedanken dieser Substanzen und dem wirklich und an sich selbst Ausgedehnten besorgt eine, von der Central-Monade prästabilirte Harmonie. – Hier, möchte man sagen, ist Alles Rest. Indessen muß man, um Leibnitzen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, an die Betrachtungsweise der Materie, die damals Locke und Newton geltend machten, erinnern, in welcher nämlich diese, als absolut todt, rein passiv und willenlos, bloß mit mechanischen Kräften begabt und nur mathematischen Gesetzen unterworfen, dasteht. Leibnitz hingegen verwirft die Atome und die rein mechanische Physik, um eine dynamische an ihre Stelle zu setzen; in welchem Allen er Kanten vorarbeitete. (Siehe Opera, edit. Erdmann, pag. 694.) Er erinnerte dabei zuvörderst an die formas substantiales der Scholastiker und gelangte danach zu der Einsicht, daß selbst die bloß mechanischen Kräfte der Materie, außer welchen man damals kaum noch andere kannte, oder gelten ließ, etwas Geistiges zur Unterlage haben mußten. Dieses nun aber wußte er sich nicht anders deutlich zu machen, als durch die höchst unbeholfene Fiktion, daß die Materie aus lauter Seelchen bestände, welche zugleich formale Atome wären und meistens im Zustande der Betäubung sich befänden, jedoch ein Analogon der perceptio und des appetitus hätten. Hiebei führte ihn Dies irre, daß er, wie alle Andern, sammt und sonders, zur Grundlage und conditio sine qua non alles Geistigen die Erkenntniß machte, statt des Willens; welchem ich zu allererst den ihm gebührenden Primat vindicirt habe; wodurch Alles in der Philosophie umgestaltet wird. Indessen verdient Leibnitzens Bestreben, dem Geiste und der Materie ein und dasselbe Prinzip zum Grunde zu legen, Anerkennung. Sogar könnte man darin eine Vorahndung sowohl der Kantischen, als auch meiner Lehre finden, aber quas velut trans nebulam vidit. Denn seiner Monadologie liegt schon der Gedanke zum Grunde, daß die Materie kein Ding an sich, sondern bloße Erscheinung ist; daher man den letzten Grund ihres, selbst nur mechanischen, Wirkens nicht in dem rein Geometrischen suchen muß, d. h. in Dem, was bloß zur Erscheinung gehört, wie Ausdehnung, Bewegung, Gestalt; daher schon die Undurchdringlichkeit nicht eine bloß negative Eigenschaft ist, sondern die Aeußerung einer positiven Kraft. Die belobte Grundansicht Leibnitzens ist am deutlichsten ausgesprochen in einigen kleinern Französischen Schriften, wie système nouveau de la nature u. a. m., die aus dem Journal des savans und der Ausgabe von Dütens in die Erdmann’sche Ausgabe aufgenommen sind, und in den Briefen 2e. bei Erdmann, p. 681—95. Auch befindet sich eine wohlgewählte Zusammenstellung hieher gehöriger Stellen Leibnitzens S. 335—340 seiner kleineren philosophischen Schriften, übersetzt von Köhler und revidirt von Huth. Jena 1740.

      Ueberhaupt aber sehn wir, bei dieser ganzen Verkettung seltsamer dogmatischer Lehren, stets eine Fiktion die andre als ihre Stütze herbeiziehn: gerade so wie im praktischen Leben eine Lüge viele andere nöthig macht. Zum Grunde liegt des Kartesius Spaltung alles Daseyenden in Gott und Welt, und des Menschen in Geist und Materie, welcher Letzteren auch alles Uebrige zufällt. Dazu kommt der diesen und allen je gewesenen Philosophen gemeinsame Irrthum, unser Grundwesen in die Erkenntniß, statt in den Willen, zu setzen, also diesen das Sekundäre, jene das Primäre seyn zu lassen. Dies also waren die Ur-Irrthümer, gegen die bei jedem Schritt die Natur und Wirklichkeit der Dinge Protest einlegte und zu deren Rettung alsdann die spiritus animales, die Materialität der Thiere, die gelegentlichen Ursachen, das Alles-in Gott-Sehn, die prästabilirte Harmonie, die Monaden, der Optimismus und was des Zeuges noch mehr ist, erdacht werden mußten. Bei mir hingegen, als wo die Sachen beim rechten Ende angegriffen sind, fügt sich Alles von selbst, Jedes tritt in’s gehörige Licht, keine Fiktionen sind erfordert, und simplex sigillum veri. Kant wurde von dem Substanzen-Problem nicht direkt berührt: er ist darüber hinaus. Bei ihm ist der Begriff der Substanz eine Kategorie, also eine bloße Denkform a priori. Durch diese, in ihrer nothwendigen Anwendung auf die sinnliche Anschauung, wird nun aber nichts so, wie es an sich selbst ist, erkannt: daher mag das Wesen, welches sowohl den Körpern, als den Seelen zum Grunde liegt, an sich selbst gar wohl Eines und Dasselbe seyn. Dies ist seine Lehre. Sie bahnte mir den Weg zu der Einsicht, daß der eigene Leib eines Jeden nur die in seinem Gehirn entstehende Anschauung seines Willens ist, welches Verhältniß sodann auf alle Körper ausgedehnt die Auflösung der Welt in Wille und Vorstellung ergab.

      Jener Begriff der Substanz nun aber, welchen Kartesius, dem Aristoteles getreu, zum Hauptbegriff der Philosophie gemacht hatte, und mit dessen Definition demgemäß, jedoch nach Weise der Eleaten, auch Spinoza anhebt, ergiebt sich, bei genauer und redlicher Untersuchung, als ein höheres, aber unberechtigtes, Abstraktum des Begriffs der Materie, welches nämlich, neben dieser, auch das untergeschobene Kind immaterielle Substanz befassen sollte; wie ich Dies ausführlich dargelegt habe in meiner Kritik der Kantischen Philosophie S. 550 fg. der 2. Aufl.