deren pro et contra neues pro et contra erzeugt und ihr dadurch den Stoff giebt, der ihr außerdem bald ausgehn würde. Die verborgene, letzte Wurzel dieser Eigenthümlichkeit liegt aber in dem Widerstreit zwischen Vernunft und Offenbarung. —
Die gegenseitige Berechtigung des Realismus und Nominalismus und dadurch die Möglichkeit des so lange und hartnäckig geführten Streites darüber läßt sich folgendermaaßen recht faßlich machen.
Die verschiedenartigsten Dinge nenne ich roth, wenn sie diese Farbe haben. Offenbar ist roth ein bloßer Name, durch den ich diese Erscheinung bezeichne, gleichviel, woran sie vorkomme. Eben so nun sind alle Gemeinbegriffe bloße Namen, Eigenschaften zu bezeichnen, die an verschiedenen Dingen vorkommen: diese Dinge hingegen sind das Wirkliche und Reale. So hat der Nominalismus offenbar Recht.
Hingegen wenn wir beachten, daß alle jene wirklichen Dinge, welchen allein die Realität soeben zugesprochen wurde, zeitlich sind, folglich bald untergehn; während die Eigenschaften, wie Roth, Hart, Weich, Lebendig, Pflanze, Pferd, Mensch, welche es sind, die jene Namen bezeichnen, davon unangefochten fortbestehn und demzufolge allezeit dasind; so finden wir, daß diese Eigenschaften, welche eben durch Gemeinbegriffe, deren Bezeichnung jene Namen sind, gedacht werden, kraft ihrer unvertilgbaren Existenz, viel mehr Realität haben; daß mithin diese den Begriffen, nicht den Einzelwesen, beizulegen sei: demnach hat der Realismus Recht.
Der Nominalismus führt eigentlich zum Materialismus: denn, nach Aufhebung sämmtlicher Eigenschaften, bleibt am Ende nur die Materie übrig. Sind nun die Begriffe bloße Namen, die Einzeldinge aber das Reale; ihre Eigenschaften, als einzelne an ihnen, vergänglich; so bleibt als das Fortbestehende, mithin Reale, allein die Materie.
Genau genommen nun aber kommt die oben dargelegte Berechtigung des Realismus eigentlich nicht ihm, sondern der Platonischen Ideenlehre zu, deren Erweiterung er ist. Die ewigen Formen und Eigenschaften der natürlichen Dinge, ειδη, sind es, welche unter allem Wechsel fortbestehn und denen daher eine Idealität höherer Art beizulegen ist, als den Individuen, in denen sie sich darstellen. Hingegen den bloßen, nicht anschaulich zu belegenden Abstraktis ist Dies nicht nachzurühmen: was ist z. B. Reales an solchen Begriffen wie Verhältniß, Unterschied, Sonderung, Nachtheil, Unbestimmtheit u. dgl. m.?
Eine gewisse Verwandtschaft, oder wenigstens ein Parallelismus der Gegensätze, wird augenfällig, wenn man den Platon dem Aristoteles, den Augustinus dem Pelagius, die Realisten den Nominalisten gegenüberstellt. Man könnte behaupten, daß gewissermaaßen ein polares Auseinandertreten der menschlichen Denkweise hierin sich kund gäbe, – welches, höchst merkwürdigerweise, zum ersten Male und am entschiedensten sich in zwei sehr grossen Männern ausgesprochen hat, die zugleich und neben einander lebten.
§. 11. Bako von Verulam.
In einem anderen und specieller bestimmten Sinn, als der eben bezeichnete, war der ausdrückliche und absichtliche Gegensatz zum Aristoteles Bako von Verulam. Jener nämlich hatte zuvörderst die richtige Methode, um von allgemeinen Wahrheiten zu besondern zu gelangen, also den Weg abwärts, gründlich dargelegt: das ist die Syllogistik, das Organum Aristotelis. Dagegen zeigte Bako den Weg aufwärts, indem er die Methode, von besondern Wahrheiten zu allgemeinen zu gelangen, darlegte: dies ist die Induktion, im Gegensatz der Deduktion, und ihre Darstellung ist das novum organum, welcher Ausdruck, im Gegensatz zum Aristoteles gewählt, besagen soll: eine ganz andere Manier es anzugreifen. – Des Aristoteles, aber noch viel mehr der Aristoteliker Irrthum lag in der Voraussetzung, daß sie eigentlich schon alle Wahrheit besäßen, daß diese nämlich enthalten sei in ihren Axiomen, also in gewissen Sätzen a priori, oder die für solche gelten, und daß es, um die besonderen Wahrheiten zu gewinnen, bloß der Ableitung aus jenen bedürfe. Ein Aristotelisches Beispiel hievon gaben seine Bücher de coelo. Dagegen nun zeigte Bako mit Recht, daß jene Axiome solchen Gehalt gar nicht hätten, daß die Wahrheit noch gar nicht in dem damaligen System des menschlichen Wissens läge, vielmehr außerhalb, also nicht daraus zu entwickeln, sondern erst hineinzubringen wäre, und daß folglich erst durch Induktion allgemeine und wahre Sätze, von großem und reichem Inhalt, gewonnen werden müßten.
Die Scholastiker, an der Hand des Aristoteles, dachten: wir wollen zuvörderst das Allgemeine feststellen: das Besondere wird daraus fließen, oder mag überhaupt nachher darunter Platz finden, wie es kann. Wir wollen demnach zuvörderst ausmachen, was dem ens, dem Dinge überhaupt zukomme: das den einzelnen Dingen Eigenthümliche mag nachher allmälig, allenfalls auch durch die Erfahrung, herangebracht werden: am Allgemeinen kann Das nie etwas ändern. – Bako dagegen sagte: wir wollen zuvörderst die einzelnen Dinge so vollständig, wie nur immer möglich, kennen lernen: dann werden wir zuletzt erkennen, was das Ding überhaupt sei.
Inzwischen steht Bako dem Aristoteles darin nach, daß seine Methode zum Wege aufwärts keineswegs so regelrecht, sicher und unfehlbar ist, wie die des Aristoteles zum Wege abwärts. Ja, Bako selbst hat, bei seinen physikalischen Untersuchungen, die im neuen Organon gegebenen Regeln seiner Methode bei Seite gesetzt.
Bako war hauptsächlich auf Physik gerichtet. Was er für diese that, nämlich von vorne anfangen, das that, gleich darauf, für Metaphysik Kartesius.
§. 12. Die Philosophie der Neueren.
In den Rechenbüchern pflegt die Richtigkeit der Lösung eines Exempels sich durch das Aufgehen desselben, d. h. dadurch, daß kein Rest bleibt, kund zu geben. Mit der Lösung des Räthsels der Welt hat es ein ähnliches Bewandniß. Sämmtliche Systeme sind Rechnungen, die nicht aufgehn: sie lassen einen Rest, oder auch, wenn man ein chemisches Gleichniß vorzieht, einen unauflöslichen Niederschlag. Dieser besteht darin, daß, wenn man aus ihren Sätzen folgerecht weiter schließt, die Ergebnisse nicht zu der vorliegenden realen Welt passen, nicht mit ihr stimmen, vielmehr manche Seiten derselben dabei ganz unerklärlich bleiben. So z. B. stimmt zu den materialistischen Systemen, welche aus der mit bloß mechanischen Eigenschaften ausgestatteten Materie, und gemäß den Gesetzen derselben, die Welt entstehn lassen, nicht die durchgängige bewundrungswürdige Zweckmäßigkeit der Natur, noch das Daseyn der Erkenntniß, in welcher doch sogar jene Materie allererst sich darstellt. Dies also ist ihr Rest. – Mit den theistischen Systemen wiederum, nicht minder jedoch mit den pantheistischen sind die überwiegenden physischen Uebel und die moralische Verderbniß der Welt nicht in Uebereinstimmung zu bringen: diese also bleiben als Rest stehen, oder als unauflöslicher Niederschlag liegen. – Zwar ermangelt man in solchen Fällen nicht, dergleichen Reste mit Sophismen, nöthigenfalls auch mit bloßen Worten und Phrasen zuzudecken: allein auf die Länge hält das nicht Stich. Da wird dann wohl, weil doch das Exempel nicht aufgeht, nach einzelnen Rechnungsfehlern gesucht, bis man endlich sich gestehn muß, der Ansatz selbst sei falsch gewesen. Wenn hingegen die durchgängige Konsequenz und Zusammenstimmung aller Sätze eines Systems bei jedem Schritte begleitet ist von einer eben so durchgängigen Uebereinstimmung mit der Erfahrungswelt, ohne daß zwischen Beiden ein Mißklang je hörbar würde; – so ist Dies das Kriterium der Wahrheit desselben, das verlangte Aufgehn des Rechnungsexempels. Imgleichen, daß schon der Ansatz falsch gewesen sei, will sagen, daß man die Sache schon Anfangs nicht am rechten Ende angegriffen hatte, wodurch man nachher von Irrthum zu Irrthum geführt wurde. Denn es ist mit der Philosophie wie mit gar vielen Dingen: Alles kommt darauf an, daß man sie am rechten Ende angreife. Das zu erklärende Phänomen der Welt bietet nun aber unzählige Enden dar, von denen nur Eines das rechte seyn kann: es gleicht einem verschlungenen Fadengewirre, mit vielen daran hängenden, falschen Endfäden: nur wer den wirklichen herausfindet kann das Ganze entwirren. Dann aber entwickelt sich leicht Eines aus dem Andern, und daran wird kenntlich, daß es das rechte Ende gewesen sei. Auch einem Labyrinth kann man es vergleichen, welches hundert Eingänge darbietet, die in Korridore öffnen, welche alle, nach langen und vielfach verschlungenen Windungen, am Ende wieder hinausführen; mit Ausnahme eines einzigen, dessen Windungen wirklich zum Mittelpunkte leiten, woselbst das Idol steht. Hat man diesen Eingang getroffen, so wird man den Weg nicht verfehlen: durch keinen andern aber kann man je zum Ziele gelangen. – Ich verhehle nicht, der Meinung zu seyn, daß nur der Wille in uns das rechte Ende des Fadengewirres, der wahre Eingang des Labyrinthes, sei.
Kartesius hingegen ging, nach dem Vorgang der