Arthur Schopenhauer

Parerga und Paralipomena


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zwar der Einsicht in die wichtigsten, Allen angelegensten Verhältnisse: – Das ist die Philosophie. Oder versteht man es etwan anders? nun, dann ist Alles Spaaß und Komödie, – wie Das denn wohl zu Zeiten kommen mag. – Freilich nach den Kompendien der Kathederphilosophen zu urtheilen, sollte man eher denken, die Philosophie wäre eine Anleitung zur Frömmigkeit, ein Institut Kirchengänger zu bilden; da ja die spekulative Theologie meistens gleich unverholen als der wesentliche Zweck und Ziel der Sache vorausgesetzt und mit allen Segeln und Rudern nur darauf hingesteuert wird. Gewiß aber ist, daß alle und jede Glaubensartikel, sie mögen nun offen und unverholen in die Philosophie hineingetragen seyn, wie Dies in der Scholastik geschah, oder durch petitiones principii, falsche Axiome, erlogene innere Erkenntnißquellen, Gottesbewußtseyne, Scheinbeweise, hochtrabende Phrasen und Gallimathias eingeschwärzt werden, wie es heut zu Tage Brauch ist, der Philosophie zum entschiedenen Verderb gereichen; weil all Dergleichen die klare, unbefangene, rein objektive Auffassung der Welt und unsers Daseyns, diese erste Bedingung alles Forschens nach Wahrheit, unmöglich macht.

      Unter der Benennung und Firma der Philosophie und in fremdartigem Gewande die Grunddogmen der Landesreligion, welche man alsdann, mit einem Hegel’s würdigen Ausdruck, die absolute Religion titulirt, vortragen, mag eine recht nützliche Sache seyn; sofern es dient, die Studenten den Zwecken des Staates besser anzupassen, imgleichen auch das lesende Publikum im Glauben zu befestigen: aber Dergleichen für Philosophie ausgeben heißt denn doch eine Sache für Das verkaufen, was sie nicht ist. Wenn Dies und alles Obige seinen ungestörten Fortgang behält, muß mehr und mehr die Universitätsphilosophie zu einer remora der Wahrheit werden. Denn es ist um alle Philosophie geschehn, wenn zum Maaßstab ihrer Beurtheilung oder gar zur Richtschnur ihrer Sätze, etwas Anderes genommen wird, als ganz allein die Wahrheit, die, selbst bei aller Redlichkeit des Forschens und aller Anstrengung der überlegensten Geisteskraft, so schwer zu erreichende Wahrheit: es führt dahin, daß sie zu einer blossen fable convenue wird, wie Fontenelle die Geschichte nennt. Nie wird man in der Lösung der Probleme, welche unser so unendlich räthselhaftes Daseyn uns von allen Seiten entgegenhält, auch nur einen Schritt weiter kommen, wenn man nach einem vorgesteckten Ziele philosophirt. Daß aber Dies der generische Charakter der verschiedenen Species jetziger Universitätsphilosophie sei, wird wohl Niemand leugnen: denn nur zu sichtbar kollimiren alle ihre Systeme und Sätze nach Einem Zielpunkt.

      Dieser ist zudem nicht ein Mal das eigentliche, das neutestamentliche Christenthum, oder der Geist desselben, als welcher ihnen zu hoch, zu ätherisch, zu excentrisch, zu sehr nicht von dieser Welt, daher zu pessimistisch und hiedurch zur Apotheose des Staats ganz ungeeignet ist; sondern es ist bloß das Judenthum, die Lehre, daß die Welt ihr Daseyn von einem höchst vortrefflichen, persönlichen Wesen habe, daher auch ein allerliebstes Ding und παντα καλα λιαν sei. Dies ist ihnen aller Weisheit Kern, und dahin soll die Philosophie führen, oder, sträubt sie sich, geführt werden. Daher denn auch der Krieg, den, seit dem Sturz der Hegelei, alle Professoren gegen den sogenannten Pantheismus führen, in dessen Perhorrescirung sie wetteifern, einmüthig den Stab über ihn brechend. Ist etwa dieser Eifer aus der Entdeckung triftiger und schlagender Gründe gegen denselben entsprungen? Oder sieht man nicht vielmehr, mit welcher Rathlosigkeit und Angst sie nach Gründen gegen jenen in ursprünglicher Kraft ruhig dastehenden und sie belächelnden Gegner suchen? kann man daher noch bezweifeln, daß bloß die Inkompatibilität jener Lehre mit der absoluten Religion es ist, warum sie nicht wahr seyn soll, nicht soll, und wenn die ganze Natur sie mit tausend und aber tausend Kehlen verkündigte. Die Natur soll schweigen, damit das Judenthum spreche. Wenn nun ferner, neben der absoluten Religion, noch irgend etwas bei ihnen Berücksichtigung findet; so versteht es sich, daß es die sonstigen Wünsche eines hohen Ministeriums, bei dem die Macht Professuren zu geben und zu nehmen ist, seyn werden. Ist doch dasselbe die Muse, welche sie begeistert und ihren Lukubrationen vorsteht, daher wohl auch am Eingange, in Form einer Dedikation, ordentlich angerufen wird. Das sind mir die Leute, die Wahrheit aus dem Brunnen zu ziehn, den Schleier des Truges zu zerreißen und aller Verfinsterung Hohn zu sprechen.

      Zu keinem Lehrfache wären, der Natur der Sache nach, so entschieden Leute von überwiegenden Fähigkeiten und durchdrungen von Liebe zur Wissenschaft und Eifer für die Wahrheit erfordert, als da, wo die Resultate der höchsten Anstrengungen des menschlichen Geistes, in der wichtigsten aller Angelegenheiten, der Blüthe einer neuen Generation, im lebendigen Worte, übergeben, ja, der Geist der Forschung in ihr erweckt werden soll. Andrerseits aber wieder halten die Ministerien dafür, daß kein Lehrfach auf die innerste Gesinnung der künftigen gelehrten, also den Staat und die Gesellschaft eigentlich lenkenden Klasse so viel Einfluß habe, wie gerade dieses; daher es nur mit den allerdevotesten, ihre Lehre gänzlich nach dem Willen und jedesmaligen Ansichten des Ministeriums zuschneidenden Männern besetzt werden darf. Natürlich ist es dann die erstere dieser beiden Anforderungen, welche zurückstehn muß. Wer nun aber mit diesem Stande der Dinge nicht bekannt ist, dem kann es zu Zeiten vorkommen, als ob seltsamerweise gerade die entschiedensten Schaafsköpfe sich der Wissenschaft des Platon und Aristoteles gewidmet hätten.

      Ich kann hier nicht die beiläufige Bemerkung unterdrücken, daß eine sehr nachtheilige Vorschule zur Professur der Philosophie die Hauslehrerstellen sind, welche beinahe Alle, die jemals jene bekleideten, nach ihren Universitätsstudien, mehrere Jahre hindurch versehen haben. Denn solche Stellen sind eine rechte Schule der Unterwürfigkeit und Fügsamkeit. Besonders wird man darin gewohnt, seine Lehren ganz und gar dem Willen des Brodherrn zu unterwerfen und keine anderen, als dessen Zwecke zu kennen. Diese, früh angenommene Gewohnheit wurzelt ein und wird zur zweiten Natur; so daß man nachher, als Philosophieprofessor, nichts natürlicher findet, als auch die Philosophie eben so den Wünschen des die Professuren besetzenden Ministeriums gemäß zuzuschneiden und zu modeln; woraus denn am Ende philosophische Ansichten, oder gar Systeme, wie auf Bestellung gemacht, hervorgehn. Da hat die Wahrheit schönes Spiel! – Hier stellt sich freilich heraus, daß nun dieser unbedingt zu huldigen, um wirklich zu philosophiren, zu so vielen Bedingungen fast unumgänglich auch noch diese kommt, daß man auf eigenen Beinen stehe und keinen Herrn kenne, wonach denn das δος μοι που στω in gewissem Sinne auch hier gälte.

      Wenigstens haben die allermeisten von Denen, die je etwas Großes in der Philosophie leisteten, sich in diesem Falle befunden. Spinoza war sich der Sache so deutlich bewußt, daß er die ihm angetragene Professur gerade deshalb ausschlug.

      ΄Ημισυ γαρ τ΄αρετης αποαινυται ευρυοπα Ζευς

      Ανερος, ευτ΄ αν μιν κατα δουλιον ήμαρ έλησιν.

      Das wirkliche Philosophiren verlangt Unabhängigkeit.

      Πας γαρ ανης πενιη δεδμημενος ουτε τι ειπειν,

      Ουθ΄ έρξαι δυναται, λγωσσα δε οί δεδεται.

      Theogn.

      Auch in Sadis Gulistan wird gesagt, daß wer Nahrungssorgen hat nichts leisten kann. (S. Sadi’s Gulistan übers. von Graf. Leipzig 1846, S. 185.) Dafür jedoch ist der ächte Philosoph, seiner Natur nach, ein genügsames Wesen und bedarf nicht viel, um unabhängig zu leben: denn allemal wird sein Wahlspruch Shenstone’s Satz seyn: liberty is a more invigorating cordial than Tokay. (Freiheit ist eine kräftigere Herzstärkung, als Tokayer.)

      Wenn nun also es sich bei der Sache um nichts Anderes handelte, als um die Förderung der Philosophie und das Vordringen auf dem Wege zur Wahrheit; so würde ich als das Beste empfehlen, daß man die Spiegelfechterei, welche damit auf den Universitäten getrieben wird, einstellte. Denn diese sind wahrlich nicht der Ort für ernstlich und redlich gemeinte Philosophie, deren Stelle dort nur zu oft eine in ihre Kleider gesteckte und aufgeputzte Drahtpuppe einnehmen und als ein nervis alienis mobile lignum paradiren und gestikuliren muß. Wenn nun aber gar eine solche Kathederphilosophie noch durch unverständliche, gehirnbetäubende Phrasen, neugeschaffene