Arthur Schopenhauer

Parerga und Paralipomena


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entsprungen seyn muß, andrerseits (wie ich in meinem Hauptwerke Bd. 2, Kap. 43 dargethan habe) als das nothwendige Resultat des moralischen Charakters des Vaters, der intellektuellen Fähigkeit der Mutter und der gesammten Korporisation Beider sich ergiebt; die Verbindung dieser Eltern nun aber, in der Regel, durch augenscheinlich zufällige Umstände herbeigeführt worden ist. Hier also drängt sich uns die Forderung, oder das metaphysisch-moralische Postulat, einer letzten Einheit der Nothwendigkeit und Zufälligkeit unwiderstehlich auf.

      Von dieser einheitlichen Wurzel Beider einen deutlichen Begriff zu erlangen, halte ich jedoch für unmöglich: nur so viel läßt sich sagen, daß sie zugleich Das wäre, was die Alten Schicksal, ειμαρμενη, πεπρωμενη, fatum nannten, Das, was sie unter dem leitenden Genius jedes Einzelnen verstanden, nicht minder aber auch Das, was die Christen als Vorsehung, προνοια, verehren. Diese Drei unterscheiden sich zwar dadurch, daß das Fatum blind, die beiden Andern sehend gedacht werden: aber dieser anthropomorphistische Unterschied fällt weg und verliert alle Bedeutung bei dem tiefinnern, metaphysischen Wesen der Dinge, in welchem allein wir die Wurzel jener unerklärlichen Einheit des Zufälligen mit dem Nothwendigen, welche sich als der geheime Lenker aller menschlichen Dinge darstellt, zu suchen haben.

      Die Vorstellung von dem, jedem Einzelnen beigegebenen und seinem Lebenslaufe vorstehenden Genius soll Hetrurischen Ursprungs seyn, war inzwischen bei den Alten allgemein verbreitet. Das Wesentliche derselben enthält ein Vers des Menander, den Plutarch (de tranq. an. C. 15, auch Stob. Ecl. L. I, c. 6. §. 4 und Clem. Alex., Strom. L. V, c. 14) uns aufbehalten hat:

      ΄Απαντι δαιμων ανδρι συμπαραστατει

      Ευθυς γενομενω, μυσταγωγος του βιου

      Αγαθος.

      (hominem unumquemque, simul in lucem est editus, sectatur Genius, vitae qui auspicium facit, bonus nimirum). Platon, am Schlusse der Republik, beschreibt, wie jede Seele, vor ihrer abermaligen Wiedergeburt, sich ein Lebensloos, mit der ihm angemessenen Persönlichkeit, wählt, und sagt sodann: ΄Επειδη δ΄ουν πασας τας φυχας τους βιους ηρησθαι, ωσπερ ελαχον, εν ταξει προςιεναι προς την Δαχεσιν εκεινην δ΄ εκαστω ον ειλετο δαιμονα, τουτον φυλακα ξυμπεμπειν του βιου και αποπληρωτην των αιρεθεντων. (L. X, 621.) Ueber diese Stelle hat einen höchst lesenswerthen Kommentar Porphyrius geliefert und Stobäos denselben uns erhalten, in Ecl. eth. L. II, c. 8, §. 37. Platon hatte aber vorher (618), in Beziehung hierauf, gesagt: ουχ υμας δαιμων ληξεται, αλλ΄ υμεις δαιμονα αιρησεσθε. πρωτος δε ο λαχων (das Loos, was bloß die Ordnung der Wahl bestimmt) πρωτος αιρεισθω βιον, ω συνεσται εξ αναλκης. – Sehr schön drückt die Sache Horaz aus:

      Scit Genius, natale comes qui temperat astrum,

      Naturae deus humanae, mortalis in unum.

      Quodque caput, vultu mutabilis, albus et ater.

      (II. epist. 2, 187.)

      Eine gar lesenswerthe Stelle über diesen Genius findet man im Apulejus, de deo Socratis S. 236, 38 Bip. Ein kurzes, aber bedeutendes Kapitel darüber hat Jamblichus de mysteriis Aegypt. Sect. IX, c. 6, de proprio daemone. Aber noch merkwürdiger ist die Stelle des Proklos in seinem Kommentar zum Alkibiades des Platon S. 77 ed. Creuzer: ο γαρ πασαν ημων την ζωην ιθυνων και τας τε αιρεσεις ημων αποπληρων, τας προ της γενεσεως, και τας της ειμαρμενης δοσεις και των μοιρηγενετων θεων, ετι δε τας εκ της προνοιας ελλαμφεις χορηγων και παραμετρων, ουτος ο δαιμων εστι. κ. τ. λ. Ueberaus tiefsinnig hat den selben Gedanken Theophrastus Paracelsus gefaßt, da er sagt: Damit aber das Fatum wohl erkannt werde, ist es also, daß jeglicher Mensch einen Geist hat, der außerhalb ihm wohnt und setzt seinen Stuhl in die obern Sterne. Derselbige gebraucht die Bossen31 seines Meisters: derselbige ist der, der da die praesagia demselben vorzeigt und nachzeigt: denn sie bleiben nach diesem. Diese Geister heißen Fatum. (Theophr. Werke Straßb. 1603. Fol. Bd. 2. S. 36.) Beachtenswerth ist es, daß eben dieser Gedanke schon beim Plutarch zu finden ist, da er sagt, daß außer dem in den irdischen Leib versenkten Theil der Seele ein andrer, reinerer Theil derselben außerhalb über dem Haupte des Menschen schwebend bleibt, als ein Stern sich darstellend und mit Recht sein Dämon, Genius, genannt wird, welcher ihn leitet und dem der Weisere willig folgt.

      Die Stelle ist zum Hersetzen zu lang, sie steht de genio Socratis c. 22. Die Hauptphrase ist: το μεν ουν υποβρυχιον εν τω σωματι φερομενον Φυχη λεγεται το δε φθορας λειφθεν, οι πολλοι Νουν καλουντες, εντος ειναι νομιζουσιν αυτων οι δε ορθως υπονοουντες, ως εκτος οντα, Δαιμονα προςαλορευουσι. Beiläufig bemerke ich, daß das Christenthum, welches bekanntlich die Götter und Dämonen aller Heiden gern in Teufel verwandelte, aus diesem Genius der Alten den spiritus familiaris der Gelehrten und Magiker gemacht zu haben scheint. – Die Christliche Vorstellung von der Providenz ist zu bekannt, als daß es nöthig wäre, dabei zu verweilen. —

      Alles Dieses sind jedoch nur bildliche, allegorische Auffassungen der in Rede stehenden Sache; wie es denn überhaupt uns nicht vergönnt ist, die tiefsten und verborgensten Wahrheiten anders, als im Bilde und Gleichniß zu erfassen.

      In Wahrheit jedoch kann jene verborgene und sogar die äußern Einflüsse lenkende Macht ihre Wurzel zuletzt doch nur in unserm eigenen, geheimnißvollen Innern haben; da ja das Α und Ω alles Daseyns zuletzt in uns selbst liegt. Allein auch nur die bloße Möglichkeit hievon werden wir, selbst im glücklichsten Falle, wieder nur mittelst Analogien und Gleichnisse, einigermaaßen und aus großer Ferne absehn können.

      Die nächste Analogie nun also mit dem Walten jener Macht zeigt uns die Teleologie der Natur, indem sie das Zweckmäßige, als ohne Erkenntniß des Zweckes eintretend, darbietet, zumal da, wo die äußere, d. h. die zwischen verschiedenen, ja verschiedenartigen, Wesen und sogar im Unorganischen Statt findende Zweckmäßigkeit hervortritt; wie denn ein frappantes Beispiel dieser Art das Treibholz giebt, indem es gerade den baumlosen Polarländern vom Meere reichlich zugeführt wird; und ein anderes der Umstand, daß das Festland unsers Planeten ganz nach dem Nordpol hingedrängt liegt, dessen Winter, aus astronomischen Gründen, acht Tage kürzer und dadurch wieder viel milder ist, als der des Südpols. Jedoch auch die innere, im abgeschlossenen Organismus sich unzweideutig kund gebende Zweckmäßigkeit, die solche vermittelnde, überraschende Zusammenstimmung der Technik der Natur mit ihrem bloßen Mechanismus oder des nexus finalis mit dem nexus effectivus, (hinsichtlich welcher ich auf mein Hauptwerk Bd. 2, Kap. 29, S. 334—339 [3. Aufl. 379 fg.] verweise) läßt uns analogisch absehn, wie das, von verschiedenen, ja weit entlegenen Punkten Ausgehende und sich anscheinend Fremde doch zum letzten Endzweck konspirirt und daselbst richtig zusammentrifft, nicht durch Erkenntniß geleitet, sondern vermöge einer aller Möglichkeit der Erkenntniß vorhergängigen Nothwendigkeit höherer Art.

      – Ferner, wenn man die von Kant und später die von Laplace aufgestellte Theorie