Arthur Schopenhauer

Parerga und Paralipomena


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dann, wann er, unsrer eigenen Einsicht zuwider, ja, auf von uns verabscheuten Wegen, uns zu einem beglückenden Ziele hingeführt hat; wo wir alsdann sagen tunc bene navigavi, cum naufragium feci, und der Gegensatz zwischen Wahl und Führung ganz unverkennbar, zugleich aber zum Vortheil der letzteren, fühlbar wird. Eben dieserhalb trösten wir, bei widrigen Zufällen, uns auch wohl mit dem oft bewährten Sprüchlein wer weiß wozu es gut ist, – welches eigentlich aus der Einsicht entsprungen ist, daß, obwohl der Zufall die Welt beherrscht, er doch den Irrthum zum Mitregenten hat und, weil wir Diesem, eben so sehr als Jenem, unterworfen sind, vielleicht eben Das ein Glück ist, was uns jetzt als ein Unglück erscheint. So fliehen wir dann von den Streichen des einen Welttyrannen zum andern, indem wir vom Zufall an den Irrthum appelliren.

      Hievon jedoch abgesehn, ist, dem bloßen, reinen, offenbaren Zufall eine Absicht unterzulegen, ein Gedanke, der an Verwegenheit seines Gleichen sucht. Dennoch glaube ich, daß Jeder, wenigstens Ein Mal in seinem Leben, ihn lebhaft gefaßt hat. Auch findet man ihn bei allen Völkern und neben allen Glaubenslehren; wiewohl am entschiedensten bei den Mohammedanern. Es ist ein Gedanke, der, je nachdem man ihn versteht, der absurdeste, oder der tiefsinnigste seyn kann. Gegen die Beispiele inzwischen, wodurch man ihn belegen möchte, bleibt, so frappant sie auch bisweilen seyn mögen, die stehende Einrede diese, daß es das größte Wunder wäre, wenn niemals ein Zufall unsere Angelegenheiten gut, ja, selbst besser besorgte, als unser Verstand und unsere Einsicht es vermocht hätten.

      Daß Alles, ohne Ausnahme, was geschieht, mit strenger Nothwendigkeit eintritt, ist eine a priori einzusehende, folglich unumstößliche Wahrheit: ich will sie hier den demonstrablen Fatalismus nennen. In meiner Preisschrift über die Freiheit des Willens ergiebt sie sich (S. 62; 2. Aufl S. 60) als das Resultat aller vorhergegangenen Untersuchungen. Sie wird empirisch und a posteriori bestätigt, durch die nicht mehr zweifelhafte Thatsache, daß magnetische Somnambule, daß mit dem zweiten Gesichte begabte Menschen, ja, daß bisweilen die Träume des gewöhnlichen Schlafs, das Zukünftige geradezu und genau vorher verkünden28. Am auffallendesten ist diese empirische Bestätigung meiner Theorie der strengen Nothwendigkeit alles Geschehenden beim zweiten Gesicht. Denn das vermöge desselben, oft lange vorher Verkündete sehn wir nachmals, ganz genau und mit allen Nebenumständen, wie sie angegeben waren, eintreten, sogar dann, wann man sich absichtlich und auf alle Weise bemüht hatte, es zu hintertreiben, oder die eintreffende Begebenheit, wenigstens in irgend einem Nebenumstande, von der mitgetheilten Vision abweichen zu machen; welches stets vergeblich gewesen ist; indem dann gerade Das, welches das vorher Verkündete vereiteln sollte, allemal es herbeizuführen gedient hat; gerade so, wie sowohl in den Tragödien, als in der Geschichte der Alten, das von Orakeln oder Träumen verkündigte Unheil eben durch die Vorkehrungsmittel dagegen herbeigezogen wird.

      Als Beispiele hievon nenne ich, aus so vielen, bloß den König Oedipus und die schöne Geschichte vom Krösos mit dem Adrastos im ersten Buche des Herodot, c. 35—43. Die diesen entsprechenden Fälle beim zweiten Gesicht findet man, von dem grundehrlichen Bende Bendsen mitgetheilt, im 3ten Hefte des achten Bandes des Archivs für thierischen Magnetismus von Kiefer (besonders Beisp. 4, 12, 14, 16); wie einen in Jung Stillings Theorie der Geisterkunde §. 155. Wäre nun die Gabe des zweiten Gesichts so häufig, wie sie selten ist; so würden unzählige Vorfälle, vorherverkündet, genau eintreffen und der unleugbare faktische Beweis der strengen Nothwendigkeit alles und jedes Geschehenden, Jedem zugänglich, allgemein vorliegen. Dann würde kein Zweifel mehr darüber bleiben, daß, so sehr auch der Lauf der Dinge sich als rein zufällig darstellt, er es im Grunde doch nicht ist, vielmehr alle diese Zufälle selbst, τα εικη φερομενα, von einer, tief verborgenen Nothwendigkeit, ειμαρμενη, umfaßt werden, deren bloßes Werkzeug der Zufall selbst ist. In diese einen Blick zu thun, ist von jeher das Bestreben aller Mantik gewesen. Aus der in Erinnerung gebrachten, thatsächlichen Mantik nun aber folgt eigentlich nicht bloß, daß alle Begebenheiten mit vollständiger Nothwendigkeit eintreten; sondern auch, daß sie irgendwie schon zum Voraus bestimmt und objektiv festgestellt sind, indem sie ja dem Seherauge als ein Gegenwärtiges sich darstellen: indessen ließe sich dieses allenfalls noch auf die bloße Nothwendigkeit ihres Eintritts in Folge des Verlaufs der Kausalkette zurückführen.

      Jedenfalls aber ist die Einsicht, oder vielmehr die Ansicht, daß jene Nothwendigkeit alles Geschehenden keine blinde sei, also der Glaube an einen eben so planmäßigen, wie nothwendigen Hergang in unserm Lebenslauf, ein Fatalismus höherer Art, der jedoch nicht, wie der einfache, sich demonstriren läßt, auf welchen aber dennoch vielleicht Jeder, früher oder später, ein Mal geräth und ihn, nach Maaßgabe seiner Denkungsart, eine Zeit lang, oder auf immer festhält. Wir können denselben, zum Unterschiede von dem gewöhnlichen und demonstrabeln, den transscendenten Fatalismus nennen. Er stammt nicht, wie jener, aus einer eigentlich theoretischen Erkenntniß, noch aus der zu dieser nöthigen Untersuchung, als zu welcher Wenige befähigt seyn würden; sondern er setzt sich aus den Erfahrungen des eigenen Lebenslaufs allmälig ab. Unter diesen nämlich machen sich Jedem gewisse Vorgänge bemerklich, welche einerseits, vermöge ihrer besondern und großen Zweckmäßigkeit für ihn, den Stempel einer moralischen, oder innern Nothwendigkeit, andrerseits jedoch den der äußern, gänzlichen Zufälligkeit deutlich ausgeprägt an sich tragen. Das öftere Vorkommen derselben führt allmälig zu der Ansicht, die oft zur Ueberzeugung wird, daß der Lebenslauf des Einzelnen, so verworren er auch scheinen mag, ein in sich übereinstimmendes, bestimmte Tendenz und belehrenden Sinn habendes Ganzes sei, so gut wie das durchdachteste Epos29. Die durch denselben ihm ertheilte Belehrung nun aber bezöge sich allein auf seinen individuellen Willen, – welcher, im letzten Grunde, sein individueller Irrthum ist. Denn nicht in der Weltgeschichte, wie die Professorenphilosophie es wähnt, ist Plan und Ganzheit, sondern im Leben des Einzelnen. Die Völker existiren ja bloß in abstracto: die Einzelnen sind das Reale.

      Daher ist die Weltgeschichte ohne direkte metaphysische Bedeutung: sie ist eigentlich bloß eine zufällige Konfiguration: ich erinnere hier an Das was ich, Welt als W. und V. Bd. l. §. 35, darüber gesagt habe. – Also in Hinsicht auf das eigene individuelle Schicksal erwächst in Vielen jener transscendente Fatalismus, zu welchem die aufmerksame Betrachtung des eigenen Lebens, nachdem sein Faden zu einer beträchtlichen Länge ausgesponnen worden, vielleicht Jedem ein Mal Anlaß giebt, und der nicht nur viel Trostreiches, sondern vielleicht auch viel Wahres hat; daher er zu allen Zeiten, sogar als Dogma, behauptet worden30. Als völlig unbefangen verdient das Zeugniß eines erfahrenen Welt-und Hofmannes, und dazu in einem Nestorischen Alter abgelegt, hier angeführt zu werden, nämlich das des neunzigjährigen Knebel, der in einem Briefe sagt: Man wird, bei genauer Beobachtung, finden, daß in dem Leben der meisten Menschen sich ein gewisser Plan findet, der, durch die eigene Natur, oder durch die Umstände, die sie führen, ihnen gleichsam vorgezeichnet ist. Die Zustände ihres Lebens mögen noch so abwechselnd und veränderlich seyn, es zeigt sich doch am Ende ein Ganzes, das unter sich eine gewisse Uebereinstimmung bemerken läßt. – — – — Die Hand eines bestimmten Schicksals, so verborgen sie auch wirken mag, zeigt sich auch genau, sie mag nun durch äußere Wirkung, oder innere Regung bewegt seyn: ja, widersprechende Gründe bewegen sich oftmals in ihrer Richtung. So verwirrt der Lauf ist, so zeigt sich immer Grund und Richtung durch. (Knebel’s litterarischer Nachlaß. 2. Aufl. 1840. Bd. 3. S. 452.)

      Die hier ausgesprochene Planmäßigkeit im Lebenslauf eines Jeden läßt sich nun zwar zum Theil aus der Unveränderlichkeit und starren Konsequenz des angebornen Charakters erklären, als welche den Menschen immer in das selbe Gleis zurückbringt. Was diesem Charakter eines Jeden das Angemessenste ist erkennt er so unmittelbar und sicher, daß er, in der Regel, es gar nicht in das deutliche, reflektirte Bewußtseyn aufnimmt, sondern unmittelbar und wie instinktmäßig danach handelt. Diese Art von Erkenntniß ist insofern, als sie ins Handeln übergeht, ohne ins deutliche Bewußtseyn gekommen zu seyn, den reflex motions des Marshal Hall zu vergleichen. Vermöge derselben verfolgt und ergreift Jeder, dem nicht, entweder von außen, oder von seinen eigenen falschen Begriffen und Vorurtheilen, Gewalt geschieht, das ihm individuell Angemessene, auch ohne sich darüber Rechenschaft geben zu können; wie die im Sande, von der Sonne bebrütete und aus dem Ei gekrochene Schildkröte, auch ohne das Wasser erblicken