ihn auf! Dann weißt du es!« Manfred war so gespannt darauf, wie seine Überraschung ankommen würde, dass er aufgeregt auf dem Stuhl hin und her rutschte.
Ricarda tat ihm den Gefallen und zog eine Karte heraus. Auf der Vorderseite war ein Haus abgebildet, das sie nur zu gut kannte.
»Das ist doch das Berghotel Kristall!« Sie klappte die Karte auf. »Eine Woche Aufenthalt in der Junior-Suite inklusive Verwöhnprogramm und Vital-Halbpension mit Produkten aus der Region.«
Manfred hielt es nicht länger aus.
»Ich hab mir gedacht, dass wir uns endlich mal wieder was gönnen sollten. Immer nur arbeiten von früh bis spät … Das kann doch nicht das ganze Leben sein«, erklärte er euphorisch.
»Du bist so lieb«, schluchzte Ricarda auf. Jetzt war es endgültig um ihre Selbstbeherrschung geschehen. »Schon allein deswegen muss ich wieder gesund werden.« Sie fiel ihrem Mann in die Arme und weinte bitterlich an seiner Brust.
Manfred spürte ihre heißen Tränen, die sein Hemd durchweichten. Doch er achtete nicht darauf.
»Aber was ist denn, mein Schatz? Freust du dich nicht?«, erkundigte er sich zutiefst verunsichert.
Ricarda lachte unter Tränen.
»Natürlich. Warum denkst du denn, dass ich weine?«
Manfred atmete auf. Einen kurzen Moment hatte er Angst gehabt.
»Weißt du, ich habe mir heute Nacht viele Gedanken gemacht«, begann er, von seinen schlaflosen Stunden zu erzählen. »Wir verbringen so viel Zeit mit unserer Arbeit und haben auch zu Hause immer so viel zu tun, dass wir darüber oft die wichtigen Dinge des Lebens vergessen.« Wie ein Baby schaukelte er Ricarda sanft in seinen Armen. Die beruhigte sich zusehends. Das Schluchzen wurde leiser, das Zucken ihrer Schultern weniger. »Als wir zwei uns kennengelernt haben, wollte ich jede Sekunde mit dir genießen. Stattdessen sind wir unbemerkt im Alltag gelandet wie alle anderen auch. Damit ist jetzt Schluss! Deine Krankheit soll nicht sinnlos gewesen sein.«
Obwohl Angst und Sorge sie fast zu Boden drückten, breitete sich ein tiefes Lächeln auf Ricardas Gesicht aus.
»Ich hatte nie das Gefühl von Alltag mit dir«, raunte sie ihm ins Ohr, ehe sie, erschöpft von der Anstrengung des Gesprächs, zurück in das Kissen sank und gleich darauf eingeschlafen war.
*
»Ärztin und Mutter von fünf Kindern? Das ist ja rattenscharf!«, lobte April und steckte das letzte Stück Brötchen in den Mund, während sie ihre Hand schon wieder nach dem Brotkorb ausstreckte.
Felix nutzte die Gelegenheit, um sie ausgiebig zu mustern. Bei Tageslicht wirkte ihre Kleidung schäbig und abgetragen. Sie trug noch immer die Kleider vom vergangenen Abend. Nur den Hut hatte sie neben sich auf den Tisch gelegt. Fee fror, wenn sie das dünne Mädchen nur ansah. Wenigstens hatte sie einen Poncho über die fadenscheinige Folklorebluse geworfen, der aber nicht danach aussah, als ob er wirklich vor der Kälte schützen konnte. Dafür war ihr Strahlen umso wärmender.
»Ich hab noch nie so gute Brötchen gegessen«, erklärte sie und schnupperte an dem Gebäck.
»Und ich noch nie so ein hungriges Mädchen«, platzte Felix heraus. Er schämte sich zutiefst für Aprils Benehmen. Zu seiner Erleichterung lächelte Fee nur dazu.
»Ich hab auch schon ewig nichts mehr gegessen«, gestand April. Sie ignorierte die Vorlegegabeln und stapelte Käsescheiben auf ihrem Teller. »Dachte eigentlich, dass es auf der Silvesterparty was Anständiges gibt. Das war ein Grund, warum ich überhaupt gekommen bin. Aber nada, nichts. Nur ein paar Chips und Salzstangen. Davon wird doch kein Schwein satt.« Statt die Semmel ordentlich aufzuschneiden, brach sie sie kurzerhand auseinander, bestrich die Bruchstelle dick mit Butter, legte eine Käsescheibe oben drauf und schob alles zusammen in den Mund. Im selben Atemzug griff sie nach der Kaffeetasse, nahm einen ordentlichen Schluck und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen.
»Wir haben auch Servietten«, bemerkte Felix säuerlich und reichte ihr den Serviettenhalter.
»Schon okay, brauch ich ni…« Als sie Fees amüsierten Blick bemerkte, stockte April. »Ähm, danke.« Brav betupfte sie sich den Mund, zerknüllte die Serviette und stopfte sie unter den Teller.
Um ein Haar wäre Felicitas in lautes Lachen ausgebrochen. Felix dagegen verdrehte die Augen. Eine Weile sahen die beiden April zu, wie sie gierig ihren Hunger stillte. Allmählich schien sie satt zu werden. Darauf hatte Felix nur gewartet. Es war an der Zeit, ein paar Fragen zu stellen.
»Du kanntest die Leute auf der Party gar nicht?«
April schüttelte den Kopf, dass die langen, unordentlich gewellten Haare hin und her flogen. Als sie lachte, strahlten ihre Zähne wie an einem Faden aufgereihte Perlen auf. Ihre grüngrauen Augen strahlten mit ihrem großen Mund um die Wette. Das war der Moment, in dem Felicitas Norden sich in das Mädchen verliebte. Aprils Natürlichkeit war ebenso bestechend wie ihr Benehmen befremdlich. Diese Mischung machte sie unwiderstehlich.
»Nö. Ich hab ein paar Mädchen in der Trambahn zugehört, wie sie über die Fete gequatscht haben, was sie anziehen wollen und so. Weil da doch dieser wahnsinnig geile Typ kommen sollte. Felix Norden.« Sie setzte eine gewichtige Miene auf und legte den Zeigefinger ans Kinn. »Intelligent, witzig, charmant, gut aussehend«, zählte sie so ernsthaft auf, dass Fee fast platzte vor unterdrücktem Lachen. April bemerkte es und gab ihre Pose auf. »Na ja, da dachte ich, diesen Superman muss ich auch kennenlernen. Aber wen treffe ich?« Sie seufzte theatralisch. »Eine stinklangweilige Spaßbremse, die nach seiner Mami heult.« Sie schickte Felicitas ein freundliches Lächeln. »Was ich jetzt natürlich verstehen kann. Du bist der Knaller, Frau Mama-Doktor.«
Felix stand der Mund offen. Er wünschte sich nichts sehnliche, als ein Loch im Erdboden, in das er verschwinden konnte.
»Vielen Dank.« Fee dagegen machte keinen Hehl daraus, dass sie sich über dieses Kompliment freute. »Aber was ist denn mit deiner Familie? Wo kommst du überhaupt her?«
April streckte die Hand nach den Orangenspalten aus und stopfte ein paar davon in den Mund. Der Saft lief ihr aus dem Mundwinkel.
»Auf Norddeuffland«, nuschelte sie. Schon wollte sie sich wieder mit dem Handrücken über den Mund wischen, als sie sich an die Lektion von vorhin erinnert. Sie zog die zerknüllte Serviette unter dem Tellerrand hervor. »Meine Mutter hatte vor ein paar Monaten die Schnauze voll vom Muttersein und ist mit einem Kerl durchgebrannt. Mein Erzeuger ist ein Alki. Den hat es noch nie gekümmert, was mit mir los ist«, erklärte April lakonisch, während ihre hungrigen Augen über Käseteller, Brötchenkorb, Obstplatte und Joghurt wanderten und schließlich den Marmorkuchen vom Vortag ins Visier nahmen. Wieder streckte sie ihre Hand aus und zog zielstrebig das größte Stück heraus. Gierig biss sie hinein, während Mutter und Sohn noch mit ihrer Bestürzung kämpften. Unwillkürlich musste Felix wieder an seine Unterstellung vom vergangenen Abend denken, als er April eine Alkoholikerin genannt hatte. Jetzt wusste er, dass ein paar Schlucke Sekt auf nüchternen Magen schon genügt hatten, um sie betrunken zu machen. Am liebsten hätte er sich selbst geohrfeigt. »Dieser Kuchen ist der Hammer!«, seufzte sie glücklich in die Stille hinein.
»Dann bist du ganz allein unterwegs?«, fragte Felix schließlich.
Mit übertriebenen Bewegungen sah April von links nach rechts. Sie bückte sich sogar, um einen Blick unter ihren Stuhl zu werfen.
»Klar. Oder siehst du hier noch jemanden?« Sein Gesicht brachte sie zum Lachen. Es klang klang wie ein Wiehern und Schnauben, und um ein Haar wäre sie vom Stuhl gefallen.
»Vorsicht.« In letzter Sekunde hielt Fee sie fest. »Warum bist du überhaupt zu Felix ins Auto gestiegen, wenn er doch so eine Spaßbremse war, wie du sagst?«, fragte sie, als sich das Mädchen erholt und die Lachtränen aus den Augen gewischt hatte.
»Ich wollte unbedingt rausfinden, ob seine tolle Familie genauso banane ist wie er.«
»Banane?« Verständnislos zog Fee eine Augenbraue hoch.
»Daneben,