Patricia Vandenberg

Dr. Norden Staffel 8 – Arztroman


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wann so bescheiden, Herr Kürschner?«, fragte sie ihn herausfordernd.

      »Ich? Bescheiden?« Er lachte dicht an ihren Lippen. »Wärst du dann die Frau an meiner Seite?« Ungeachtet der anderen Gäste im Raum und obwohl er wusste, dass Jenny körperliche Liebesbekundungen in der Öffentlichkeit nicht gerade schätzte, ließ er seinen Worten einen leidenschaftlichen Kuss folgen. Und sie war klug genug, um sich nicht dagegen zu wehren.

      *

      An diesem Spätnachmittag konnte Fee Norden ihr Glück kaum fassen.

      »Heute früh hätte ich nie gedacht, dass es mir gelingt, euch alle zusammenzutrommeln.« Ihr Blick wanderte durch’s Wohnzimmer, wo es sich ihre Kinder samt Freunden und Freundinnen auf Sofas, Sesseln und auf dem Boden bequem gemacht hatten. Zwei Kannen Tee und die Plätzchenreste von Weihnachten standen auf dem Couchtisch. »Jetzt fehlt nur noch Dan.« Sie sah auf die Uhr. »Ich hab vor einer Stunde mit ihm telefoniert, und er hat versprochen, gleich da zu sein. Hoffentlich hat er es nicht wieder vergessen.« Dankend nahm sie die Tasse, die Dési ihr reichte, und machte es sich auf dem Sofa bequem.

      Ein Feuer prasselte im Kamin, und der winterliche Duft nach Zimt und Nelken stieg aus der Teetasse.

      »Dein Problem ist, dass du uns notorisch unterschätzt«, sagte Janni seiner Mutter auf den Kopf zu.

      »Wenn mein kleiner Bruder Felix sich schon mal die Ehre gibt, müssen wir doch da sein«, stimmte Danny ihm ausnahmsweise einmal zu..

      Tatjana lachte.

      »Kleiner Bruder ist gut.« Sie saß auf dem Fußboden und wuschelte Felix, der es sich neben ihr bequem gemacht hatte, durchs Haar. Die beiden verband eine besondere Freundschaft, und sie vermisste ihn sehr, seit er die Pilotenausbildung begonnen hatte. »Er ist mindestens einen halben Kopf größer als du.«

      »Na und? Die großen Ochsen ziehen nicht die größten Furchen«, schmetterte eine laute Stimme durch’s Zimmer, gefolgt von einem Wiehern und Schnauben, das an ein Pferd erinnerte.

      Schlagartig konzentrierte sich das Interesse auf April, die sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln wischte.

      »Das hast du ja mal wieder ausgesprochen nett gesagt!«, bedankte sich Felix für diese Spitze in seine Richtung. »Hast du eigentlich für jede Lebenssituation einen dummen Spruch parat?«

      »Wieso dumm?«, fiel Danny ihm ins Wort. »Ich finde diesen Kommentar ausgesprochen passend.« Er stand vom Boden auf, um sie zu begrüßen und sich vorzustellen. »Ich bin Danny, ältester Bruder und Dompteur der Geschwister-Meute.« Ehe er Gelegenheit hatte, ihr die Hand hinzustrecken, boxte April ihn burschikos in den Oberarm.

      »Dann bist du also der Oberlangweiler?«, erkundigte sie sich Kaugummi kauend und versenkte die Hände in die Taschen der Jeans, die an ihr schlotterten wie ein Sack. Genauso wie der Pullover, beides Leihgaben aus Fees Schrank.

      »Aua!« Verwirrt rieb Danny sich den Oberarm. »Das ist ja eine nette Begrüßung.«

      Schlagartig verschwand die Freude aus Aprils Gesicht und machte einem Ausdruck echter Bestürzung Platz.

      »Oh, tut mir leid. Hab ich dir weh getan?«

      »Alles gut.« Tatjana war auf die Beine gesprungen. Ausgestattet mit einer fast übernatürlichen Sensibilität erspürte sie Aprils Hilflosigkeit. Die vielen fremden Menschen verunsicherten sie, was sie mit besonderer Coolness überspielen wollte. Dabei trat sie in jeden Fettnapf, den sie finden konnte. All das erfasste Tatjana in Sekundenbruchteilen und trat auf April zu. »Danny ist nicht aus Zucker. Das überlebt er schon.« Ungeniert schloss sie das Mädchen in die Arme und hieß sie in der Familie willkommen.

      April wusste nicht, wie ihr geschah. So viel Freundlichkeit war sie nicht gewohnt.

      »Du bist bestimmt die modeverrückte Schwester von Felix«, versuchte sie es mit einem Lob, um sich für die Herzlichkeit zu revanchieren. »Dein Pulli schaut genauso aus wie die Gardine, in die ich mich gestern eingewickelt hab. Stimmt’s?«, wandte sie sich an Felix.

      Einen Moment lang herrschte fassungslose Stille. Dann brach Tatjana in prustendes Gelächter aus.

      Felix dagegen hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst. Er hatte geahnt, dass ein Aufeinandertreffen von April und seiner Familie schwierig werden könnte, aber trotzdem das Beste gehofft. Vergeblich, wie er jetzt feststellen musste.

      »Tatjana ist nicht meine Schwester. Und ihr Pullover ist ein Geschenk von ihrem Freund Danny«, erklärte er kraftlos. »Ein Designer-Stück. Dafür bekommst du mindestens fünf Gardinen.«

      Aprils ungläubiger Blick wanderte zwischen den beiden hin und her.

      »Echt?« Es war ihr anzusehen, dass sie es nicht glauben konnte. »Und du schießt mich auch wirklich nicht hoch?«

      Wortlos schüttelte Felix den Kopf.

      »O Mann, tut mir echt leid«, entschuldigte sich April. Sie fühlte sich gar nicht wohl in ihrer Haut. Tatjana wollte eben ein paar tröstende Worte sagen, als der Ofen klingelte.

      »Abendessen ist fertig, Kinder!«, rief Felicitas erleichtert und klatschte in die Hände. »Setzt euch an den Tisch, ich bin sofort bei euch. Wenn ich nur wüsste, wo euer Vater schon wieder steckt …« Ihre Stimme verhallte im Flur.

      Als alle Familienmitglieder aufsprangen, drehte sich April zu Felix um.

      »Kann ich irgendwas helfen?«

      »Lieber nicht!«, erwiderte er wie aus der Pistole geschossen. »Du musst mir nur einen einzigen Gefallen tun. Oder sagen wir zwei.«

      »Und welche?«

      »Wirf den Kaugummi weg«, verlangte er. »Und sag bitte kein einziges Wort beim Essen. Sei einfach still.« Er durchbohrte sie mit Blicken, ehe er sich umdrehte und sie einfach stehen ließ.

      Ratlos sah April ihm nach. Sie wollte ihm schon folgen, als ihr der Kaugummi wieder einfiel.

      »Wo soll ich …«, setzte sie zu einer Frage an. Aber da war niemand mehr, der sie beantworten konnte.

      »April, wo steckst du denn?«, hallte Felix‘ Stimme durchs Erdgeschoß.

      »Ich bin gleich da.« Sie nahm den Kaugummi aus dem Mund, sah sich suchend um. Schließlich klebte sie ihn unter den Couchtisch, ehe sie sich verlegen lächelnd zum Rest der Familie setzte, bedacht darauf, nicht schon wieder etwas falsch zu machen.

      *

      »Herr Dr. Norden, was machen Sie denn noch hier?« Andrea Sander steckte den Kopf zur Bürotür herein, wo er noch am Schreibtisch saß, einen Stapel Bücher vor sich. »Ich dachte, Sie wären längst zu Hause.«

      Daniel fuhr zusammen. Erst jetzt bemerkte er, dass es draußen inzwischen stockdunkel war. Nur die Schreibtischlampe spendete Licht.

      »Das ist gefährlich, was Sie da machen, Frau Sander«, mahnte er die Assistentin und fuhr sich mit der Hand über die geröteten Augen. »Sie dürfen einen alten Mann nicht so erschrecken.«

      »Ich sehe keinen alten Mann!« Lächelnd schüttelte sie den Kopf. »Wenn Sie nichts dagegen haben, gehe ich jetzt nach Hause. Und wenn Sie mir einen Rat erlauben: Dasselbe sollten Sie auch tun.«

      »Wie spät ist es denn?«

      »Halb sieben durch.«

      Dr. Norden erschrak.

      »Unmöglich. Ich hab doch erst vor zehn Minuten mit meiner Frau …«, erwiderte er. Gleichzeitig sah er auf die Uhr und unterbrach sich selbst. »Das darf doch wohl nicht wahr sein! Wo ist denn die Zeit geblieben? Ich wollte nur noch kurz was nachschauen …« Abrupt klappte er das Buch zu, in dem er gelesen hatte. »Den Rest räume ich morgen auf.« Plötzlich hatte er es eilig und schaltete die Schreibtischlampe aus. »Mein Sohn Felix ist heute das letzte Mal zu Hause, bevor er für vier Monate nach Amerika geht. Meine Frau hat extra die ganze Familie zusammengetrommelt.« Er war zur Garderobe gelaufen und schlüpfte in Windeseile in seinen Mantel.

      »Der