Andrew Hathaway

Der Geisterjäger Staffel 3 – Gruselroman


Скачать книгу

dann mußt du noch den Chef­inspektor anrufen«, sagte sie einfach, als habe sie ihn gar nicht gehört. Sie ließ sich nicht umstimmen. »Hempshaw muß dafür sorgen, daß niemand das Gelände der Docks betritt. Du willst sicher nicht, daß Unbeteiligte gefährdet werden.«

      »Natürlich nicht«, meinte der Geisterdetektiv seufzend und griff zum Telefon.

      Ausnahmsweise war Chefinspektor Hempshaw nicht in seinem Büro anzutreffen. Er hatte einen freien Tag, und er nutzte ihn auch. Rick wählte die Privatnummer des Chefinspektors und hatte Glück. Hempshaw hob nach dem dritten Klingelzeichen ab.

      »Ich wollte soeben einen Spaziergang durch den Hydepark machen«, sagte Hempshaw, als er die Stimme seines Freundes erkannte. »Ich habe mir das schon lange vorgenommen.«

      »Machen Sie einen Spaziergang zu den Docks«, schlug Rick grinsend vor. »Ich könnte Sie und Ihre Hilfe gut gebrauchen.«

      Er erklärte dem Chefinspektor, worum es ging. Hempshaw war sofort einverstanden. Rick hatte nichts anderes erwartet.

      »Und bringen Sie bitte die Fotoserie von dem Mord an dem Mannequin mit«, schloß Rick. »Die Aufnahmen werden den Kontakt erleichtern.«

      »Ich bin schon unterwegs«, antwortete der Chefinspektor und legte hastig auf.

      *

      Es war Rick Masters gelungen, Chef­inspektor Hempshaw von dem Wirken übersinnlicher Kräfte zu überzeugen. Er hatte es auch geschafft, Hempshaw zur Mitarbeit bei der Beschwörung in den Docks von London zu überreden.

      Doch als sie schließlich am Themsehafen zusammentrafen, machte der Chefinspektor doch ein sehr skeptisches Gesicht. Das hatte allerdings einen anderen Grund als bei Hazel.

      Sie machte sich Sorgen um Rick. Hempshaw sprach aus, was er dachte.

      »Was soll der Hokospokus?«

      Rick war nicht beleidigt und nicht einmal verwundert. Er kannte eben den Chefinspektor, seine direkte Art und seine ständige Skepsis. In diesem Punkt würde sich Hempshaw nie ändern.

      »Haben Sie die Fotos dabei?« fragte er statt dessen, ohne auf Hemp­shaws Frage einzugehen.

      Der Chefinspektor streckte die Hand in das Innere seines Dienstwagens. Sergeant Myers übergab ihm einen Stapel Fotos.

      Außer den beiden Detektiven waren noch vier Polizisten anwesend, die nichts anderes zu tun hatten, als die Piers von Neugierigen freizuhalten. Um diese Vormittagsstunde war jedoch niemand hier. Die Polizisten hatten nichts zu tun.

      »Das ist doch Unfug!« rief Hemp­shaw, nachdem er Rick eine Weile zugesehen hatte.

      Rick reagierte noch immer nicht. Er legte die Fotos auf den rauhen, rissigen Betonboden und beschwerte sie mit Steinen. Danach holte er die Silberkugel aus der Tasche und strich damit einmal um alle Bilder herum.

      »Woher haben Sie denn das?« erkundigte sich Hempshaw gereizt. Er mochte es nicht, daß er in eine solche Beschwörung hineingezogen wurde. Sie ließ sich nicht logisch erklären, und gerade das war für den Chefinspektor immer das Wichtigste. Der klare Menschenverstand mußte siegen. In diesem Fall versagte er jedoch.

      »Wie Sie wissen, Kenneth«, antwortete Rick Masters ruhig, »besitze ich eine umfangreiche Bibliothek über Schwarze und Weiße Magie, Geister und Dämonen und sämtliche Beschwörungsmöglichkeiten. Aus einem der Bücher habe ich die Anweisungen. Den Rest muß ich dem Zufall und der Improvisation überlassen.«

      »Wie schön!« murmelte Hemp­shaw. »Eine Geisterbeschwörung am Vormittag bei hellem Sonnenschein. So habe ich mir das immer schon vorgestellt.«

      »Behalten Sie für die nächsten Minuten Ihre Zweifel für sich«, bat Rick den Chefinspektor. »Und sorgen Sie dafür, daß ich nicht gestört werde.«

      Hempshaw hielt sich daran. Er zog sich ein Stück zurück. Hazel ging mit ihm. Sie hielt Dracula auf dem Arm, so daß sie jede Veränderung mit dem Tier sofort feststellen konnte.

      Rick blieb inmitten der Fotos stehen und sah von einem zum anderen. Er versuchte, sich mit Lady Jocelynes Geist in Verbindung zu setzen. Er erinnerte sich an das Zusammentreffen und an die Vision, die er erlebt hatte.

      Alle auf den Piers merkten gleichzeitig, daß sich etwas tat, Rick daran, daß die Vision wieder vor seinem geistigen Auge erstand und er sich in den Gefängnishof zurückversetzt glaubte.

      Hazel Kent zuckte zusammen, als Dracula zu zittern begann und ein leises Winseln ausstieß.

      Chefinspektor Hempshaw und seine Begleiter schließlich blickten erstaunt zum Himmel hoch. Eben noch hatte die Sonne geschienen. Nun war der Sonnenschein wie ausgelöscht. Statt dessen türmten sich schwere, schwarze Wolken am Himmel. Ein eisiger Wind blies von der Themse her und ließ die Menschen frösteln.

      Noch ein unheimliches Phänomen trat ein. Die Sicht war plötzlich begrenzt. Hatte man vorher die Türme des Towers ebenso gesehen wie die Tower Bridge und die Häuser an der Themse, so waren diese jetzt verschwunden. In der Mitte des Flusses begann eine graue Wand, die alle Beteiligten an der Beschwörung einschloß und immer näher heranrückte, als wolle sie diese Wagemutigen von der übrigen Welt abschneiden.

      Rick Masters intensivierte seine Gedanken. Noch konnte er die Fotos zu seinen Füßen sehen, doch auch sie wurden von den Bildern der Vision überlagert.

      Zuletzt stand er auf dem Gefängnishof am Fuß des Galgens. Aus dem Hintergrund näherte sich der traurige Zug mit der Delinquentin, die zur Hinrichtung geführt wurde.

      Rick stand auf dem Weg des Zuges. Er hob die Hand mit der Silberkugel. Sofort blieben sie alle stehen, der Richter, die Wärter, der Henkersgehilfe.

      »Lady Jocelyne!« Rick sprach langsam und deutlich. Seine Stimme nahm einen beschwörenden, zwingenden Klang an. »Hör mich an, Geist der Lady Jocelyne! Du mußt mir eine Frage beantworten.«

      In atemloser Spannung warteten alle auf die Antwort des Geistes. Würde er zu Rick sprechen oder sich für die Störung rächen?

      *

      Außer Rick Masters konnte niemand den Geisterzug sehen. Für die übrigen Menschen auf dem Pier waren nur die grauen Hafenanlagen zu erkennen, rundum eingeschlossen von diesem merkwürdigen Nebel, der nicht natürlichen Ursprungs war.

      Alle sahen jedoch, daß Rick Masters die Hand hob und seine Silberkugel einsetzte. Sie hörten auch die Worte des Geisterdetektivs, nicht aber die Antwort aus jener Dimension, die gewöhnlichen Menschen verschlossen bleibt.

      Rick richtete seinen Blick direkt auf das bleiche Gesicht der Frau, die zum Galgen geführt werden sollte. In ihren Augen funkelte kein Leben. Sie wirkte durchsichtig, und nach einigen Sekunden merkte Rick Masters, daß das nicht bloß ein Eindruck war. Sie verblaßte tatsächlich, so daß ihr Körper durchsichtig wurde. Das gleiche geschah mit den übrigen Teilnehmern an der visionären Hinrichtung.

      Rick lenkte seine Gedanken voll darauf, die Vision zu erhalten, mußte jedoch einsehen, daß es eine Gegenkraft gab, einen starken Einfluß, der seinen Wünschen entgegenwirkte.

      Jemand – vermutlich der Mörder – versuchte, die Vision zu zerstören und Lady Jocelynes Geist wieder voll unter seine Kontrolle zu bringen.

      »Antworte!« schrie Rick Masters. »Wer zwingt dich dazu, Menschen zu töten! Nenne den Namen!«

      Lady Jocelyne öffnete den Mund. Sie sprach, aber Rick konnte sie nicht hören. Obwohl sie direkt vor ihm stand, war sie sehr weit von ihm entfernt. Sie wurde von der gegnerischen Kraft in der Dimension der Geister und Dämonen zurückgeholt.

      »Den Namen, rasch!« brüllte Rick.

      Er hatte den Eindruck, daß der Geist antworten wollte. Deshalb kam er ihm mit dem ganzen Einfluß der Silberkugel zu Hilfe.

      Lady Jocelyne strengte sich an, damit er sie hörte. Und tatsächlich wehte etwas an Ricks Ohr. Er verstand ein paar Worte.

      »… Fotos… Kennzeichen… Fotos«

      Mehr