Inhalt
Das Jenseits meldet sich zu Wort
Der Mann stand lange vor dem Gemälde. Auf seinem Gesicht lag ein entrückter Glanz.
Seine Augen leuchteten auf. Zwischen ihnen und dem Porträt entstand ein unheimliches Flimmern, daß niemand in der Auktionshalle bemerkte.
Der Mann hielt stumme Zwiesprache mit dem Geist der abgebildeten Frau.
Mit dem Geist einer vielfachen Mörderin!
Aus den unendlichen Dimensionen des Jenseits rief ein Mensch einen Geist, riß ihn aus seiner Ruhe und zwang ihm seinen Willen auf.
Grauen und Vernichtung zogen über London herauf!
*
»Nun mach doch nicht so ein vergrämtes Gesicht!« Hazel Kent stieß ihren Freund leicht mit dem Ellbogen an. »Die Leute müssen ja denken, wir wären ein altes Ehepaar, das sich gezankt hat.«
»Wir sind weder alt, noch sind wir ein Ehepaar, noch haben wir uns gezankt«, erwiderte ihr Freund, und das war kein anderer als Rick Masters, der bekannte Londoner Geisterdetektiv. »Sieht man meinem Gesicht nicht auf hundert Meilen an, daß ich Auktionen langweilig finde?«
»Du bist nicht gerade nett«, beklagte sich Hazel Kent. »Immerhin weißt du, daß ich für Auktionen schwärme.«
»Aber erst seit kurzer Zeit«, wandte Rick Masters grinsend ein. »Seit sehr kurzer Zeit.«
»Trotzdem.« Auch Hazel lächelte. Sie zankten sich nicht ernstlich. »Du weißt, daß ich als vielbeschäftigte Managerin Entspannung brauche. Eine Auktion ist für mich genau das Richtige. Die zur Versteigerung angebotenen Gegenstände, das Bieten und Überbieten, endlich der Zuschlag! Herrlich, diese Spannung!«
Rick zog in gespieltem Erstaunen die Augenbrauen hoch. »Ich dachte, Darling, du wolltest dich entspannen. Und nun diese Spannung? Spannung durch Entspannung?«
»Umgekehrt, Darling, Entspannung durch Spannung«, erwiderte Hazel bissig. »Du scheinst geistig nicht mehr ganz auf der Höhe zu sein, mein Lieber. Bedenklich. Wie willst du da deinen Beruf ausüben? Oder brauchst du als Detektiv nicht zu denken?«
Rick seufzte theatralisch. »Während dieser stinklangweiligen Auktion brauche ich wohl nicht zu denken, meinst du nicht auch?«
Eine Antwort entfiel, da sich unter Ricks Trenchcoat etwas bewegte. Hazel bekam große Augen.
»Sag bloß, du hast Dracula in den Versteigerungssaal mitgebracht?« zischte sie.
Rick grinste wie ein Junge, der etwas angestellt hatte. »Sollte ich den Ärmsten zu Hause oder im Wagen lassen? Mein Hund langweilt sich eben auch gern auf Auktionen.«
»Du bist unmöglich«, murmelte Hazel lächelnd.
Der Auktionator betrat das Pult. Sofort verstummten die Gespräche im Saal, so daß man deutlich das leise Knurren unter Ricks Mantel hörte. Der Geisterdetektiv tat, als ginge ihn das alles nichts an. Er machte ein Gesicht, als könne er kein Wässerchen trüben. Und Hazel Kent bekam feuchte Augen, weil sie gewaltsam ein schallendes Lachen unterdrücken mußte.
Dracula, von dem hier die Rede war, gab sich nämlich ziemlich ungeduldig, und Rick konnte ihn nur mit Mühe wieder beruhigen. Die Versteigerung begann planmäßig.
Dracula war übrigens Ricks kleiner Hund, sein ständiger vierbeiniger Begleiter. Hazel hatte ihm das Tier zum Geburtstag geschenkt. Seine urprüngliche Absicht, aus Dracula einen Polizeihund zu machen, hatte Rick aufgeben müssen. Der winzige weiße Mischling mit den überdimensionalen Ohren und den klugen Augen eignete sich zu allem möglichen, sicher aber nicht für die Pflichten eines Polizeihundes.
Dafür hatte er andere Eigenschaften, die Rick Masters und auch Hazel Kent bereits mehrmals das Leben gerettet hatten, Fähigkeiten, die besonders in Anbetracht von Ricks Beruf sehr wichtig waren.
Mit seinen feinen natürlichen Instinkten konnte Dracula nämlich das Wirken einer übersinnlichen Macht fühlen, ehe Menschen etwas davon merkten.
Genau daran wurde Rick Masters in diesen Minuten erinnert. Er zuckte heftig zusammen, als unter seinem Mantel Dracula wie Espenlaub zu zittern begann.
So verhielt sich der Hund immer, wenn übersinnliche Mächte am Werk waren. Sonst fürchtete er sich vor nichts, so daß es für ihn auch keinen Grund zum Zittern gab.
Rick Masters war sicher, in diesem Auktionssaal war etwas faul. Irgendein Gegenstand, irgendeine Person stand mit Übersinnlichem in Verbindung. Dracula fing die Einflüsse der Schwarzen Magie auf und meldete es einem Herrn.
Doch so genau sich der Geisterdetektiv auch umblickte, er konnte die Ursache für Draculas Verhalten nicht entdecken. Und das war doppelt bedenklich, weil eine erkannte Gefahr nur mehr halb so groß war.
Hier aber blieb die Gefahr im Dunkeln, und Rick wußte, daß jeden Moment ein Unglück geschehen konnte.
*
Zuerst verfolgte Hazel Kent die Versteigerung mit ungetrübtem Vergnügen. Eine griechisch-römische Statue, eine chinesische Vase und ein persischer Gebetsteppich gingen jeweils zum Schätzwert von ein paar hundert Pfund weg. Hazel selbst beteiligte sich nicht am Bieten. In ihrem prachtvollen Haus in Westminster hatte sie genügend schöne Dinge, so daß sie sich nur für besonders wertvolle Stücke interessierte.
Nach einigen Minuten wollte sie etwas zu Rick sagen, als sie stutzte.
»Du sitzt da, als hätte sich Dracula auf deinem Schoß unanständig benommen«, flüsterte sie ihrem Freund ins Ohr. »Ist etwas?«
Ricks Augen zuckten nervös. Er blickte sich um und saß keine Sekunde still.
»Dracula ist unruhig«, flüsterte er zurück. »Sehr unruhig sogar.«
»Vielleicht muß er wirklich hinaus.« Hazel warf einen besorgten Blick auf den Hund, der sich unter dem Trenchcoat abzeichnete.
»Er hat Angst«, erwiderte der Geisterdetektiv. Mehr brauchte er nicht zu sagen. Hazel kannte das Tier, so daß sie sofort wußte, was gemeint war.
Ihr Gesicht verdüsterte sich. Nun war auch sie nervös, erkannte jedoch den Grund für Draculas Verhalten ebenfalls nicht, so sehr sie sich bemühte.
»Und nun kommen wir zu einem sehr schönen Bild aus dem achtzehnten Jahrhundert!« rief der Auktionator aus. »Maler unbekannt, Modell unbekannt! Es handelt sich um ein Frauenporträt. Der Schätzwert beträgt hundert Pfund.«
Wieder zuckte Rick Masters zusammen. Sein Blick saugte sich an dem Gemälde fest, das ein Angestellter des Auktionshauses neben dem Pult des Ausrufers aufstellte.
In einem schlichten Goldrahmen schimmerte das helle Gesicht einer Frau, die keine