»Nehmen Sie Platz, Mr. Lauderdale, freuen Sie sich an meinem Anblick und warten Sie ab.«
Der Stahlmagnat verzog das Gesicht, als Hazel Kent auf den zwischen ihnen schwelenden Streit anspielte. Unvermittelt begann er zu grinsen. Er streckte Hazel die Hand entgegen.
»Wollen wir uns nicht vertragen, Mrs. Kent?« fragte er spontan. »Sie waren damals ein harter Verhandlungspartner, und ich habe nicht nachgegeben. Ich glaube, wir haben einander nichts vorzuwerfen.«
Hazel schlug sofort ein. »Gern, Mr. Lauderdale. Begraben wir das Kriegsbeil. Und nun setzen Sie sich. Rick braucht absolute Ruhe.«
Rick versuchte, nicht weiter an Lauderdale zu denken. Er versenkte sich ganz in die Betrachtung der Fotos, doch auch diesmal gab es eine Störung.
Sie kam von einer Seite, mit der keiner gerechnet hatte, nämlich von Dracula.
Der kleine Hund richtete plötzlich seine fledermausähnlichen Ohren auf, zog den Schwanz ein und sauste mit lautem Jaulen unter das Bett. Kaum hatte er sich in Sicherheit gebracht, als er keinen Ton mehr von sich gab.
Rick Masters wußte Bescheid. Eine übersinnliche Macht begann, in seinem Wohnbüro zu wirken.
Hazel Kent kannte ebenfalls die Alarmsignale, die Dracula seinem Herrn gab. Erschrocken blickte sie sich um.
Nur Harold F. Lauderdale hatte keine Ahnung, was hier vor sich ging. Er wollte soeben eine Frage stellen, als Hazel einen gellenden Schrei ausstieß.
Mit ausgestrecktem Arm deutete sie in den Vorraum.
Rick wirbelte herum und erstarrte. In der Diele stand Lady Jocelynes Geist.
*
»Vorsicht!« schrie Rick und warf sich gegen Harold F. Lauderdale, der gar nicht reagierte.
Der Stahlbaron war so geschockt, daß er sich nicht rührte. Als der Geisterdetektiv mit seinem vollen Gewicht gegen ihn prallte, schrie er nicht einmal.
Die beiden kippten mitsamt dem Sessel nach hinten. Nur dieses geistesgegenwärtige Eingreifen Ricks rettete Lauderdale das Leben. Der Geist ging blitzschnell zum Angriff über. Seine Hände schossen vor und verfehlten Lauderdale nur um wenige Zoll.
Aber der Millionär war noch lange nicht gerettet. Der Geist hatte einen Mordauftrag erhalten und setzte alles dran, um ihn auch auszuführen. Als Wesen aus einer anderen Dimension hatte der Geist nichts zu fürchten – ausgenommen Waffen der Weißen Magie.
Ricks Pistole steckte in seinem Schulterhalfter, das er beim Betreten des Wohnbüros nicht abgelegt hatte. Die Schußwaffe half ihm jedoch in dieser Situation nichs. Er brauchte seine Silberkugel, und die lag auf der Couch. Er hatte sie beim Betrachten der Fotos aus der Tasche gezogen und damit gespielt.
»Hazel!« schrie Rick, während sich der Geist erneut auf Harold F. Lauderdale schnellte. »Die Kugel!«
Hazel Kent begriff augenblicklich, was ihr Freund meinte. Mit einem Sprung erreichte sie die Couch. Ihre Finger schlossen sich um die schimmernde Kugel.
Im selben Moment packte der Geist den Millionär und riß ihn vom Boden hoch. Lauderdale schrie in Todesangst auf. Er schlug und stieß um sich, konnte sich jedoch nicht befreien. So war es Rick schon einmal ergangen. Man konnte den Geist nicht treffen.
Lauderdale stand zwischen Hazel und Rick. Hazel Kent zögerte einen Moment. Wäre sie erst zu Rick gelaufen, um ihm die Kugel zu übergeben, wären wertvolle Sekunden verlorengegangen. Sekunden, die über das Leben des Millionärs entschieden.
Hazel Kent nahm allen Mut zusammen, trat von hinten an Lady Jocelynes Geist heran und preßte ihm die Kugel in den Rücken.
Rick konnte die Wirkung genau beobachten. Das Gesicht der bleichen Frau verzerrte sich. Sie richtete sich wie unter einem Stromstoß hoch auf. Ihre Hände rutschten von Lauderdales Hals ab.
Noch war der Geist nicht geschlagen. Rick mußte zu einem stärkeren Mittel greifen.
Und er hatte auch schon eine Idee.
»Bleib hinter ihr stehen!« schrie er seiner Freundin zu.
Er konnte sich nicht darum kümmern, ob sich Hazel an seine Bitte hielt. Tat sie es nicht, entkam Lady Jocelynes Geist. Tat sie es jedoch, hatte der Geisterdetektiv die entscheidende Chance.
Rick lief an seine Bücherregale. Hastig ließ er seinen Blick über die Buchstaben schweifen.
Er besaß eine umfangreiche Spezialbibliothek, vielleicht sogar die bedeutendste in der ganzen Welt. Er wählte ein dickes Werk der Weißen Magie aus, einen alten Folianten, aus dem er sich schon oft Ratschläge zur Bekämpfung des Bösen geholt hatte.
Dieses Buch hielt er wie einen Schild vor sich. Er streckte es dem Geist entgegen, der fauchend und ächzend zurückwich. Doch da stand Hazel.
Sobald Lady Jocelynes Geist mit der Silberkugel in Berührung kam, taumelte er wieder vorwärts… genau Ricks Buch entgegen.
Rick und Hazel trieben den Geist in eine Ecke des Raumes.
Der Geisterdetektiv streckte seiner Freundin die linke Hand entgegen. Sie legte die Silberkugel hinein.
Mit beiden Waffen des Guten näherte sich Rick dem Geist, bis ein unheimlicher Schrei aus anderen Dimensionen erklang und sich die Geistergestalt vor den Augen der drei Menschen auflöste.
Erst als nichts mehr zu sehen war, ließ Rick aufatmend den Folianten und die Silberkugel sinken.
»Das wäre geschafft«, murmelte er.
Lauderdale packte ihn am Arm und wirbelte ihn herum. Seine Augen blitzten.
»Wollen Sie damit sagen, daß Sie den Geist für immer besiegt haben?« schrie er aufgeregt.
Rick schüttelte den Kopf. »Ich habe den Geist für die nächste Zeit in seine eigene Dimension zurückgedrängt, aber der unbekannte Mörder kann ihn erneut zurückholen. Allerdings wird das eine Weile dauern.«
Hazel lockte Dracula unter dem Bett hervor. Der Hund hatte sich wieder beruhigt, ein sicheres Zeichen dafür, daß die Gefahr vorläufig vorbei war.
»Du kannst dich wieder ganz auf die Fotos konzentrieren«, meinte sie, während sie den Hund streichelte. »Über sie kommst du an den Mörder heran, bevor er den Geist zurückruft.«
Rick nickte und machte sich sofort an die Arbeit.
Hazel gab Harold F. Lauderdale ein Zeichen. Der Stahlmagnat folgte ihr in Ricks Büro. Sie schloß die Tür und setzte sich.
»Rick braucht jetzt absolute Ruhe«, meinte sie. »Mr. Lauderdale, überlegen Sie noch einmal. Wer käme als Mörder in Frage? Nein, sagen Sie nichts!« rief sie, als er sofort antworten wollte. »Denken Sie darüber nach. Wenn ein Familienmitglied nach dem anderen stirbt, fällt das Vermögen jeweils an die Überlebenden, zuletzt also an eine einzige Person. Angenommen, der Mörder gehört nicht zu Ihrer Familie beziehungsweise nicht zu den Personen, die auf unserer Liste stehen, so muß es doch jemand sein, der von dem letzten Überlebenden das gesamte Vermögen erben würde. Nehmen wir weiter an, daß dieser letzte Überlebende kein Testament gemacht hat und die gesetzliche Erbfolge einsetzt, dann läßt das nur einen Schluß zu. Es gibt noch jemand, den wir bisher nicht berücksichtigt haben und der zu Ihrem Clan gehört.«
Lauderdales Gesicht hellte auf.
»Ich habe einen Vetter, der vor zwanzig Jahren nach Australien ging«, rief er. »Seither gilt er als verschollen, ich habe nie mehr etwas von ihm gehört.«
»Einen Vetter?« Hazel nickte zufrieden. »Sehr gut. Er wäre erbberechtigt. Wie heißt dieser Vetter?«
»Fennimore.« Lauderdale zuckte die Schultern. »Glauben Sie wirklich, daß er der Mörder ist?«
»Möglich ist alles«, antwortete Hazel. »Wir haben jedenfalls einen Anhaltspunkt, den wir verfolgen werden.«
*
Rick starrte auf die Fotos. So kam er nicht weiter. Sie zeigten