Ida Boy-Ed

Stille Helden


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Uhr mit dem gelbbronzenen Zifferblatt zwischen kleinen Alabastersäulen, die auf ihren Kapitälen einen Steg von Alabaster trugen, auf dem fiedelnd ein Amor entlang zu tänzeln schien – der Schöpfer dieser Uhr hatte sicher den anmutigen Gedanken gehabt, daß demjenigen, für den die Stunden schlugen, die Liebe heiteren Inhalt geigen möge.

      Und Klara dachte oft, mit welch schweren Empfindungen ihre Mutter das heitere kleine Bilderwerk oberhalb der Zeiger betrachtet haben möge.

      Denn sie ahnte immer, daß ihre Mutter nicht glücklich gewesen sei.

      Heute war aus der Ahnung eine Gewißheit geworden.

      Klaras Zimmer lagen nach hinten. Ihre Straßenaussicht hätte die alte Frau keinem Menschen geopfert, und sie sagte, Klara wäre es ja doch einerlei, ob sie auf den Hof oder auf den Kirchplatz hinaussähe. Jetzt lauerte die Doktorin schon lange hinter den Scheiben, und der graue Kopf bog sich alle paar Sekunden sehr schräg nah an das Glas hin, um die Stelle zu erspähen, wo die Straße in den Platz einmündete und wo Klara zuerst sichtbar werden mußte. Kaum erschien sie in Blickweite, so deuteten ihr auch schon lebhafte Gesten an, daß sie mit Unruhe erwartet wurde, und das erste Wort, das sie hörte, war das erwartete: »Wo bleibst du, ich ängstigte mich.«

      Und zugleich nahm sie schon ihren Kneifer ab und legte ihn auf den Nähtisch vor sich, was immer eine Art von Zurüstung auf ein ausführliches Gespräch bei ihr bedeutete.

      »Es kam mir so vor, als wünsche der Geheimrat, mich länger dazubehalten. Ich wußte nicht recht, was ich sollte.«

      »Hast du den Sohn kennen gelernt? Wie war er?« fragte sie in brennender Neugier.

      Denn in dem Städtchen liefen allerlei Gerüchte herum – auf sachten, aber sehr emsigen Füßen, von Haus zu Haus. Und sie hatten ihren stillen bösen Gang begonnen damals, als Wynfried nicht am Lager seines Vaters erschien ...

      »Doch. Flüchtig. Er war sehr höflich,« sagte Klara. Sie wußte längst, daß Zurückhaltung gegenüber der alten Frau geboten sei. Sie kannte es schon, welchen Genuß und welche Genugtuung es der Doktorin bereitete, bei ihrer Skatpartie die zu sein, die am genauesten über die Vorgänge im Hause des Geheimrats unterrichtet war.

      Aber Neugier spürt nicht so leicht das Ausweichen eines anderen. Und die Fragen klangen auch noch minutenlang durch das Zimmer. Wie sah er aus? Sehr verlebt? Schienen Vater und Sohn gespannt? Will er hier bleiben? Wird er gleich offiziell Teilhaber? Kam es dir vor, als ob er gern hier sei?

      Klara antwortete auf alles sehr beruhigend, und als sie sagte, das Verhältnis zwischen Vater und Sohn sei ihr ganz natürlich und herzlich vorgekommen, war die Doktorin zufrieden. So hatte sie doch etwas als ganz »wahr und wahrhaftig« weiterzuerzählen. Ihr unruhiges kleines Gehirnchen war dann schon wieder bei ganz anderen Wichtigkeiten.

      »Denke dir, die Heimdorfs hatte schon wieder ein neues Frühjahrskostüm an, sie ging vorhin vorbei. Wie der Mann das gut macht, all den Luxus. – Und denke dir, weißt du, wen ich gesehen habe? Den neuen Oberleutnant, den Freiherrn von Marning. Eine Erscheinung! Vornehm, sag’ ich dir! Er besuchte den Hauptmann. Sie gingen in den Stall. Als ich sie treppab kommen hörte, lief ich in dein Zimmer und paßte hinter den Gardinen auf. Er ist noch oben, gleich geht er – horch – wir wollen achtgeben, du sollst sehen: eine schöne Männererscheinung ...«

      Und sie rückte schon ein wenig, um sich besser hinter den Mullfalten der Vorhänge zu verbergen.

      Klara fühlte sich ja manchmal gequält von dem eifrigen Teilnehmen an den Gleichgültigkeiten rundum.

      Aber ihre Dankbarkeit zwang sie zur Geduld und zu freundlichem Eingehen, wenn auch mit noch so flüchtigem Wort. Heute aber war sie auf dem Punkt, sich davon ermattet zu fühlen.

      »Was geht mich der Freiherr von Marning an?« sagte sie.

      Und plötzlich brach es aus ihr heraus.

      »Ich bitte dich – laß die fremden Leute – komm – ich muß mit dir sprechen, dich etwas fragen –«

      Sie legte den Arm um die Erschrockene und zwang sie vom Fenster fort.

      »Du hast mich lieb. In zehn Jahren, seit ich bei dir lebe, hast du es mir bewiesen. Sag liebe, liebe Lamprächtige, würdest du mich belügen, wenn ich dich etwas fragte?«

      »Aber Kind!« Das war ja die alte Frau gar nicht gewohnt, daß Klara so starke Töne anschlug. – Sie war doch fast nie zärtlich, und nie aufgeregt. Und brauchte nun gar die scherzhafte Benennung, die der Geheimrat aufgebracht hatte, in so leidenschaftlicher Weise.

      »Wie sollt’ ich dich wohl belügen wollen! Was ist denn?«

      »Sage mir, was war mein Vater für ein Mann? Und an was starb er in so frühen Jahren?«

      Wie strenge Klara aussah – die geraden Brauen schoben sich näher zusammen, ihre Augen brannten.

      Welche Frage! Mein Gott, hatte sie nicht immer gefürchtet, daß das arme Kind irgendwann einmal den alten Geschichten nachfrage!

      Und wenn Klara etwas so durchaus wollte! Die kleine gute Alte hatte wohl eine dumpfe Erkenntnis davon, daß sie dem Mädchen nicht gewachsen war. In Klara war irgend etwas Starkes. Man spürte es selten. Aber dann war man ganz klein davor ...

      »Kind, Liebling, frag mich nicht. Ich muß schweigen.«

      »Ah –« Klara beugte sich näher zu ihr, förmlich Angst bekam die alte Frau. – So drang schon diese Bewegung auf sie ein ...

      »Ah – also es ist etwas zu verschweigen ...«

      »Ich habe es doch dem Geheimrat versprochen,« klagte sie. »Wäre das nicht wie ein Hochverrat, wenn man ein Versprechen bräche, das dem Manne gegeben worden war?«

      »Er soll es nie erfahren, nie, daß du mir die Wahrheit sagtest. Wenn du sie mir nicht sagst, gehe ich zum Pastor, oder zum Standesamt, von Mann zu Mann, bis ich den finde, der weiß ...« drohte Klara. Sie war nun völlig außer sich.

      Also es gab Schmachvolles zu verbergen!

      »Niemand weiß etwas Genaues,« sprach die Alte ängstlich. »Man flüsterte wohl damals ... Aber der Geheimrat – du kennst ihn ja. – Er wollte alles versteckt lassen. Und wenn er was will! Dann ist es ja egal, was es kostet. Und er zwingt alle Menschen. Es gelang, alles zu vertuschen.«

      Diese Art, von den Dingen zu sprechen und sie nicht zu nennen, wurde für Klara zur Folter.

      »Sag doch endlich, was denn – was denn ...«

      »Nun in Gottes Namen, da du mir gar keine Ruhe läßt, und wenn du mir versprichst, mich nie zu verraten ...«

      »Ich verspreche es,« sagte Klara hart und fest.

      Und da Schwätzer immer fest auf die Verschwiegenheit anderer Leute bauen, nahm sie dies Versprechen für einen Schwur.

      Ganz erschöpft war sie, und dennoch im tiefsten Innern vielleicht wie erlöst, daß ihr endlich die Last des Schweigens abgezwungen wurde.

      »Ja,« sagte sie, »dein Vater wollte wohl eins, zwei, drei reich werden. Großes Gehalt, Tantieme. – Das schaffte nicht genug, – woher ihm diese Gier nach Geld kam, weiß ich nicht. Es hieß, er fahre oft nach Berlin, und habe da ... Aber nein ... na genug, sehr treu war er seiner Frau wohl nicht. – Und er spekulierte. – Obwohl sein Kontrakt es ihm verbot, machte er private Geschäfte, waghalsige Sachen mit Tendenz sogar gegen des Geheimrats Unternehmungen – oder unter Benutzung von ihm bekannten Chancen, die ›Severin Lohmann‹ hätten zugute kommen müssen. – Und so derlei. – Und dann kam ein Tag, wo alles zusammenbrach. So was hat immer kurze Beine und läuft nicht lange. Eines Morgens wurde mein Lamprecht, der ja Arzt bei ›Severin Lohmann‹ und allen Beamten war, aus dem Bett geholt, und es hieß, den Generaldirektor Hildebrandt hat der Schlag gerührt. – Deine Mutter hat eine fabelhafte Geistesgegenwart bewiesen. – Sie ließ keinen von den Dienstboten in das Zimmer, und mein Lamprecht dachte ja gleich: so ein Tod hat böse Gründe. Er ging sofort zum Geheimrat. – Und der nahm alles in seine Hand – die Hand kennen wir – stark, sicher! Noch am selben