es ihm schwer, weiter mit ihr zu sprechen. Er sah wohl, daß sie sehr schön war und denselben Zauber der Weiblichkeit hatte, wie einst ihre Mutter ihn besaß. Das drückte sich so erkennbar in jeder leisen Bewegung, im Klang der sanften Stimme aus.
Diese Art von Schönheit, deren eigenster Reiz die Verbindung von strengen Linien mit weicher Anmut war, hatte ihn nie zu fesseln vermocht.
Aber er war sozusagen mit allen Interessen und Nerven auf Frauen eingestellt – die alte Gewohnheit, auf jede einzugehen, ihr angenehm sein zu wollen, wurde unbewußt wach in ihm. Dazu kam das neugierige Wissen, daß dies die Frau sei, die sein Vater für ihn bestimmt hatte – und der halbklare Wunsch, seinem Vater guten Willen zu zeigen.
Er holte sich einen Stuhl und setzte sich Klara gegenüber an den Tisch, der neben dem Krankheitsthron stand.
»Ich sehe, Leupold hat für drei aufgedeckt. Es ist also vorgesehen, daß Sie mir auch gütigst eine Tasse Tee gönnen sollen.«
Während Klara ihn bediente, meinte sie: »Wenn Ihr Vater jetzt auch Sie hat – überflüssig komme ich mir doch nicht vor. Männer, die die ganze Woche von der Arbeit zusammen sprechen, würden es auch noch Sonntagnachmittags tun, wenn da nicht jemand wäre, der sehr wenig davon versteht.«
»Ah, Sie wissen, daß ich hier bleiben werde?«
»Ist es ein Staatsgeheimnis? Ich habe es Fräulein Hildebrandt erzählt,« warf der Geheimrat ein.
Wynfried verbeugte sich im Sitzen leicht gegen Klara, als wolle er sagen, daß er sich keine willkommenere Mitwisserin seiner Angelegenheiten denken könne.
»Und Sie haben die Geduld und den Mut, gnädiges Fräulein, die Kinder der Arbeiterschaft zu unterrichten?«
»Nun, irgend etwas mußte ich doch tun, um meine Kräfte zu brauchen und mein Brot zu verdienen,« sprach sie ruhig.
»Aber gab es nicht reizvollere Beschäftigungen, die Ihnen mehr Freude gebracht hätten? Etwa der Posten einer Gesellschaftsdame in einem großen Hause, wo viele Menschen verkehren, wo man reist, Kunst genießt, tanzt – Vater mit seinen Beziehungen hätte Ihnen doch leicht dergleichen verschaffen können.«
Der Geheimrat wartete mit Vorfreude auf die Antwort – diese ganze Szene unterhielt ihn überhaupt auf das Spannendste. Er selbst war ja der Mann der ersten Eindrücke, der raschen Entschlüsse. Er fühlte, oder vielmehr er bildete sich ein: man wird schon heute sehen, ob es geht mit den beiden!
Klara schüttelte nur leise den Kopf.
»Hier kam ich her, als ich zwei Jahre alt war, so weit reichen meine Erinnerungen natürlich nicht zurück. So ist es mir, als sei ich hier geboren. Hier bin ich aufgewachsen – inmitten des Werks habe ich meine ersten Eindrücke gehabt – später hab’ ich an seinen Grenzen gelebt, immer in der Umwelt, die durch das Werk Verdienst, Wohlstand und Inhalt hatte. Meinen Unterhalt, seit ich Waise war, verdanke ich Ihrem Vater, ihm meine Ausbildung und daß ich nun auf eigenen Füßen stehe und selbstverdientes Brot essen kann. Nie hab’ ich etwas anderes im Gefühl gehabt, vor mir gesehen als dies eine, daß auch ich für ›Severin Lohmann‹ tätig sein müsse. Wie sollt’ ich’s? Als Buchhalterin? Stenographin? So im Bureau sitzen? Ach nein, das wäre nicht mein Fall gewesen – dabei wäre ich mir nur wie ein Instrument vorgekommen. Ich mag erziehen – auf andere ein wenig wirken können, Entwicklung zu sehen macht doch Freude. So drängte es sich auf, daß ich Lehrerin werden mußte. Ich könnte in der Stadt an der höheren Töchterschule unterrichten. Aber da hätte ich keinen Teil gehabt an ›Severin Lohmann‹. Indem ich die Kinder von Severinshof unterrichte, kommt’s mir vor, als ob ich ein wenig, ein ganz klein wenig und sehr von fern für Ihren Vater und in seinem Sinn arbeite. Konnte es wohl anders sein?«
»Nein, liebe Klara, anders konnte es nicht sein,« sprach der Geheimrat. »Sie sind mit mir, mit uns, mit dem Werk für immer verbunden ...«
Er mußte sich Mühe geben, nicht mehr zu sagen.
Wynfried horchte ein Weilchen stumm ihren Worten nach ... Er fühlte so beklemmend, daß er, der Sohn und Erbe, seinem Vater und dem Ganzen hier ferner und fremder war als dieses Mädchen, das mit allem unlöslich verwachsen schien ... Er bekam eine Ahnung, daß seines Vaters Wunsch noch in anderen Dingen wurzelte als in dem Verlangen, des Sohnes Leben in Ordnung zu bringen und gleichzeitig die Tochter einer vielleicht einst geliebten Frau zu versorgen ...
Klara blieb heute länger als sonst. Sie war gewohnt, zu warten, bis der alte Herr durch irgend ein Wort ihr das Gefühl gab, sie dürfe gehen. Heute, wenn das mühsam sich hinschleppende Gespräch ganz verstummen wollte, suchte er es im Gegenteil immer neu zu beleben.
Sie war zu arglos, um es auffallend zu finden, daß seine Fragen sie nötigten, viel von sich zu sprechen. Von ihren Jugendjahren bei der sehr zärtlichen, unentschlossenen, umständlichen und zum Erziehen eigentlich gar nicht berufenen Doktorin Lamprecht, die ihr auch heute noch eine treue Mama, aber in gar keiner Hinsicht strenge und autoritativ sei, erzählte sie mit einem leisen Humor. Von ihren durch ihren Beruf geregelten Tagen mußte sie berichten, und von den bescheidenen kleinen Zerstreuungen. Man hörte wohl heraus: wenn alte Damen zu Kartenspiel und Kaffeeschwelgereien zusammenkamen, saß sie still dabei mit einer Handarbeit und hatte ihre Gedanken für sich. Es gab mal ein paar Vorträge im Winter, einen Kasinoball und ein Sommerfest, die man mitmachte, denn der Geheimrat hatte selbst für die Doktorin Lamprecht und ihre Pensionärin die Mitgliedschaft bei der von ihm unterstützten Kasinogesellschaft erwirkt und bezahlte für die Damen den Beitrag. Und Klara sagte, es gebe da immer einige, die sie fühlen ließen, daß sie als Volksschullehrerin nicht recht unter die Honoratioren gehöre – und man spürte, daß ihr derlei nicht verletzend, sondern nur ein lustiges Pröbchen von Dummheit war.
Wynfried sah so in ein Mädchenleben hinein, das ihn wie eine Legende anmutete. Das gab es? In solchen Beschränkungen konnte ein weibliches Wesen es aushalten? Und sie schien zufrieden? Ganz und gar. Das fühlte er durchaus.
Und dies am meisten, diese Klarheit und Wunschlosigkeit in der Begrenzung machte ihn betroffen.
Aus welchen Quellen kam das empor, so erstaunlich wohltuend und beruhigend?
Sein Herz war in schwülen Feuern verbrannt – vielleicht für immer. Seine Phantasie war ermattet, im atemlosen Rausch immer neuer Vergnügungen an immer wechselnden Schauplätzen.
Welch ein Gegensatz zwischen der Welt, in der er seine ersten Jünglings- und Mannesjahre vertan, und diesem Idyll. Ihm war, als sehe er vor seinem geistigen Auge dicht neben einem glitzernden Durcheinander von Seidenglanz, funkelnden Steinen, flatterndem Chiffon, dunkelummalten Augen, roten Haaren, rosigen Wangen, wippenden Federn ein stilles, grünes Stückchen Wald ...
Und das Mädchen bäumte sich nicht einmal auf? Empörte sich nicht, daß Schönheit und Jugend in Gefahr war, unbemerkt zu verblühen, daß die Möglichkeit vorlag, ihr ganzes Leben in der Enge versanden zu sehen? – Seine Mama fiel ihm ein. In welch schneidender Mißlaune sie immer gewesen war während der wenigen Monate im Jahr, die sie neben der Arbeitsstätte ihres Gatten verbringen mußte – wie sie floh, sobald sie konnte. Und damals erschien ihm seine Mama immer als ein Opfer ...
Er sah: diese Klara gab keine Rolle. Die freundlich-ruhige Stimmung war ihr wirklicher Seelenzustand! So unglaubhaft es ihm schien, er fühlte sich dennoch gezwungen, zu glauben.
Er wurde nach und nach sehr schweigsam.
Und Klara fing an, bedenklich zu werden: blieb sie nicht unbescheiden lange? Warum gab der Geheimrat nicht wie sonst ein Zeichen? Und die Doktorin Lamprecht, die es nicht kannte, daß ihr Schützling nicht mit uhrenmäßiger Pünktlichkeit heimkam ...
Sie stand auf.
»Darf ich jetzt gehen? Tante Lamprecht ängstigt sich sonst.«
»Wynfried bringt Sie nach Haus,« bestimmte der alte Herr.
»O nein – danke sehr – nein –,« lehnte Klara ab.
Er verneigte sich höflich, sich widerspruchslos in die Ablehnung ergebend ...
»Klara, liebes Kind, ich habe einen Wunsch,«