Ida Boy-Ed

Stille Helden


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daß vielleicht in diesem entscheidenden Augenblick seines Sohneslebens Gehorsam das einzige Mittel sei, das Wohlwollen und Vertrauen des Vaters zu erringen – das Verlangen danach wallte in ihm auf – zum erstenmal, seit er denken konnte.

      »Aber deshalb heiratet man doch nicht!« dachte er. Er dachte es ohne heftige Abwehr. Nur in einer matten Regung des Eigenwillens. Er fühlte sich zu zerbrochen zum Kampf.

      Jahrelang war er in wahnsinniger Leidenschaft der Sklave eines Weibes gewesen. Sie hatte ihn verraten und verlassen. Der Rest war Widerwillen gegen Welt und Weib.

      »Nun!« mahnte der Vater in aufkochender Ungeduld. Irgend etwas wollte er doch auf seinen Vorschlag hören.

      »Und du hast dir gewiß auch schon ausgedacht: welche,« sagte Wynfried ausweichend.

      »Ah – ob! Du wirst dir Mühe geben müssen, angenommen zu werden.«

      Wie das Wynfried peinigte. Seine ganze Seele war wund. Sein Vater, in der Naivität, die geniale Menschen haben können, wenn es sich um ihre heimlichen Poesien und Herzenswünsche handelt, schien nicht zu ahnen, daß er vielleicht unzart vorgehe ...

      »Wer ist es denn?« fragte er gleichgültig, höflich – nur um den Vater nicht zu reizen.

      »Klara Hildebrandt.«

      »Die Tochter von deinem früheren Generaldirektor – der sich erschoß – wegen verfehlter und verbotener Spekulationen – du hast dich des Kindes angenommen – die –?«

      »Ja – die.«

      »Ich weiß noch, wie Hildebrandt mit seiner Frau und seiner ganz kleinen Tochter ankam. – Es gibt so Dinge – man behält sie, obschon sie eigentlich nebensächlich sind und nichts mit einem selbst zu tun haben – aber zeitlich mit irgendwas verknüpft sind, was damals einem wichtig war. – Ja, ich weiß noch – Mama bestimmte die Bepflanzung der Anlage, deren Erdarbeiten gerade fertig geworden waren – ich hatte so viel Kummer davon gehabt, weil ich gern mitgegraben und gekarrt hätte und nicht durfte. – Da kamen Hildebrandts und mußten aussteigen, weil der Weg versperrt war – und Mama sagte gleich, daß sie sie nicht leiden möge. – Die Frau war sehr schön – ich begriff damals nicht und auch in den folgenden Jahren nicht, weshalb sie mir immer so schön und so ganz anders vorkam. – Jetzt weiß ich: sie hatte wohl einen seltenen Zauber reiner Weiblichkeit – wenn ich mich recht erinnere ...«

      »Ja, du erinnerst dich recht,« sprach der alte Mann langsam, »in ihr waren Schönheiten ... ein Wunder war sie ...«

      Und sein Gesicht bekam einen Schein, als läge Andacht darauf.

      Sein Sohn sah ihn an – ihre Blicke begegneten sich, ruhten lange ineinander. Und wieder war dem Sohn, als höre er den Vater sagen: »Was weißt du von mir

      Ihm fiel ein, wie der Vater damals voll Großmut alles vertuschte, was dem ungetreuen Beamten noch im Grabe den Schein der Ehre hätte nehmen können ... Wie er der Frau beigestanden, die nicht lange danach hinstarb – wie er für das Kind gesorgt. –

      Und unverwandt sahen sie sich an, Vater und Sohn –

      Bis der Vater, wie in einem stolzen Bekennen der Reinheit für sich und eine Tote, hoch und frei sein Haupt erhob ...

      Da war es Wynfried, als habe er an Pforten gestanden, hinter denen unantastbare Heiligtümer verschlossen gehalten würden ...

      »Ich habe Klara Hildebrandt seit vielen Jahren nicht mehr gesehen,« sprach er langsam.

      Sein Vater reichte ihm die Rechte hin. – Obgleich Wynfried wußte, der junge Doktor Sylvester werde jeden Augenblick erwartet, um die Behandlung mit Massage und Elektrizität zu beginnen, die täglich zweimal vorgenommen wurde, fühlte er doch, daß diese Verabschiedung aus einer seelischen Aufwallung heraus erfolgte. Aber er spürte auch einen festen Druck der Hand – war das Versöhnung? eine stumme Überredung? ein neues Bündnis zwischen zweien, die von der Natur aufs engste verbunden waren, sich aber nicht gekannt hatten bis zu dieser Stunde?

      Kannten sie sich denn jetzt?

      Und es war dem Sohne, als dürfe er das Wort des Vaters auch für sich in Anspruch nehmen und gegen ihn kehren und auch fragen: »Was weißt du von mir

      Da durchschauerte es ihn: was weiß ich denn selbst von mir? Und das elende Gefühl der Lebensleere, der Nichtigkeit kam abermals über ihn.

      Er ging in sein Zimmer und warf sich wieder auf sein Bett.

      Er starrte ins Unbestimmte.

      »Eine Kugel durch den Kopf – das wäre das richtigste ...«

      Aber vor diesem Gedanken erschrak er. Denn ihm war, als sähe er seines Vaters Angesicht. – Er hatte eine Vision. – Sein Vater stand an seiner Leiche, aber der alte Mann weinte nicht – Verachtung war in seinen Zügen, die furchtbar schienen.

      Und die Angst vor dieser Verachtung zwang ihn zum Leben zurück – das fühlte er.

      Aber wie leben? Unter welchen Möglichkeiten?

      Ah – gleichviel unter welchen – wenn sie ihm nur Inhalt für sein Dasein vortäuschten.

      Diese Leere trieb ihn sonst doch noch zu dem, was sein Vater verachten würde.

       Inhaltsverzeichnis

      Nun war es Sonntag. Aber Leupold fühlte, daß sein Herr sich nicht in der beruhigten Stimmung befand, wie sonst, wenn Fräulein Hildebrandt erwartet wurde.

      Vor dem Klubsessel, dem Audienzstuhl, deckte er den Teetisch. Sonst paßte der Geheimrat sogar auf, ob auch schöne Blumen aus den Treibhäusern heraufgeholt worden waren, denn die Blumen durfte Fräulein Hildebrandt nachher mitnehmen. Ja, er hatte sich wohl schon den Teller mit Kuchen zeigen lassen, um nachzusehen, ob die Cremetörtchen vorhanden seien, die Fräulein Hildebrandt gern zu essen scheine. Leupold machte sich manchmal Gedanken über das starke Interesse seines Herrn an Klara Hildebrandt. Er wußte: die Hildebrandts hatten damals schon ihre zweijährige Tochter mitgebracht – wenn also böswillige Menschen davon munkelten, Klara solle die natürliche Tochter des Geheimrats sein, so war das nur böswilliger Klatsch. Anderseits, wenn er so völlig von ihr umsponnen war, weshalb hatte er sie denn nicht schlankweg zu seiner Frau gemacht? Vor einem Jahr noch war der Geheimrat eine wunderbare, stattliche, fürstliche Erscheinung, und es wäre doch nicht das erste Mal gewesen, daß ein fünfundsechzigjähriger Millionär sich das Vergnügen machte, eine zweiundzwanzigjährige junge Dame zu heiraten.

      Leupold beschloß aber solche Betrachtungen immer mit dem bestimmten Wort: Dazu ist er zu klug! Und er war natürlich mit solcher Klugheit sehr zufrieden, denn er sah, ohne sich dessen bewußt zu sein, seinen Herrn einfach als sein Eigentum an. Durch eine Wiederheirat wäre er in den Hintergrund gedrängt worden. Er war seinem Herrn unentbehrlich, und das wollte er bleiben. Diese Empfindung war sein eigentlicher Lebensinhalt.

      Heute nun kümmerte der Geheimrat sich um nichts, sah kaum die Rosen an, die Leupold vorwies, und wehrte unwillig ab, als der Kuchenteller zur Begutachtung gezeigt wurde.

      »Was er wohl hat,« dachte der Diener. Das Leben seines Herrn lag so durchsichtig vor ihm hingebreitet, daß er sich trotz aller ihm wirklich eigenen Diskretion nicht enthalten konnte, sogleich zu begrübeln, was er gelegentlich an einer Stimmung nicht verstehen konnte.

      Die heutige Undurchdringlichkeit der Herrenlaune schien besonders rätselhaft.

      Der Geheimrat hatte freilich so viele schwere Gedanken, daß sie ihm wie zyklopische Blöcke im Gemüt lagen. Seine Intelligenz, seine Lebenserfahrung, sein starkes Gefühl versuchten sich an diesen schweren Dingen. Aber ihnen war nicht beizukommen.

      Zum erstenmal geschah es ihm, daß er einfach keine Antwort wußte auf die Frage: Wie fang’ ich das an?

      Wynfried war noch am Tage jener Unterredung nach Hamburg gereist und hatte mit dem Rechtsanwalt Koppen alle diese trüben