William Hertling

A.I. APOCALYPSE


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Es kamen keine Antworten. Leon probierte den Fernseher aus. Die LED für den Netzbetrieb leuchtete zwar auf, aber sonst geschah nichts. Er versuchte, etwas von seinem Smartphone auf den Fernseher zu streamen, aber es geschah wieder nichts. Er ging zurück in die Küche, klopfte mit seinem Smartphone auf den Tisch, aber wieder passierte nichts. Der kleine Bildschirm seines Smartphones begann sich mehr und mehr wie eine Zwangsjacke anzufühlen. James und Vito beobachteten sein Verhalten mit Amüsement.

      Schließlich ließ er sich auf das Sofa fallen. »Und? Eine Viertelstunde ist 'rum. Irgendwelche Antworten?«

      »Nein«, antworteten James und Vito gleichzeitig.

      »Okay, dann versucht andere Freunde – irgendjemand unter 18.«

      Vito und James probierten es wieder, und dieses Mal bekamen sie binnen Sekunden eine Antwort.

      »Ja, ich kann jeden erreichen«, sagte James. Zum ersten Mal wirkte er ein wenig unsicher.

      »Da seht ihr es, es muss mein Virus sein.«

      »Und was willst du jetzt machen?«, fragte Vito.

      »Ich weiß es nicht. Was kann ich denn machen? Ich habe keine Ahnung von Virenbekämpfung.«

      »Warum machst du dir darüber Sorgen«, fragte James. »Du weißt doch, es gibt Leute, die sich um solche Dinge kümmern. Gibt es da nicht irgendeine Gruppe, die so etwas regelt? SURF? SURP? Irgendetwas in dieser Richtung.«

      »CERT. Computer Emergency Response Team.« Leon starrte dabei aus dem Fenster.

      »Da hast du es. Es gibt Leute, die sich darum kümmern. Und wir haben keine Schule. Das ist schrill. Das ist kein Problem, sondern große Klasse. Du musst lernen, dich zu entspannen.«

      Leon antwortete nicht. Er starrte weiterhin aus dem Fenster.

      Alexis Gorbunov ließ den Kopf hängen. Dann hob er ihn langsam, streckte seinen Nacken und nahm den letzten Schluck aus seinem Glas. Er hatte seinem Boss für heute ein funktionierendes Bot-Netz versprochen.

      Alexis stand auf, schlurfte zur Tür hinüber und streifte seinen Wollmantel über. Dieses Mal hatte er es wirklich vergeigt. Er hatte nicht nur kein Bot-Netz, sondern Leons Virus hatte außerdem für einen massiven Ausfall des Internets gesorgt.

      Erst hatte alles gut ausgesehen. Phage war unglaublich infektiös. Sein Viruskontrollprogramm nutzend, konnte Alexis zusehen, wie das Bot-Netz auf hunderttausende, dann auf Millionen von Computern anschwoll. Alexis hatte sogar Testprogramme laufen lassen, um Benutzernamen und Passwörter abzugreifen. Dann aber sank plötzlich die Anzahl der Viren, die auf das Kontrollprogramm reagierten, obwohl die Netzwerkauslastung weiter anstieg. Alexis hatte den Verdacht, dass es an diesem verdammten, evolutionären Virus lag. Er veränderte sich immer weiter, und der Junge hatte anscheinend nichts eingebaut, das sicherstellte, dass der Kontrollprogrammcode nicht verändert wurde. Das Virus hatte sich weiter entwickelt, und er hatte die Kontrolle darüber verloren.

      Alexis zündete sich eine neue Zigarette an und ging nach draußen. Traurig schüttelte er den Kopf. Der Netzwerkausfall würde Aufmerksamkeit erregen. Eine Untersuchung würde die Quelle des Virus identifizieren. Der alte Mann würde zweifellos hinter ihm her sein, weil er die Behörden auf ihre Spur gebracht hatte, ganz davon abgesehen, dass es ihm nicht gelungen war, das Bot-Netz wieder aufzubauen. Er zog den Wollmantel enger um seinen Körper. Er hoffte, dass der alte Mann nicht auch Leon jagen würde. Aber daran konnte er jetzt nichts mehr ändern.

      Sich auf der Straße nach allen Seiten umsehend, ging er zu seinem alten Mercedes hinüber. Der Wagen mit dem auf Alkoholbetrieb umgebauten Verbrennungsmotor, war massig und langsam und Sprit dafür war schwer zu bekommen. Aber der Wagen war gepanzert, war Teil der letzten Wagenlieferung gewesen, die die Mafia von den Arabern gekauft hatte, als denen die Petrodollar ausgingen. Gebaut, um einen Scheich vor seiner randalierenden Bevölkerung zu schützen. Jetzt hegte er die Hoffnung, dass er ihn auch vor seinem eigenen Auftraggeber schützen konnte.

      Die meisten Fahrzeuge auf der Straße standen still, und ihre Benutzer verfluchten sie, aber der 30 Jahre alte Mercedes hatte keine eingebauten Computerchips und war auch zu alt, um aufgerüstet zu werden. Computer konnte man jederzeit aufspüren, und Alexis wollte nicht gefunden werden. Mit leisem Motorgrollen lenkte er den Wagen auf die Fahrbahn und fuhr einen Slalom um die Liegengebliebenen Fahrzeuge. Er hatte einen Notfallplan für diese Art von Problemen. Der alte Mann, der Don, würde erwarten, dass er zu seiner Datscha im Norden fuhr. Er aber würde zur Datscha seiner Exfrau im Westen fahren, wo er ein Lager mit Euro und Yen sowie seine gefälschten Pässe hatte. Er würde einen Flug nach Japan nehmen, wo er als Ausländer zwar auffiel, aber seine guten Japanisch-Kenntnisse würden ihm einen Vorteil gegenüber seinen Verfolgern verschaffen. Und er konnte in Chiba, ein wenig östlich von Tokio, seine Dienste anbieten. Chiba war der Hotspot für die neueste halblegale Hardware.

      Er bog auf die Hauptstraße, stellte sich seine erste Mahlzeit in Japan vor, ein Gedeck mit Sushi, und vor seinem geistigen Auge sah er eine wunderschöne Japanerin, die ihm Sake einschenkte. Den verbeulten Zementmischer, der vom Bruder seines Bosses gefahren wurde, sah er nicht kommen. Er bohrte sich in die Seite des Mercedes, ein immenses Krachen, eine Sekunde später gefolgt von dem kreischenden Aufprall, als der Lastwagen den Wagen gegen die Steinmauer einer alten Fabrik drückte. In dem zerschmetterten Wagen gefangen erinnerte sich Alexis plötzlich an seine Mutter, wie sie ihn aufgehoben hatte, als er vom Fahrrad gefallen war.

      »Mamulya«, dachte er und starb.

      

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