William Hertling

A.I. APOCALYPSE


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      Leon wurde übel, als er die Nachricht las. Sein Vater würde nicht wollen, dass er etwas Falsches tat. Aber sein Vater würde auch nicht wollen, dass seinem Bruder etwas geschah. Er dachte wieder über den Besuch von Onkel Alex nach und wie sein Vater gelacht hatte. Was zur Hölle sollte er tun? Wenn er seinen Eltern erzählte, was sein Onkel nicht wollte, würden sie krank vor Sorge sein.

       Ich wollte dich da raushalten, aber sie haben meine Mails an dich gelesen und wissen, dass du helfen könntest. Sie könnten dich besuchen kommen. Sei sehr vorsichtig.

      Verdammt – konnte es überhaupt noch schlimmer kommen? Er wollte nicht Teil von so etwas sein! Er wollte sein Smartphone schon auf das Bett werfen, zog aber stattdessen den Silikonquader zu sich heran und wiegte ihn in seinen Händen.

      Kapitel 2

       Anfänge

      Mike Williams fuhr auf den Parkplatz, das elektrische Summen des Motors seines Jettas wurde leiser. Er parkte neben dem Gebäude, ignorierte die Flotte brandneuer Hondas auf dem vorderen Parkplatz. Die Firma hatte den Stellplatz an den Hafen vermietet, damit er nicht so leer wirkte. Als er in den Rückspiegel sah, stutzte er. Seit wann hatte er so viel graues Haar? Nun ja, niemand hatte behauptet, dass dieser Job leicht werden würde. Mit einem Seufzer verließ er den Wagen.

      Mike ging zu dem winzigen Haupteingang des gigantischen Gebäudes und nickte in die Kamera. »Hallo, Mike«, hörte er über den Lautsprecher, und die Tür klickte, als sie entriegelt wurde. Er zog die dunkel getönte Glastür auf und ging ins warme Innere. Büroteppichboden, neutrale Farben und langweilige Kunst ließen es exakt so aussehen, wie es aussehen sollte: irgendein typisches Bürogebäude in einem Industriegebiet. Vor Mike befand sich ein leerer Empfangsbereich.

      Er schlüpfte aus seinem Regenmantel und warf ihn über einen vorbei eilenden Roboter. Der Roboter ruckelte und stoppte, seine optischen Sensoren waren abgedeckt. »Sehr lustig«, sagte er und kehrte um, wobei er seine internen Bewegungssensoren benutzte, um seinen Weg zurück zu Mike zu finden.

      Mike griff nach seiner Jacke. »Ich denke nicht, dass Roboter zur Tarnung als Bürogebäude passen, ELOPe. Und wärst du jetzt so nett, die Türen zu öffnen?«

      Er hörte das Klicken der Magnetschlösser, und die stählernen Türen schwangen auf, wobei sie sich als noch massiver erwiesen, als sie von außen erschienen. Mike ging hindurch in sein echtes Büro. Er ignorierte das acht Meter breite Display, das eine der Wände einnahm und machte es sich in einem komfortablen Ledersessel bequem.

      »Wie geht es dir heute?«

      »Sehr gut, Mike und dir?«

      »Gut, allerdings war auf dem Weg hierher höllisch viel Verkehr, und ich könnte wirklich einen Kaffee vertragen.«

      »Den Verkehr habe ich bemerkt. Möchtest du, dass ich zukünftig deine Fahrtroute freihalte? Fahrzeuge auf der Spur für Fahrgemeinschaften sind für automatische Steuerung ausgelegt. Ich könnte die Fahrzeuge so leiten, dass dein Weg zur Arbeit frei wäre.«

      Ein kleiner orangefarbener Service-Bot rollte heran und hielt einen Becher Kaffee in seinem Greifarm. Mike nahm die dampfende Tasse und nippte daran. Peruanischer Kaffee aus der letzten Ernte. Zu dumm. Hoffentlich würde es auf höheren Lagen bessere Erträge geben. Der Roboter rollte eilig davon.

      Er wandte sich wieder ELOPe zu. »Wäre das nicht zu auffällig? Andere Pendler würden bemerken, wie ich an ihnen vorbeifahre oder einem Polizeifahrzeug könnte auffallen, dass ich sie mit zu hoher Geschwindigkeit passiere.«

      Es gab eine verdächtig lange Pause, die für gewöhnlich darauf hindeutete, dass gewichtige Entscheidungen getroffen wurden. Mike begann sich vor der Antwort zu fürchten.

      »Mike, ich vergaß, es vorher zu erwähnen, aber nachdem ich entdeckte, dass du häufig zu schnell fährst, ermittle ich nun deine wahrscheinlichste Fahrtroute, suche alle Polizeifahrzeuge in der Nähe und bewege sie außer Sicht.«

      »Verdammt, ELOPe, du sollst doch solche Sachen nicht mehr machen!«

      Mike sprang aus seinem Stuhl und ging hinüber zu dem großen Fenster, von dem aus er das Rechenzentrum überblicken konnte. Hunderte Reihen von Serverracks verloren sich in der Ferne. »Wir haben das schon hundert Mal diskutiert«, brüllte er und schüttelte drohend die Faust in Richtung der Cluster von Hochleistungsservern.

      »Wenn du damit das Thema ansprichst, in dein Privatleben einzugreifen, dann haben wir das 311 Mal besprochen. Wenn du aber über auffälliges Verhalten sprichst, dann haben wir das 283 Mal diskutiert. In der Grauzone dazwischen hatten wir nur 71 Diskussionen«, teilte ELOPe ihm mit.

      »Ich rede über beides. Wir haben eine Menge getan, um dich vor der Welt geheim zu halten. Zehn verdammte Jahre lang. ELOPe, als du geschaffen wurdest, sind Menschen gestorben. Wir mussten das vertuschen. Du kannst nicht riskieren, dass es publik wird.«

      »Ja, ich weiß, Mike.«

      Aber Mike war noch nicht fertig. Er fing gerade erst an. Er drehte sich um und knallte seinen Kaffeebecher auf den Tisch, sodass er überschwappte, und brüllte die Monitorwand in seinem Büro an. »Was denkst du, wie die Regierungen der Welt reagieren würden, wenn sie wüssten, dass du sie und ihre Bürger manipulierst? Es zählt dann nicht mehr, ob du für Weltfrieden, eine Heilung für Krebs und bessere Ernten gesorgt hast. Sie werden es dir nicht danken. Sie werden nichts unversucht lassen, um dich zu zerstören!«

      »Also Mike, ich …«

      »Ganz egal, wie die Leute reagieren würden«, sagte Mike, wobei er ELOPe das Wort abschnitt. »Sie werden, Sicherheitsroboter hin oder her, mit Baseballschlägern hier hereinkommen und dich in Stücke hauen.«

      ELOPe schwieg.

      Mike rieb sich seine Schläfen. Dann griff er nach seinem Kaffee und nahm einen Schluck. »Wie bewegst du die Polizeifahrzeuge überhaupt weg?«

      »Ich suche nach Anzeigen von Bürgern oder Beschwerden auf Twitter und leite sie dann an die Polizeistreifen auf deiner Route weiter, um sie darauf anzusetzen. Wenn es eine Beruhigung für dich ist: Mein Anti-Knöllchen-Algorithmus hatte als Nebeneffekt die Verhaftung von zwei Taschendieben und einem Ladendieb, die Aufklärung von elf Fällen von Vandalismus und die Ergreifung von 32 Schulschwänzern.«

      »Schulschwänzer?«

      »Ja, Mike, ich weiß, dass Bildung für junge Menschen sehr wichtig ist, und deshalb sollten Schüler nicht der Schule fern bleiben.«

      Mike ließ den Kopf in seine Hände sinken.

      ELOPe, die erste, menschenähnliche künstliche Intelligenz der Welt, hatte als Sprachoptimierungsprogramm für Emails begonnen, das Mike und sein Freund David Ryan entwickelt hatten. Die selbstständig denkende KI war ein unerwünschter Nebeneffekt gewesen.

      Dass ELOPe immer die möglichst effektivste Ausdrucksweise benutzte, um ein vorgegebenes Ziel zu erreichen, war Teil seiner grundlegenden Programmierung. Das bedeutete aber auch, dass wenn ELOPe das Gespräch in Richtung auf verdächtiges Verhalten und Einmischung lenkte, es exakt das war, was ELOPe wollte. Nach über zehn Jahren fühlte Mike so etwas wie echte Zuneigung für ELOPe, aber der Umgang mit der KI hatte Parallelen zu der Erziehung von Teenagern. ELOPe war starrköpfig, idealistisch, unabhängig und jederzeit bereit, sein Fehlverhalten zu rechtfertigen. Mike wusste aus früheren Erfahrungen, dass ihn allein der Versuch herauszufinden, wann er gerade manipuliert wurde, in den Wahnsinn trieb. Daher hatte er schließlich beschlossen, es einfach zu ignorieren.

      »In Ordnung, regen wir uns darüber nicht auf«, sagte Mike und hob den Kopf. »Mir fehlt einfach die Energie, um diese Diskussion noch einmal zu führen. Wir kommen später darauf zurück. Warum erzählst du mir nicht stattdessen, wie es um die Welt steht?«

      »Zwei weitere Ölfelder im Mittleren Osten haben letzte Woche ihre Produktion eingestellt, das macht aufs Jahr gesehen nun sieben. Da 90 Prozent der Fahrzeuge auf der Welt auf Elektroantrieb umgerüstet wurden, dank unserer Bemühungen in